Das Leben spielt

Darfs ein bisschen weniger Gewalt sein?

Von Bettina Hamilton-Irvine, 26.01.2019

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Der schon leicht ramponierte gelbe Kleber fiel mir erst kürzlich zum ersten Mal auf. Dabei spaziere ich mehrmals pro Woche an dem Metall­pfosten vorbei, der am Eingang des kleinen Parks gleich oberhalb der Skate­anlage steht.

Seltsam, dachte ich an jenem Tag und blieb stehen, um zu sehen, was denn so wichtig sein kann, dass man es möglichst vielen Zürcher Spazier­gängerinnen mitteilen muss.

«Weniger Hass der Polizei» stand da – und ich war sofort entzückt.

Nur in der Schweiz, dachte ich, ist so etwas möglich. Da fordert tatsächlich jemand via Kleber am Pfosten mehr Verständnis für die Polizei. Seid doch nicht so unbarm­herzig den armen Ordnungs­hütern gegenüber, hörte ich den Absender sagen: Die machen schliesslich auch nur ihre Arbeit, und das gar nicht mal so schlecht. All die Wut haben sie nicht verdient. Und sowieso ist zu viel Wut ungesund.

Was ich aber besonders drollig an der ganzen Sache fand: Der Sticker rief nicht etwa dazu auf, die Polizei gar nicht zu hassen. Sondern nur weniger. Er stellte sich nicht nur schützend vor die Polizistinnen, um zu verhindern, dass ihnen zu viel Feind­seligkeit entgegenschlägt. Nein, versöhnlich streckte er auch die Hand auf die andere Seite aus, schien denjenigen, die die Polizei hassen, zu sagen: Ich verstehe euch ja auch. Eure Gefühle sind legitim. Deshalb müsst ihr auch gar nicht ganz aufhören mit dem Hass. Aber mässigt euch doch etwas. Übertreibt es nicht.

Viel schweizerischer geht es nicht, dachte ich, während ich weiterspazierte.

Der Gedanke gefiel mir: Sogar die wilde Jugend, die das dringende Bedürfnis hat, der Öffentlich­keit ihre Meinung mithilfe von Kleber­nachrichten mitzuteilen, ist konsens­orientiert. Kompromiss­bereit. Versucht beide Seiten abzuholen, um eine Lösung zu finden. Eine, die zwar weder glorios noch ideal ist, aber doch zumindest eine Verbesserung bringt. So ein bisschen wie das nationale Parlament mit seinem AHV-Unternehmens­steuer-Kuhhandel.

Von da an freute ich mich jedes Mal, wenn ich am gelben Kleber vorbei­spazierte. Zu allem Möglichen hätte man schliesslich aufrufen können. Aber der offensichtlich pragmatische Absender hatte sich entschieden, für einen gutschweize­rischen Kompromiss zu weibeln. Zu vermitteln zwischen der Polizei und der gewalt­bereiten Jugend, die sich von den Beamten gepiesackt fühlt. Nicht für ein utopisches Ideal einer Welt ohne Hass zu werben – sondern für die realistische Option einer Welt mit zumindest weniger Hass.

Dann spazierte ich wieder einmal am gelben Kleber vorbei. Noch bevor ich mich über die konsens­orientierte Schweizer Jugend freuen konnte, fiel mir etwas auf. Irritiert blieb ich stehen.

Das Männchen, das ich für eine lustige Comicfigur gehalten hatte, trat mit aller Kraft einem Polizisten – den man kaum erkennen konnte, weil dem Kleber eine Ecke fehlte – irgendwohin, wo es wehtut.

Verwirrt las ich nochmals die Nachricht und realisierte: Da stand gar nicht «Weniger Hass der Polizei». Sondern «Ewiger Hass der Polizei».

Ich seufzte leise und ging enttäuscht weiter. Meine schöne Idee von der Schweiz, in der alle zu Kompro­missen fähig und bereit sind – mit einem leisen «Plopp» verschwand sie aus meinem Kopf.

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