Kunst

Die Künstlerin als Selbst­verständlichkeit

Belvedere, Wien: «Stadt der Frauen»

Wien um 1900 war ein gutes Pflaster für Künstlerinnen. Trotzdem wurden diese wagemutigen Pionierinnen aus der Kunstgeschichts­schreibung eliminiert. Eine beeindruckende Ausstellung entdeckt sie nun wieder.

Von Karin Cerny, 04.02.2019

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Nackt und etwas linkisch steht eine überschlanke Mädchenfigur auf der Wiese, frontal zu uns gerichtet. Weiter hinten, ebenfalls nackt, sechs pubertierende Knaben. Sie haben sich zu Gruppen zusammengetan, gaffen neugierig. Einer von ihnen formt die Hände zum Trichter – was ruft er wohl? Eine unangenehm aufgeladene Situation. Aber das Mädchen blickt unbeirrt und selbstbewusst nach vorn. Emanzipation beginnt in jungen Jahren.

Elena Luksch-Makowsky: «Adolescentia», 1903. Belvedere Wien

Durchaus programmatisch wirkt das 1903 entstandene Gemälde «Adolescentia» der in Sankt Petersburg geborenen Malerin Elena Luksch-Makowsky, das im Wiener Belvedere gleich im ersten Raum der Ausstellung «Stadt der Frauen» zu sehen ist. Männliche Zeitgenossen wie Ferdinand Hodler oder Fernand Khnopff haben ähnliche Bilder vom Erwachen der Sexualität gemalt. Der Zugang von Luksch-Makowsky aber wirkt moderner und direkter. Es fehlen das typische Pathos, das Entrückte und das Mystifizierende in der Darstellung des Weiblichen.

Ohne Herrenbegleitung

Die Schau in Wien stellt Kunst ins Zentrum, die von Frauen geschaffen wurde und oft auch Frauen zeigt: 260 Werke, entstanden zwischen 1900 und 1938, als auch in Österreich die Nazi-Herrschaft begann. Selbstständig und selbstverständlich nehmen die dargestellten Frauen in diesen Kunstwerken öffentlichen Raum ein – ohne Herrenbegleitung.

Da spaziert eine elegante Dame mit ihrem Hund im Wald, zwei andere unterhalten sich im Prater, wieder eine nimmt ihr Frühstück allein in einem sommerlichen Lokal in Karlsbad zu sich. Auch sind viele der abgebildeten Körper nicht geschönt: Es gibt Gemälde von Frauen, deren Brüste hängen, und wuchtige Plastiken, die absolut nicht zierlich und zart sein wollen.

Dabei hatte es gerade die Bildhauerei schwer. Die vorherrschende Meinung damals war, Frauen seien nicht für die «männlichste der Künste» geeignet, das Bearbeiten von Stein würde zum «Verlust der Weiblichkeit» führen. Teresa Feodorowna Ries, die in Moskau von der Kunst­akademie flog, weil sie sich nicht anpassen wollte, kümmerte das wenig. Sie inszenierte sich auch in Wien als Diva.

Diese exzentrische Künstlerin muss eine Erscheinung gewesen sein. Zugeschnürt in einem Korsett, von Kopf bis Fuss bedeckt, sorgte sie mit monumentalen Skulpturen regelmässig für Skandale. Ihre «Hexe bei der Toilette für die Walpurgisnacht» zeigt eine wilde, halb entblösste Frauenfigur, die sich gerade die Zehen­nägel manikürt. Ihre Eva aus Marmor wirkt sogar nackt am Boden zusammengerollt stark und angriffslustig. Und das, obwohl der Akt um diese Zeit eigentlich «Männersache» war.

Von wegen «Männersache»: Frauen können sehr wohl auch Skulpturen, wie Teresa Feodorowna Ries mit «Eva» (im Vordergrund) zeigt. Johannes Stoll/Belvedere Wien

Die Frauen sollten, wenn überhaupt, lieber Blumen und Landschaften malen. Ries passte so gar nicht in diese Vorstellung – und war gerade deshalb sehr erfolgreich. Ihre Werke wurden bei zwei Welt­ausstellungen präsentiert: in Paris 1900 und in Turin 1911. Der Prinz von Liechtenstein stellte der Künstlerin eine Suite neben seiner Bildergalerie als Atelier zur Verfügung. 1938 wurde es von den Nazis im Zuge der Arisierung enteignet, ein Grossteil ihrer Werke wurde als «entartete Kunst» vernichtet.

