Jetzt kommt es zum Prozess in der Causa Geri Müller

PR-Mann Sacha Wigdorovits ist wegen Verdachts auf versuchte Nötigung und wegen unbefugt aufgenommener Gespräche angeklagt. Mit einem Journalisten und einem lokalen Gegner einigte sich Ex-Politiker Geri Müller aussergerichtlich.

Von Carlos Hanimann, 19.02.2019

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«Nackt-Selfies aus dem Stadthaus» – die Schlagzeile der «Schweiz am Sonntag» im Sommer 2014 sorgte für so viel Aufregung wie keine andere aus dem Aargauer Medienhaus. Tagelang rannte fast die ganze Schweizer Medien­landschaft dem vermeintlichen Skandal hinterher, dass Geri Müller, der damalige Nationalrat der Grünen und Stadt­ammann von Baden, zunächst Nackt­bilder von sich verschickt und der Empfängerin dann die Polizei auf den Hals gejagt habe, um ihr die Bilder wieder abnehmen zu lassen.

Amtsmissbrauch und Nötigung – so lauteten die schweren Vorwürfe, die der Chef­redaktor der «Schweiz am Sonntag» gegen den Politiker erhob. Sie lösten sich innert Tagesfrist in Luft auf. Übrig blieb einzig Geri Müllers private Angelegenheit, ein dickpic verschickt zu haben. Und der Skandal, dass die Medien seine Intimsphäre krass verletzt hatten.

Die wahren Dimensionen des Medienskandals offenbarten sich erst in den folgenden Tagen und Wochen, als immer mehr über Hintergründe und Hintermänner der Affäre bekannt wurde – und wie wenig von der ursprünglich kolportierten Geschichte stimmte.

Geri Müller wehrte sich gegen die persönlichkeits­verletzende Bericht­erstattung, der Artikel der «Schweiz am Sonntag» musste vom Netz genommen und gar aus der Medien­datenbank SMD gelöscht werden. Zudem erstattete Geri Müller eine Reihe von Anzeigen:

  • gegen die Chat-Partnerin, die unerlaubt Gespräche mit Müller aufgezeichnet hatte;

  • gegen den heutigen AZ-Chefredaktor Patrik Müller, der den Medien­skandal ausgelöst hatte;

  • gegen Josef Bollag, einen langjährigen politischen Gegner von Geri Müller; er soll der Chat-Partnerin als Mittels­mann gedient haben;

  • gegen den PR-Mann Sacha Wigdorovits, der Medien mit Material bedient haben soll.

Die Anzeigen drehten sich vor allem um das Aufbewahren, Verwenden und Verbreiten illegaler Aufnahmen von Gesprächen zwischen Geri Müller und der Chat-Partnerin, die mehreren Medien vorlagen und die der «Blick» damals sogar als Audiofiles veröffentlichte.

Welche Rolle spielte PR-Mann Wigdorovits?

Viereinhalb Jahre sind seit dem Medien­skandal vergangen. Nun zeigen Recherchen der Republik: Das Regional­gericht Berner Jura-Seeland bereitet zurzeit die erste öffentliche Gerichts­verhandlung in diesem Fall vor. Das bestätigt das Gericht auf Anfrage der Republik.

Angeklagt ist der PR-Mann Sacha Wigdorovits. Die Staats­anwaltschaft wirft ihm versuchte Nötigung beziehungsweise Anstiftung oder Gehilfen­schaft dazu vor. Ausserdem geht es um das Aufbewahren, Auswerten, Zugänglich­machen und Weitergeben von unbefugt aufgenommenen Gesprächen. Für Sacha Wigdorovits gilt die Unschuldsvermutung.

Die Strafverfolger hatten bereits Ende August 2018 Anklage erhoben, wie die General­staatsanwaltschaft Bern der Republik auf Anfrage mitteilte. Der Beschuldigte Wigdorovits verlangte allerdings, dass die Anklage zurückgewiesen werde. Im Januar hat nun das Gericht Wigdorovits’ Antrag abgelehnt, sodass der Weg für eine öffentliche Gerichts­verhandlung in diesem Fall frei ist. Der genaue Termin soll in den nächsten Wochen festgelegt und kommuniziert werden.

