Kostbares Land

Stoppt das Raumplanungsgesetz die Zersiedelung wirklich? Nahaufnahme aus dem Wallis, wo sich drei unterschiedliche Gemeinden mit dessen Umsetzung herumschlagen.

Von Simon Schmid und Michel Venetz (Text), Daniel Berchtold und Pascal Guntern (Bilder, Audio und Video), 04.02.2019

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Thomas Matter fährt mit dem Finger über den Katasterplan von Agarn. Er zeigt auf die Parzellen Nr. 883 und 605: zwei Grundstücke nahe dem Emsbach, nicht weit vom Wald, links oben im kleinen Walliser Dorf. Hier hat er vor 25 Jahren als lediger Mann Land gekauft – hier sollten seine Söhne eines Tages ihre Häuser bauen, gleich neben sein eigenes Einfamilienhaus.

Vorsorgen für später. Land kaufen, damit die Buben im Dorf bleiben können: ein fürs Wallis typischer Familienplan. Doch er wird platzen. Die Gemeinde Agarn muss rückzonen: 8,8 Hektaren Land, die eigentlich zur Bebauung freigegeben waren, sollen Wiesen und Äcker bleiben. So will es das 2014 revidierte Raumplanungsgesetz, das im Wallis gerade umgesetzt wird.

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Thomas Matter, Präsident des 763-Seelen-Dorfes – ein Schulhaus, eine Kirche, ein Jassclub, ein Bienenzüchter­verein – wird es aller Voraussicht nach treffen. Seine Bauparzelle, einst für 180’000 Franken gekauft, wird wieder Landwirtschafts­land werden. Einen Bruchteil wert und gesetzlich nicht mehr dafür geeignet, hier ein Haus zu bauen, eine Familie zu gründen.

Agarn

In wenigen Tagen stimmt die Schweiz über die Zersiedelungsinitiative ab. Sie will die Zupflasterung der Landschaft verhindern: Neues Land könnte nur noch zur Überbauung eingezont werden, wenn anderswo gleich viel Land rückgezont würde, also wieder der Natur zurückgegeben (für ein Einmaleins der Begrifflichkeiten in Sachen Bau- und Landwirtschaftszonen: siehe hier).

Fachleute sagen: Die Initiative brauche es nicht. Das Raumplanungsgesetz (RPG) zwinge die Schweiz ohnehin, ihren Boden haushälterisch zu nutzen.

Agarn sagt: Das RPG sei ein grosser Irrtum, Zersiedelungs­initiative hin oder her. Und überhaupt, die gesamte Raum­planung der Schweiz sei verzerrt: zugunsten der Städte und Agglomerationen, zuungunsten der Randregionen.

«Die Bergdörfer müssen 2000 Hektaren liefern, damit die Boom­regionen wachsen können.»
Thomas Matter, Gemeindepräsident von Agarn

Was stimmt? Wie gut ist das RPG, und wem nützt es? Braucht es schärfere Bestimmungen? Können Gesetze überhaupt etwas ausrichten gegen den Landverschleiss, das Auseinander­fransen der Siedlungen, die Verhäuselung?

Um dies zu verstehen, sind wir durchs Wallis gefahren. Durch den Kanton, in dem alles extrem ist: Bodenreserven, Bauwut, Landflucht. Dorthin, wo das Unbehagen über raumplanerische Einmischungen am grössten und die Sorge über Fehlentwicklungen am drückendsten ist. Und wo es Gemeinden wie Agarn gibt, die mit den Folgen der Raum­planung extrem zu kämpfen haben.

Ein Gesetz und die Folgen für drei Orte

Für diese Reportage sprachen wir mit Menschen in drei Walliser Ortschaften über die Auswirkungen des Raumplanungs­gesetzes. In Agarn, zwischen Siders und Visp gelegen, einer Art Pendler­gemeinde, aber ohne viele Pendler. In Collombey-Muraz, einer Boom­gemeinde zwischen Martigny und dem Genfersee. Und in Naters, wo es scheint, als wäre die Zersiedelungs­initiative von Gottes Hand bereits umgesetzt worden.

«Mein Grundstück liegt in diesem grünen Bereich», sagt Thomas Matter. Der 52-Jährige steht in seinem Büro im Gemeinde­haus und zeigt auf eine zweite, kleinere Karte. Sie sieht aus wie von Kinderhand bemalt – rot, gelb, grün. Erstellt hat sie die Dienst­stelle für Raum­entwicklung des Kantons in der Hauptstadt Sion. Grün, das bedeutet nach deren Urteil: zersiedelt.

