Aus der Arena

Wie sich ein rechtes Parlament linken lässt

Von Michael Rüegg, 05.02.2019

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Die Parallelen sind offensichtlich:

  • Beide Probleme beschäftigen die Stadt Zürich seit über vier Jahrzehnten.

  • Beide gelten als Schandflecke in ihren jeweiligen Quartieren.

  • Und beide standen zu Beginn des Jahres 2019 kurz vor der Lösung.

Problem A ist eine marode Militärkaserne aus dem 19. Jahrhundert. Seit die Armee in den Siebziger­jahren in ein abgelegenes Tal umgezogen ist, bröckelt die Kaserne an bester Lage vor sich hin. Im geschniegelten Zürich verströmt die Anlage einen Hauch postsowjetischen Osteuropas vor der Ankunft der EU-Fördergelder. Einzig in den Zeug­häusern weit hinter der Exerzier­wiese existiert so etwas wie Leben. Die letzten Renovations­arbeiten am Gebäude­komplex sind ein Viertel­jahrhundert her, als die Zentral­bibliothek dort geduldig auf die Fertig­stellung ihres Neubaus im Stadt­zentrum wartete.

Problem B ist die vierspurige Rosengarten­strasse, die das Quartier Wipkingen vom Quartier Wipkingen trennt. In den Siebziger­jahren wurde die Schneise als Übergangs­lösung gebaut. Noch heute rollen hier mehr Autos vorbei als an einem typischen Tag auf der Gotthardroute.

Beide Probleme wollten der Regierungs- und der Stadtrat gemeinsam lösen. Über beide hat der Kantonsrat zu befinden.

Im Fall von Problem A, der Kaserne, sah die Lösung so aus: Die Stadt, die schon heute einen Teil der Anlage nutzt, mietet die Zeug­häuser für 410’000 Franken pro Jahr vom Kanton und beteiligt sich mit gegen 30 Millionen Franken an den Kosten für die notwendige Sanierung – das sind etwa 50 Prozent.

Die Lösung von Problem B, der Rosengarten­strasse, sähe so aus: Für 1100 Millionen Franken baut der Kanton einen Auto­tunnel. Hierdurch führt künftig der Verkehr, die Stadt erhält dafür auf der bisherigen Route eine Tramlinie und eine zweispurige Quartier­strasse. Sie beteiligt sich mit weniger als vier Prozent an den enormen Kosten. Die Republik berichtete hierüber vor gut einem Jahr (ausführlich).

Nun zu den vorläufigen Ergebnissen aufgrund der Parlamentsdebatten:

In Sachen Problem A, Kaserne, schickte der Kantons­rat das Vorhaben von Regierungs- und Stadtrat kürzlich bachab. Die Stadt sollte ihre Mietsache gefälligst selber sanieren, fand eine dünne Mehrheit aus FDP, SVP und EDU. Überhaupt sei die angestrebte Nutzung – ein quartierverträglicher Mix aus Gewerbe, Gastronomie und sozialen Angeboten – falsch. Man wolle «keine zweite Rote Fabrik», hiess es im Rat. Die Nein-Fraktion war der Meinung, dass das völlig marode und denkmalgeschützte Gebäude­ensemble auf dem freien Immobilien­markt einen viel besseren Preis erzielen würde.

Nun zu Problem B, der Rosengarten­strasse: Der Kantonsrat trat gestern wortreich auf die Vorlage ein. Die Pläne seien «in Zusammenarbeit zwischen der Kantons- und der Stadtregierung entstanden», lobte etwa die FDP in diesem Fall. Bleibt es bei den aktuellen Mehrheiten, dürfte das Parlament den Bau des Tunnels beschliessen.

In beiden würde die Stadt am Ende etwas erhalten. Im einen Fall verweigert das Kantons­parlament eine kostengünstige Variante. Im anderen wirft es einen Milliarden­betrag auf. Worin also liegt der Unterschied?

Die Antwort ist: Es geht um Gefühle.

Die bürgerlichen Parteien im Kantonsrat, allen voran FDP und SVP, sind frustriert, dass ihnen in der Stadt nur Statisten­rollen bleiben. Diese drücken sich sowohl via Wähler­stärke als auch in der Qualität des politischen Personals aus. Also wird mobilisiert: gegen die linksgrün versiffte Stadt mit ihren energieverbrauchs­reduzierten und mit Kinder­betreuungs­angeboten durchtränkten Wohnbau­genossenschaften und ihrem autoarmen Gewerbe.

Denn die Stadt bekannte sich zu einem der beiden Projekte richtig: Die Zeughäuser auf dem Kasernen­areal wollte das Stadt­parlament unbedingt haben. Den Rosengarten­tunnel mitsamt neuer Tramlinie lehnte es jedoch ab.

Daraus destillierten die bürgerlichen Kantons­parlamentarierinnen eine Handlungsmaxime:

  • Will die Stadt etwas nicht, bekommt sie es.

  • Will sie es unbedingt, verweigert man es ihr.

Damit ist nun auch klar, wie das Stadt­parlament künftig agieren wird. Solange es auf den Kanton angewiesen ist, wird es sich hüten, zu viel Begeisterung für eine Sache an den Tag zu legen.

Und wenn Zürich künftig vom Kantonsrat etwas möchte, wird die Stadt es so lange schlechtreden, bis dieser es durchwinkt. Am Ende gewinnen beide, zumindest gefühlt.

In der Schlussabstimmung zum Rosengarten-Projekt werden diverse SP-Kantonsrats­mitglieder guten Gewissens auf den Nein-Knopf drücken können. Denn der Tunnel, den sie heimlich wollen, dürfte auch ohne sie eine Mehrheit finden.

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