Zur Aktualität

Er will doch nur spielen

Von Brigitte Hürlimann, 04.02.2019

Teilen1 Beitrag1
Kampagnen-Logo

Unabhängiger Journalismus lebt vom Einsatz vieler

Unterstützen auch Sie die Republik mit einem Abo: Einstiegsangebot nur bis 31. März 2024.

Wählen Sie Ihren Einstiegspreis
Ab CHF 120 für ein Jahr

Wer noch nicht auf den Hund gekommen ist, ahnt ja kaum, was Herrchen und Frauchen so alles unternehmen, damit es ihrem besten Freund nicht langweilig wird. Dass er, im Gegenteil, auf immer wieder neue Art und Weise stimuliert, angeregt, gefördert, bewegt, gehätschelt, gepflegt, frisiert, bespasst, gelobt und belohnt wird. Viel belohnt!

Das ist die eine Seite des modernen Hundehalter­daseins. Die andere Seite aber, die manche gern und grandios verdrängen, ist die Haftung der Herrchen und Frauchen für fast jeglichen Unfug, den ihre Hunde treiben. Die Tierhalter­haftung ist in Artikel 56 des schweizerischen Obligationen­rechts geregelt – und sie ist streng. Die Norm hält fest, dass die Halterin für den von ihrem Tier angerichteten Schaden haftet, sofern sie nicht nachweisen kann, dass sie «alle nach den Umständen gebotene Sorgfalt in der Verwahrung und Beaufsichtigung angewendet hat oder dass der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt eingetreten wäre».

Man merke: Bei der Tierhaltung gilt eine verschuldens­unabhängige Kausal­haftung – anders als in fast allen anderen Rechts­gebieten. Ausser eben, die Hunde­halterin kann den Sorgfalts­beweis erbringen, was nicht einfach ist. Diese Beweis­auflage zulasten der Tier­halter bedeutet eine wesentliche prozessuale Erleichterung für die klagende Person, die geltend macht, sie sei wegen eines Tiers zu Schaden gekommen.

Und damit zum konkreten Fall, der eine Hunde­halterin und ihren damals zweijährigen Labradormischling betrifft. Dieser wollte doch nur spielen. Am Schluss aber liegt eine zweite Frau mit mehreren Frakturen auf der Wiese. Sie geht nach dem Vorfall wegen eines Schadens von 30’000 Franken gerichtlich gegen die Hunde­halterin vor.

Die Sache ist aus mehreren Gründen bemerkenswert. Der Zusammenprall zwischen Hund und Frau fand in einer Hunde­schule statt, auf eingezäuntem Gelände, im Anschluss an einen Hunde­kurs. Und beim Unfall­opfer handelt es sich um die Hunde­trainerin und Mitinhaberin der Schule.

Der Unfall­verursacher, der verspielte, gut dreissig Kilogramm schwere Labrador­mischling, war sozusagen ein Kunde des Opfers. Die beiden kannten sich bestens: Halterin und Hund hatten schon mehr als zwanzig Lektionen bei und mit der Trainerin und späteren Klägerin absolviert. Geübt wurde eine neue Hunde­sportart, «bei welcher ein Hund unter der Anleitung seines Halters zu passender Musik verschiedene Hindernisse überwinden und Tricks zeigen soll». So heisst es im Urteil.

Der Unfall geschah direkt nach einem dieser Kurse. Die Halterin, die Trainerin und eine dritte Frau standen zusammen auf der Wiese und plauderten. Der Labradormischling tobte sich weiter aus, ohne angeleint zu sein, und näherte sich dabei immer wieder dem Frauen­trio, weil er einen anderen Hund zum Spielen auffordern wollte. Bei diesem Herumtollen kam es zum folgenreichen Zusammenstoss mit der Trainerin. Also ausgerechnet mit jener Person, die am professionellsten mit Hunden umgehen können sollte – und, es kann nicht oft genug erwähnt werden, auf dem umzäunten Gelände ihrer eigenen Hunde­schule. Trotz all diesen Umständen geht die Trainerin gegen die Hunde­halterin und Kurs­besucherin vor.

Vor dem Bezirksgericht Bülach unterliegt sie mit ihrem Schadenersatz­begehren, und auch das Ober­gericht will nichts von einer Haftung der Hunde­halterin wissen. In einem jüngst veröffentlichten Urteil weist es die Berufung ab und bestätigt den erstinstanzlichen Entscheid – dies nicht ohne zu betonen: «Der Sorgfaltsbeweis muss strikt geführt werden.»

Oder, mit anderen Worten: An den eingangs erwähnten Entlastungs­beweis der Hunde­halterin werden strenge Anforderungen gestellt. Immerhin wird unterschieden, ob es sich um ein gutmütiges, vertrautes Haustier oder um ein bösartiges, gefährliches und unberechenbares Wesen handelt. Bei Letzterem verlangen die Gerichte naturgemäss eine erhöhte Vorsicht. Doch der Labrador­mischling in unserem Fall wird nicht dieser Kategorie zugeordnet. Er hatte zuvor noch nie einen Menschen umgerannt oder verletzt.

Das Obergericht berücksichtigt den besonderen Ort des Unfalls und konstatiert, dass es sich nicht um einen öffentlichen Raum handelt, in dem das Tier auf eine Vielzahl von Menschen treffen kann, die nicht alle im Hunde­umgang geübt sind. Womöglich gibt es ja sogar Leute, die keinen Umgang mit Hunden wünschen, weder an der Bus­haltestelle noch im Park, Wald oder an der See­promenade, aber solche Gedanken­gänge werden im Urteil nicht erwähnt.

Die Hundetrainerin, so das Gericht weiter, habe den Labradormischling gut gekannt, habe realisiert, dass dieser herumtollt, und habe dies toleriert. Der Hund habe sich artgerecht verhalten, seinen Bewegungs­drang im privaten, umzäunten Gelände der Hunde­schule ausgelebt, das der Öffentlichkeit nicht zugänglich gewesen sei. Fazit: Die Hunde­halterin hat ihre (strengen) Sorgfalts­pflichten nicht verletzt.

Doch das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, der Fall wird vor Bundes­gericht weitergezogen, wie das Ober­gericht mitteilt. Man darf also gespannt darauf warten, wie das höchste Schweizer Gericht den Fauxpas eines quirligen Labradormischlings qualifiziert, der nach einer Übungs­stunde halt noch ein wenig Bewegung brauchte, ohne Hintergrund­musik. Und eines kann man der verunfallten Hunde­trainerin wohl kaum vorwerfen: mangelnde Hartnäckigkeit.

Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 4. Dezember 2018, NP180018.

Kampagnen-Logo

Unabhängiger Journalismus lebt vom Einsatz vieler

Artikel wie diesen gibt es nur, wenn genügend Menschen die Republik mit einem Abo unterstützen. Kommen Sie bis zum 31. März an Bord!

Wählen Sie Ihren Einstiegspreis
Ab CHF 120 für ein Jahr