«Dieses Land werden wir nicht halten können», sagt Thomas Matter mit gedrückter Stimme. «Die Stimmung im Dorf ist schlecht, sehr schlecht.»

Gemeindechef ist Matter nur im Nebenamt. Hauptberuflich arbeitet er als Heil­pädagoge, früher war er der Dorflehrer, geboren ist er in Agarn, die Jugend hat er in Luzern verbracht. Doch irgendwann zog es ihn zurück. Nach Agarn, ins Dorf seiner Vorfahren, wo man sich mit der Erde verbunden fühlt, die man der Natur abgetrotzt hat. Und wo Matter jetzt schlaflose Nächte hat und manchmal sogar Ehekrach – weil Agarn dieses Land wieder hergeben soll. Auf Befehl der restlichen Schweiz, der Üsserschwiiz, die Angst vor der Zersiedelung hat.

Das Schweizer Stimmvolk und dessen Entscheidungen: Sie haben das Wallis traumatisiert. Erst wurde dem Berg­kanton die Zweitwohnungs­initiative aufgedrückt – das war 2012, fast drei Viertel der Walliser waren dagegen, dass der Bau von Zweit­wohnungen eingeschränkt wird. Als Nächstes kam das Raumplanungs­gesetz (RPG), wieder gegen eine deutliche Mehrheit im Wallis.

Seit vier Jahren müht sich der Kanton nun ab, den Bestimmungen zu folgen. Ein Richtplan, vergangenes Jahr nach hitziger Diskussion angenommen, ist nun zur Genehmigung beim Bund. Schon jetzt ist klar: Im Wallis werden rund 2000 Hektaren rückgezont werden müssen. Also knapp 3000 Fussball­felder oder 12 Prozent der gesamten Bauzonen­fläche, über die der Kanton verfügt.

Wer muss Land hergeben, wer kann es behalten? Gemeinden wie Agarn haben im kantonalen Raumplanungs­poker sehr schlechte Karten.

Die Ortschaft liegt zwischen Siders und Visp und wächst einwohnermässig kaum. Sie ist eine Art Pendler­gemeinde, aber ohne allzu viele Pendler. Und ein Schatten­loch, in dem die Sonne während zweier Winter­monate komplett verschwindet. Zweimal in der Geschichte brannte Agarn komplett ab. Darum stehen hier keine rustikalen Holzchalets mehr, sondern Häuschen, wie man sie aus dem Mittelland auch kennt – nur mit etwas grösseren Abständen.

Aus offiziellen Bevölkerungs­szenarien für die nächsten fünfzehn Jahre geht kein nennenswerter Bauland­bedarf hervor. Deshalb wird Agarn Land verlieren.

Was schon ziemlich ungerecht ist, wie Thomas Matter findet. Aber genau der Logik der schweizerischen Raumplanung entspricht. Eine Planung, die strukturschwache Gemeinden benachteiligt gegenüber anderen, wachsenden.

Collombey-Muraz

Die Rede ist von Boom­gemeinden wie Collombey-Muraz zwischen Martigny und dem Genfersee. Von hier kommt Kevin Morisod, Co-Präsident der Jungen Grünen, der Partei hinter der Zersiedelungsinitiative.

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Stop mitage steht auf Schildern am Rand der grossen Durchgangs­strasse, le béton ne nourrit pas. Stopp Zersiedelung – von Beton wird niemand satt. Befürworter der Initiative haben sie hier in der Gegend aufgestellt.

Eine Gegend mit eindrücklicher Entwicklung. Vor nicht langer Zeit wohnten in Collombey-Muraz noch 4000 Menschen. Doch in nur einer Generation hat sich die Einwohnerzahl mehr als verdoppelt. Viele Menschen, die zur Arbeit nach Lausanne fahren, haben sich hier ein Appartement gekauft oder mieten eine Wohnung. Seit dem Jahr 2010 wurden über 2000 Wohnungen gebaut.

Die meisten davon in Mehr­familienhäusern, die genau so aussehen wie in jeder anderen Agglomerations­gemeinde auch: viereckig, frisch gestrichen, fünf oder sechs Geschosse hoch, kleine Fenster­aussparungen auf der einen und grosse Aussparungen – teils auch Balkone – auf der anderen Seite.

«Man ist hier weder auf dem Land noch in der Stadt», sagt Morisod, der gerade sein Medizin­studium an der Universität Lausanne abschliesst. Er steht an einer Strasse, den Blick auf eine Zeile von Wohn­blocks gerichtet. Hinter ihm die Unterführung zum neuen Einkaufs­zentrum, neben ihm ein gräulicher Neubau, davor einige Autos. «Man ist an einem richtigen Unort.»