Rebellisch und politisch

Für viele besteht die Wiener Moderne aus Klimt, Schiele, Kokoschka. Die meisten der nun wiederentdeckten Künstlerinnen fehlen in der Kunstgeschichts­schreibung. Dabei waren sie zu ihrer Zeit bekannte Persönlichkeiten. Rebellisch und politisch, konnten sie sich trotz widriger Umstände auch auf dem internationalen Markt behaupten.

1897 war es für Frauen in Wien erstmals möglich, an der philosophischen Fakultät zu studieren. Die Tore der Akademie der bildenden Künste öffneten sich für Studentinnen offiziell erst im Winter­semester 1920/1921. Die Doppelmoral der Kunst­professoren zeigte sich darin, dass sie sich zwar gegen weibliche Studierende aussprachen, aber ihnen inoffiziell gern bezahlten Privat­unterricht gaben.

Der reaktionäre Philosoph Otto Weininger schrieb in seiner 1903 erschienenen Schrift «Geschlecht und Charakter» nur der Männlichkeit die Befähigung für höhere geistige Sphären zu. Trotzdem hatten viele Frauen auf Augenhöhe mit ihren männlichen Kollegen in namhaften Galerien ausgestellt und anerkannte Werke im öffentlichen Raum geschaffen – sie wurden von der zeitgenössischen Kritik ernst genommen.

Einige organisierten sich in der Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs (VBKÖ), von der sich 1926 die «Wiener Frauenkunst» abspaltete. Andere, wie die berühmte Landschafts­malerin Tina Blau, lehnten einen Beitritt zu reinen Frauen­vereinen ab, sie wollten ungeachtet ihres Geschlechts erfolgreich sein. 1933 schrieb die Bauhaus-Künstlerin Elisabeth Gotthard in ihrem programmatischen Text «Die schaffende Frau»: «Die Künstlerin wünscht als Selbstverständlichkeit betrachtet zu werden. Eine Sonderstellung erstrebt sie in ihrem Schaffen nur auf Grund ihrer Leistungen. Nicht als soziale Schicht. Nicht als Geschlecht.»

Verschwiegen und vergessen

Faszinierend an der Schau im Belvedere ist nicht nur die emanzipatorische Leistung dieser Frauen, die sich früh Zugang zu einer Männer­domäne verschafft haben. Es überrascht im Rückblick, wie offen die Wiener Moderne mitunter war, wie viele Frauen tatsächlich Fuss fassen konnten im Kunstbereich. Und dass diese Tatsache in der Kunst­geschichte später erst verschwiegen, dann vergessen wurde. Viele Gemälde schlummerten unbeachtet in Museums­depots oder privaten Dachböden von Nachkommen vor sich hin – und wurden nun mit grossem kuratorischem Aufwand für diese Ausstellung zusammengetragen.

Helene Funke: «Träume», 1913. Johannes Stoll/Belvedere Wien

Mit Gustav Klimt und Josef Hoffmann als Organisatoren fand 1908 in Wien eine spektakuläre Kunstschau statt, Anlass war das 60-Jahre-Regierungs­jubiläum von Kaiser Franz Joseph I. – ein Drittel der Ausstellenden waren Frauen. Das ist eine Quote, von der viele zeitgenössische Museen meilenweit entfernt sind. Man übernahm in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg ungefragt die Auslöschung und Überschreibung, die von den National­sozialisten ab 1938 in die Wege geleitet wurde.

Zahlreiche der damaligen Künstlerinnen stammten aus grossbürgerlichen jüdischen Familien. Die Wiener Bildhauerin Ilse Twardowski-Conrat wählte den Freitod aus Angst vor der Deportation in ein KZ, andere emigrierten und konnten ihre Karrieren im Ausland nicht fortsetzen. Die aus Chemnitz stammende Malerin und Grafikerin Helene Funke überstand zwar den Holocaust, verstarb aber völlig verarmt 1957 in Wien.