Der ehemalige Journalist und PR-Berater Sacha Wigdorovits gilt als illustre Figur der Schweizer Medien­szene mit einem grossen Kontakt­netz. In der Affäre um Geri Müller soll er als Mittels­mann Kontakte hergestellt und die Medien mit Material versorgt haben. In einem Interview bestritt er damals, «irgendwelchen Medien irgendwelche Protokolle angeboten» zu haben, sagte aber nichts zum Vorwurf, er sei im Besitz von kompromittierendem Material.

Wigdorovits wollte sich auf Anfrage der Republik nicht äussern. Er verwies auf seinen Anwalt Valentin Landmann. Dieser reagierte bis Redaktions­schluss nicht.

Müller und Müller einigten sich

Die drei anderen Verfahren in diesem Fall sind bereits rechtskräftig abgeschlossen.

Gegen die Chat-Partnerin erliess die Berner Staats­anwaltschaft im Juli 2016 einen Strafbefehl wegen der unerlaubten Aufnahme eines Gesprächs, versuchter Nötigung, übler Nachrede, Urkunden­fälschung und Beschimpfung. Ihr wurde eine bedingte Geld­strafe von 9000 Franken auferlegt, hinzu kamen Gerichts­kosten von rund 8000 Franken und eine Entschädigung Geri Müllers über 16’000 Franken.

Das Verfahren gegen Patrik Müller, der heute als Chef­redaktor den Mantel­teil der AZ-Medien verantwortet, wurde bereits Ende 2017 eingestellt. Laut der Einstellungs­verfügung, die der Republik vorliegt, kam die Staats­anwaltschaft nach Abschluss ihrer Untersuchungen zum Schluss, dass Patrik Müller «eine ihm übermittelte Audiodatei (…) aufbewahrte und auswertete». Er habe Teile des unerlaubt aufgenommenen Gesprächs veröffentlicht – «im Wissen oder zumindest in der zwingenden Annahme, dass das Gespräch unbefugt aufgenommen worden war».

Die Staatsanwaltschaft stellte den Fall allerdings ein, nachdem sich die beiden Parteien aussergerichtlich geeinigt hatten. Über die Einzel­heiten des Vergleichs wurde nichts bekannt, weil die Parteien damals Stillschweigen vereinbart hatten.

Eine solche Verfahrens­einstellung ist laut Strafgesetz dann möglich, wenn «der Täter den Schaden gedeckt oder alle zumutbaren Anstrengungen unternommen» hat, «um das von ihm bewirkte Unrecht auszugleichen». Und wenn das Interesse der Öffentlichkeit und der Geschädigten an einer Straf­verfolgung gering ist. Diese Form der aussergerichtlichen Einigung wird immer wieder als «Checkbuch-Justiz» kritisiert, weil sie Beschuldigten ermöglicht, sich mit Wiedergutmachungs­zahlungen freizukaufen.

Trotz Einstellung musste Journalist Müller die Kosten für das Verfahren tragen. Die Staats­anwaltschaft stützte sich dabei auf einen Artikel in der Strafprozessordnung, der die Kosten­abwälzung möglich macht, wenn der Beschuldigte «rechtswidrig und schuldhaft die Einleitung des Verfahrens bewirkt oder dessen Durchführung erschwert hat».

Bollag will die Herausgabe verhindern

Das Verfahren gegen Josef Bollag hat die Berner Staats­anwaltschaft im März 2018 ebenfalls eingestellt, nachdem sich Geri Müller und Bollag aussergerichtlich geeinigt hatten. Die Hintergründe der Verfahrens­einstellung und der Einigung sind nicht bekannt.

Einstellungsverfügungen sind laut Bundesgericht grundsätzlich öffentlich. Während die Republik im Fall von Patrik Müller die Einstellungs­verfügung einsehen konnte, wehrt sich Bollag aber seit fast einem Jahr juristisch gegen eine Herausgabe der Einstellungs­verfügung durch die Staats­anwaltschaft an die Republik (und Radio SRF).

Der Fall ist weiter hängig. Josef Bollag wollte sich auf Anfrage nicht äussern.

Zur Transparenz

Geri Müller lässt sich in seinem Fall juristisch von Rechtsanwalt Andreas Meili beraten und vertreten. Aus Transparenz­gründen sei darauf hingewiesen, dass sich auch die Republik in medienrechtlichen Fragen von Anwalt Meili beraten lässt. Er war bei den Recherchen zu diesem Artikel nicht involviert.

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