«Collombey-Muraz – weder Stadt noch Dorf. Hier ist man in einer Art Zwischenzone, die keine Identität mehr hat.»
Kevin Morisod, Co-Präsident der Jungen Grünen

Der 25-jährige Politiker ist ein Idealist. Er will die Leute auf neue Gedanken bringen. Sie sollen Ortschaften bauen, an denen man sich zu Hause fühlt – mit Plätzen und Cafés, mit Läden in Gehdistanz, mit hoher Lebens­qualität. Oder wie es im Text zur Zersiedelungs­initiative heisst: mit «nachhaltigen Quartieren».

Also das pure Gegenteil davon, was Collombey-Muraz heute repräsentiert.

Hier gaben Immobilien­entwickler in den vergangenen Jahren den Ton an. Und bestimmten die Siedlungs­entwicklung praktisch in Eigenregie – orientiert am freien Markt, an der Nachfrage nach Wohnraum und der Rendite.

Rückzonungen, das weiss Morisod, sind in Collombey-Muraz kein Thema.

Denn das prognostizierte Bevölkerungs­wachstum ist hoch. Der Zonenplan der Gemeinde ist auf 11’000 Einwohner ausgelegt. Weitere 2000 Personen könnten damit nach Collombey-Muraz ziehen – und werden dies vermutlich auch tun. Nach wie vor werden Wohnblöcke gebaut. Die Leerstände sind zuletzt zwar leicht gestiegen, aber das kümmert die Investoren nicht.

Vieles spricht dafür, dass die Zupflasterung von Collombey-Muraz weitergehen wird – trotz RPG und trotz den Beteuerungen des Kantons, künftig würden die raumplanerischen Zügel auch in dieser Gegend angezogen.

«Bevor neues Land eingezont werden kann, muss die bestehende Siedlung verdichtet werden», sagt Damian Jerjen, oberster Raumplaner im Wallis, dazu. «Die Gemeinden müssen die Innen­entwicklung vorantreiben.» Die weitere Umwandlung von Landwirtschafts- in Bauland sei mit dem neuen Raumplanungs­gesetz praktisch unmöglich, meint er. Schaue man genau hin, seien die Kern­forderungen der Zersiedelungs­initiative mit dem RPG eigentlich schon erfüllt (mehr dazu: siehe Infobox am Schluss des Textes).

«Der Druck aus dem Genfersee­becken auf Collombey-Muraz, auf das ganze Chablais, ist sehr gross.»
Damian Jerjen, oberster Raumplaner im Wallis

Kevin Morisod kennt das RPG. Überzeugt davon ist er aber nicht. Das alte Zentrum beim Gemeinde­haus, sagt er: Es sei praktisch tot. Die dortigen Läden: verdrängt von Migros, Coop, Otto’s, Ochsner Sport, Decathlon. Von überdimensionierten Geschäften am Dorfrand, verteilt auf einer Fläche so gross wie zehn Fussball­felder, mit vielen Park­plätzen und grossen Strassen.

Mehr Bauten, mehr Einwohner, mehr Flächen­verbrauch: Nur mit dem RPG sei diese Wachstums­spirale schwer zu durchbrechen, sagt der junge Grüne.

Alles Schnee von gestern, sagt dagegen Yannick Buttet. Der ehemalige CVP-Nationalrat, der nach einer Stalking-Affäre zurücktreten musste, ist Gemeindepräsident von Collombey-Muraz. «Wir wollen gar keine neuen Wohnzonen mehr», gibt er zu Protokoll. «Sondern wir wollen verdichten.»

Verdichten also: am besten im alten Ortskern, am besten in hoher Qualität.

Wie Morisod ist auch Buttet hier aufgewachsen. Auch er fuhr als Bub mit dem Velo über die Feldwege, wo jetzt die grossen Überbauungen stehen, auch er kennt das dörfliche Feeling von früher. Im Gang seines Büros hängt eine Luftaufnahme von 1990. Darauf sieht man: viel Grün. Und kaum Grau.

Würde er das Dorf anders bauen, wenn er könnte? Absolut, sagt Buttet. Doch es bringe nichts, über die Vergangenheit zu lamentieren. Sicher, in den 1990er-Jahren seien zu grosse Bauzonen ausgeschieden worden. Aber hätte man den vielen Leuten, die später nach Collombey-Muraz kommen wollten, einfach sagen sollen: «Nein, tschüss, geht lieber nach Frankreich wohnen?»