Broncia Koller-Pinell: «Die Mutter der Künstlerin», 1907. Johannes Stoll/Belvedere Wien

Erschreckend ist aber auch der Sexismus weiblichen Kunstschaffenden gegenüber, der erst später zum Tragen kam. Die Klimt-Vertraute Broncia Koller-Pinell beispielsweise hatte zu ihrer Zeit in den massgeblichen Wiener Avantgarde­galerien ausgestellt, wo auch Werke von van Gogh und Gauguin hingen. Noch in den 1980er-Jahren wurde sie abschätzig als «malende Hausfrau» tituliert. Klar: Nicht alle der gezeigten Gemälde und Skulpturen im Belvedere sind bahnbrechende Meister­werke, aber sie müssen sich weder aus handwerklichen noch aus thematischen Gründen verstecken. Sie greifen gängige Kunst­strömungen auf, geben ihnen eine individuelle Färbung.

Spannende Biografien, eindringliche Werke

Die Biografien der hier präsentierten Pionierinnen sind aberwitzig, wenn nicht tragisch. Die lesbische Malerin Stephanie Hollenstein etwa zog verkleidet als Mann in den Ersten Weltkrieg. Sie wurde enttarnt, aber als Kriegsmalerin im k. u. k. Kriegs­pressequartier angestellt. Früh wurde sie geheimes Mitglied der in Österreich verbotenen NSDAP und nach dem sogenannten «Anschluss» eine der einflussreichsten österreichischen Künstlerinnen – trotz ihrer expressionistischen Gemälde, die eigentlich als «entartete Kunst» hätten diffamiert werden müssen.

Oder Friedl Dicker-Brandeis, Kommunistin, Innen­architektin und sozialkritische Malerin, die im KZ Theresienstadt Zeichenkurse für Kinder organisierte. Ihr Plan war, auf der Basis ihrer Erfahrung mit den Kindern eine eigene Studie über Kunst­therapie zu publizieren. Im Herbst 1944 meldete sie sich freiwillig für einen Transport nach Auschwitz – sie wollte ihren inhaftierten Mann begleiten. Er überlebte, sie starb einen Tag nach der Ankunft. Im Belvedere sind nun ihre politischen Collagen zu sehen, aber auch Gemälde, die eindringlich von Folter und Verhören erzählen.

Helene Funke: «Akt in den Spiegel blickend», 1908–1910. Johannes Stoll/Belvedere Wien

Die leuchtenden Farben einer Helene Funke gilt es zu entdecken, deren Frauen, emanzipiert und künstlerisch aktiv, Ruhe ausstrahlen. Oder den Zyklus «Das Leben der Armen ist bitterer als der Reichen Tod» von Hermine Heller-Ostersetzer, die schon früh in die Armen­quartiere zog, um das Dasein einfacher Leute zu dokumentieren. Markant auch eine Zeichnung von Trude Waehner mit dem Titel «Zukunft dieser Jugend» von 1932: Totenköpfe mit Haken­kreuzen auf den Helmen, Gewehre in Skelett­händen. Kanonenfutter.

Der männliche Kanon

«Stadt der Frauen» beschränkt sich auf die bildenden Künste. Doch eine Ausstellung wie diese wirft auch Schatten auf andere Disziplinen, die nach wie vor fest in männlicher Hand sind. Wie sieht es mit dem Kanon der Literatur und der klassischen Musik aus? Oder am Theater: Ein Blick auf die aktuellen Spielpläne zeigt Shakespeare, Ibsen und Tschechow als Dauer­brenner. Gibt es keine vergessenen Dramatikerinnen auszugraben? Oder vertraut man – wie lange in der bildenden Kunst ja auch – lieber darauf, dass nur Männer Blockbuster-Qualitäten haben?

Die Wiener Ausstellung «Stadt der Frauen» beweist jedenfalls gerade das Gegenteil. Sie ist völlig zu Recht ein Besuchermagnet.

Zur Ausstellung

Belvedere, Wien: «Stadt der Frauen». Die Ausstellung dauert noch bis zum 19. Mai 2019. Alle Infos finden Sie hier.

Zur Autorin

Karin Cerny lebt in Wien. Sie schreibt regelmässig über Theater, Literatur und Kulturpolitik im Wochen­magazin «Profil» sowie Reise- und Modegeschichten für «Rondo», die Beilage der Tages­zeitung «Der Standard». Für die Republik schrieb sie bereits über eine Ausstellung von Wes Anderson und Juman Malouf sowie über das Wiener Burgtheater als komplizierte Institution.

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