Am Gericht

Der Lincoln muss weg

Eine Staatskarosse, in der sich die Mächtigen der Welt gern herumkutschieren lassen, steht am falschen Ort. Und der Besitzer glänzt am Prozess durch Abwesenheit.

Von Brigitte Hürlimann, 13.02.2019

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Ort: Regionalgericht Emmental-Oberaargau, Burgdorf
Zeit: 7. Februar 2019, 8.30 Uhr
Fall-Nr.: PEN 18 163
Thema: Widerhandlung gegen das Abfallgesetz

Es kam, wie es kommen musste: Der Mann taucht nicht auf. Das ist zwar nicht unüblich, wenn es um Einsprachen gegen einen Strafbefehl geht, vor allem dann, wenn die Leute nicht anwaltlich vertreten sind: Sie haben in einer spontanen Gemüts­regung entschieden, die drohende Verurteilung durch die Staats­anwaltschaft nicht zu akzeptieren, doch wenn der Prozess­termin vor der Türe steht, ziehen sie plötzlich den Schwanz ein. Zu mühsam und unerfreulich das Ganze, zu belastend der Gang vor Gericht, man lässt es einfach sein und zahlt halt, zähneknirschend, was der Staatsanwalt – den man in der Regel nie zu Gesicht bekommen hat – für angemessen hält.

Was den 37-jährigen Einsprecher in diesem Fall dazu bewogen hat, unentschuldigt und ohne jegliche Vorankündigung nicht vor dem Regional­gericht Emmental-Oberaargau zu erscheinen, darüber kann nur spekuliert werden. Der für den Fall zuständige Einzelrichter, Manuel Blaser, ist über die Absenz eher überrascht, musste die Verhandlung zuvor doch einmal verschoben werden, weil der Einsprecher krank war und sich mittels Arzt­zeugnis entschuldigen liess. Das deutet auf ein gewisses Interesse des Mannes an einer gerichtlichen Beurteilung hin. Die findet nun nicht statt, womit der Strafbefehl zum Urteil mutiert.

Die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern spricht den Mann wegen Widerhandlung gegen das Berner Abfallgesetz schuldig und verhängt eine Busse von 300 Franken; dazu kommen für das Strafbefehls­verfahren 150 Franken an Gebühren hinzu. Der wegen unentschuldigten Nicht­erscheinens geplatzte Prozess kostet den Mann zusätzlich noch 300 Franken. Das ist verständlich, hat sich das Gericht doch auf den Prozess vorbereitet. Alles ist parat, der Gerichts­präsident und die Gerichts­schreiberin warten, das Akten­bündel liegt auf dem Pult, nur der Beschuldigte fehlt. Nicht gerade die feine Art, aber Gerichtsalltag.

Vor dem Saal warten zudem zwei Medien­vertreter, die allmählich realisieren, dass sie vergebens angereist sind, aus nah und fern. Gerichts­präsident Manuel Blaser zeigt Erbarmen mit ihnen, bittet sie hinein und erläutert kurz, worum es eigentlich geht – denn wie so oft bei den Strafbefehlen besteht die Sachverhalts­umschreibung aus einem einzigen, mehr oder minder kryptischen Satz. Das ist wenig hilfreich für die interessierte Öffentlichkeit, und deshalb leistet der Richter Abhilfe; zurückhaltend, unter Wahrung der Persönlichkeits­rechte – und weil der Strafbefehl rechtskräftig geworden ist, Urteils­charakter erhält, zum öffentlichen, einsehbaren Dokument wird.

Corpus Delicti ist im konkreten Fall unter anderem ein ziemlich havarierter Lincoln. Für all jene, die sich mit Automobilen nicht so gut auskennen: Der Lincoln ist eine US-amerikanische Automarke der gehobenen Klasse und wird gern als Staatskarosse verwendet, vor allem von amerikanischen Präsidenten. Eine solche Karosse stand nun aber über einen Monat lang an einem Ort, wo sie nicht stehen darf, flankiert von einem Smart, der zwar weniger Macht und Pracht ausstrahlt, sich in unserem Fall aber in einem deutlich besseren Zustand befand. Beide Fahrzeuge trugen keine Nummern­schilder, und von der Staats­anwaltschaft wurden sie als «ausgedient» eingestuft. Neben den Autos war noch gebrauchtes Baumaterial gestapelt; vermutlich Schalungsplatten, unter anderem.

Die unordentliche und augenfällige Ansammlung mitten in einem Wohn­quartier fiel einer Polizei­patrouille auf, die Anzeige erstattete. Im Laufe der Ermittlungen stellte sich heraus, dass der 37-jährige Mann, der am Prozess durch Abwesenheit glänzt, Mieter einer Garagenbox ist. Er hatte den Lincoln, den Smart und das Baumaterial einfach daneben deponiert, ohne Bewilligung und ohne den Vermieter zu informieren. Dieses Verhalten beschert ihm nun die Verurteilung per Strafbefehl. Doch parallel dazu kam auch noch ein Verwaltungs­verfahren in Gang. Die zuständige Gemeinde forderte ihn auf, das Zeug sofort zu entfernen, sonst würde das die Verwaltung übernehmen und ihm die Rechnung dafür schicken – Ersatz­vornahme nennt man das, in der Regel ein teurer Spass.

Wie Gerichtspräsident Manuel Blaser mitteilt, hat der Mann der behördlichen Aufforderung Folge geleistet, die Autos und das Baumaterial entfernt. Gut möglich also, dass er dachte, damit sei die Angelegenheit erledigt, inklusive Strafverfahren. Wer sich in rechtlichen Dingen nicht gut auskennt, kann kaum nachvollziehen, dass zwei Verfahren möglich sind, die unabhängig voneinander laufen, mit jeweils ganz anderen Gesetz­mässigkeiten. Das zeigt sich in jenen Fällen deutlich, in denen eine Person wegen eines Verkehrs­delikts zu einer Strafe oder Busse verurteilt wird – und im administrativen Verfahren den Führer­ausweis abgeben muss. Das wird oft als die eigentliche und viel schlimmere Strafe empfunden, obwohl es eben gar keine Strafe ist, sondern «bloss» eine administrative Massnahme.

Was unseren Lincoln-Besitzer aus der Region Emmental-Oberaargau betrifft, so wäre dieser auf einen Richter gestossen, der ihm gern einige Fragen zum Sachverhalt gestellt hätte, um zu prüfen, ob tatsächlich in allen Bereichen eine Widerhandlung gegen das Abfallgesetz vorliegt. Manuel Blaser hätte sich beispielsweise danach erkundigt, ob der Mann Nummern­schilder für die deponierten Autos besitzt oder hinterlegt hat, dann würden diese nicht mehr als «ausgediente Fahrzeuge» qualifiziert. Überhaupt hätte der Richter die rechtliche Würdigung der Staats­anwaltschaft zumindest in einem Punkt infrage gestellt. Dazu ist es nicht gekommen.

Illustration: Friederike Hantel

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