«Es ist wichtig, dass die Menschen aus Genf und Lausanne Wohnungen finden können.»
Yannick Buttet, Gemeindepräsident von Collombey-Muraz

Buttet findet: Collombey-Muraz ist nicht zersiedelt. Und er will: Flexibilität, um die Gemeinde weiter zu entwickeln. Die Zersiedelungs­initiative biete diese Flexibilität nicht, sagt er – das Raumplanungs­gesetz schon. «Wir brauchen nicht nur Wohnungen, sondern auch Gewerbe und Industrie.»

Wachstum, Arbeitsplätze, Lebens­qualität: Der heilige Dreiklang der Agglomerations­entwicklung ist in Collombey-Muraz laut hörbar.

Und nicht nur dort. Sondern auch eine Autostunde weiter die Rhone hinauf.

Naters

Beziehungsweise: den Rottu hinauf, wie der Fluss in diesem Kantons­teil heisst. Hier, im engen Talkessel, eingeklemmt zwischen zwei Berg­flanken, liegt Naters: eine Gemeinde von 10’000 Einwohnern, bestehend aus einem Kerndorf, mehreren Weilern und einem Touristendorf oben auf dem Berg, der Belalp.

Für einen Städtebauer wäre Naters wohl so etwas wie ein Lehrbuchbeispiel.

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Und zwar ein positives: Verstreute Einfamilien­häuser gibt es hier praktisch nicht. Und wenn, dann höchstens in Luxus­variante am steilen Südhang, dem Natischer­berg. Der Rest des Dorfes ist dicht bebaut: zwar nicht sehr modern, aber funktional. In der Dorfmitte gibt es die Migros und den Coop, daneben das Restaurant Walliser­kanne und die Sportbar Aletsch, wo die Einheimischen beim Bier gerne Witze machen über die Nachbar­gemeinde Brig-Glis. Etwas weiter hinten ein Schwimmbad, alles in Gehdistanz.

Einen herrlichen Blick auf die Szenerie gibt es vom Museum der Päpstlichen Schweizergarde aus, oberhalb von Naters in einem ehemaligen Armeebunker.

Dort marschiert Franz Ruppen auf eine Aussichts­plattform. Der Walliser Nationalrat trägt in der nationalen SVP-Fraktion die Verantwortung fürs Dossier Raum­planung und ist obendrein Gemeinde­präsident von Naters. Er geht vorsichtig, auf dem schmalen Fussweg liegt noch etwas Schnee.

«Raumplanung ist Sache der Kantone und Gemeinden», erklärt er. Der Bund solle nur die Grundsätze festlegen. «Beim RPG wurde dies aber missachtet.»

Ruppen war ursprünglich strikt gegen das Gesetz. Auch seine Gemeinde wird weiter oben am Hang einiges an Land verlieren – in den Weilern, wo nun keine Zweit­wohnungen mehr gebaut werden dürfen. Aber im Stillen hat er sich damit arrangiert. Denn das Raum­planungs­gesetz spielt für Naters eigentlich kaum eine Rolle: Im Tal, rund um die Ortschaft, ist schlichtweg kein Land da, das überhaupt noch besiedelt werden könnte.

Die Natur bestimmt in Naters, wie weit sich das Dorf ausdehnen kann. Links und rechts Felsen, unten der Fluss: Dazwischen passt nur eine begrenzte Anzahl Quadratmeter. Das Siedlungs­gebiet der Gemeinde ist fix – fast so, als wäre die Zersiedelungs­initiative von Gottes Hand bereits umgesetzt.

Naters hat dies offensichtlich nicht geschadet. Es ist eine Ortschaft, in der man gern zu Fuss unterwegs ist. Wo die Menschen nicht in Autos aneinander vorbeirollen, sondern wo Schulkinder durch die Strassen springen.

Auf wirtschaftliche Entwicklung mag man im Oberwallis trotzdem nicht verzichten. Die zwei Motoren in der Region sind das Pharma­unternehmen Lonza in Visp, wo in den nächsten Jahren 2000 Arbeits­plätze entstehen werden, und die neue Linie der Lötschberg­bahn. In einer Stunde ist man in Bern.

Es könne nicht sein, dass Naters ein Ballenberg-Museum werde, sagt Franz Ruppen, 47 Jahre alt, Advokat und Notar, Ehren­mitglied im Jodlerklub Aletsch. «Sondern wir wollen Wohn- und Arbeits­raum für die lokale Bevölkerung entwickeln.»

«Viele Städter haben diese Sehnsucht nach der heilen Welt in den Berggebieten.»
Franz Ruppen, Gemeindepräsident von Naters

Wachstum, Verdichtung, Arbeitsplätze, Lebens­qualität, keine Einmischung von aussen: Natürlich klingt all das sehr widersprüchlich. Aber es ist die raumplanerische Realität – im Wallis, in der Schweiz, überall. Wo sich Menschen ansammeln, dort wollen sich diese Menschen entwickeln. Wollen vorhandene Ressourcen nutzen, wollen Land brauchen, sofern es vorhanden ist. Keine Raum­planung der Welt kann sich diesem Kräfte­feld entziehen.

So ist es auch mit dem RPG. Dieses wird zwar den Flächen­verbrauch etwas dämpfen und wird die Bau­tätigkeit umlenken, von der Breite in die Höhe.

Doch das grundlegende Siedlungs­muster wird dadurch nur verstärkt. Agarn schrumpft. Collombey-Muraz wächst. Naters verdichtet: Das wäre ohne RPG so und wird mit dem Gesetz sogar noch ein Stück weit stärker so sein.

Zehn kantonale Quasi-Zersiedelungs­initiativen

Das Raumplanungsgesetz fordert von den Kantonen, ihre Richtpläne bis im April 2019 anzupassen und vom Bund genehmigen zu lassen. Gemäss einer aktuellen Zusammenstellung des Bundesamts für Raumentwicklung (ARE) ist diese Genehmigung bei fünfzehn Kantonen bereits erfolgt, neun weitere kantonale Richt­pläne sind in Prüfung.

Sieben dieser bereits genehmigten oder zu prüfenden Richt­pläne enthalten explizit die Bestimmung, wonach neue Einzonungen zu Wohn­zwecken durch Rückzonungen an einem anderen Ort kompensiert werden müssen. Diese Bestimmung ist in den Kantonen Uri, Solothurn, Schaffhausen, Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden, Graubünden und Tessin vorgesehen oder bereits in Kraft. In drei weiteren Kantonen sieht der Richt­plan kantonsweise Rückzonungen vor: Neben dem Kanton Wallis ist dies in Neuenburg und im Jura der Fall. In zusammengezählt zehn Kantonen ist eine Kern­forderung der Zersiedelungs­initiative, wonach die totale Siedlungs­fläche nicht zunehmen darf, somit auf kantonaler Ebene bereits erfüllt.

Die zehn Kantone, in denen dies der Fall ist, weisen mehrheitlich eine Auslastung der Bauzonen von unter 100 Prozent auf. Diese technische Kennzahl setzt die erwartete Bevölkerungs­zahl über fünfzehn Jahre ins Verhältnis zur Kapazität, auf der bestehenden Bauzonen­fläche Einwohner aufzunehmen. Kantone mit einer Auslastung von unter 100 Prozent weisen überdimensionierte Bauzonen auf, in Kantonen mit einer Auslastung von über 100 Prozent sind die Bauzonen knapp.

Zu den Kantonen mit knapper Bauzonen­fläche gehören Zürich, Bern, Luzern, Schwyz, Nidwalden, Zug, Fribourg, Solothurn, Basel-Stadt, Baselland, St. Gallen, Aargau, Thurgau, Waadt und Genf. Schweizweiter Spitzen­reiter ist der Kanton Basel-Stadt mit einer Auslastung von 108,5 Prozent. Dahinter folgen Zürich mit 105,6 Prozent, der Aargau mit 105 Prozent und Genf mit 104 Prozent. Insgesamt fünfzehn Kantone kommen gemäss ARE auf eine Auslastung von über 100 Prozent.

Einige dieser Kantone dürfen ihre Siedlungs­fläche somit auch in Zukunft weiter ausdehnen. Der RPG-konforme Richtplan des Kantons Aargau sieht etwa vor, dass «fallweise Einzonungen möglich sein werden». Analog ist es im Thurgau. Als Voraussetzung dafür müssen die Gemeinden «ihre Innenentwicklungspotenziale und Mindestdichten sowie die Verfügbarkeit von Bauland berücksichtigen». Auch im Kanton Waadt bleiben «fallweise Einzonungen möglich», wobei nach Angaben des ARE gleichzeitig feststeht, dass bestimmte Gemeinden rückzonen müssen.

Zum Co-Autor

Michel Venetz, Jahrgang 1991, ist seit Juni 2018 Chefredaktor und Sportchef beim Lokalsender Radio Rottu Oberwallis. Zuvor war er als Redaktor beim «Walliser Boten» tätig.

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