Preis der Republik

Es wird in Richtung Chur gebetet

Unsere Preisträgerin Natalie Rickli ist aus der katholischen Landeskirche ausgetreten. Denn demokratische Strukturen versperren die Sicht aufs Himmelreich.

Von der Republik-Jury, 24.01.2019

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Sehr geehrte Preisträgerin

Meine verehrten Damen und Herren

Geschätzte Verlegerinnen und Verleger

In letzter Zeit haben wir immer wieder von Frauen gelesen, denen der Kragen geplatzt ist: Aus Protest sind sie aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten.

Zum Beispiel die ehemaligen Nationalrätinnen Cécile Bühlmann und Ruth-Gaby Vermot. Die Theologinnen Doris Strahm und Regula Strobel. Oder die frühere Zürcher Sozial­vorsteherin Monika Stocker.

Es war der päpstliche Vergleich von Schwangerschafts­abbrüchen mit Auftrags­morden, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Auch Sie, geschätzte Natalie Rickli, Volksvertreterin der Schweizerischen Volkspartei, haben der katholischen Kirche den Rücken gekehrt. Aber bei Ihnen liegt die Sache völlig anders. Sie haben diesen Schritt nicht etwa unternommen, um gegen patriarchale Rückständigkeit Protest einzulegen. Nein, ganz im Gegenteil: Die Landeskirche ist Ihnen viel zu progressiv! Sie fühlen sich deshalb veranlasst zu einer Art innerkatholischem Konfessions­wechsel. Nicht ultra-, sondern intramontan soll künftig Ihre Orientierung sein: Wie andere Politiker, die sich konservativ nennen, beten Sie neuerdings in Richtung Chur.

Dorthin, wo Vitus Huonder thront.

So sind Sie denn, Frau Nationalrätin, zwar aus der offiziellen Zürcher Kirche ausgetreten, bezeichnen sich aber weiterhin als Katholikin. Statt Kirchen­steuer zu bezahlen, entrichten einige Ihrer Mitkatholiken von der SVP ihren Zehnten nun lieber direkt an den Bischofs­sitz in Chur. Vielleicht nicht grade einen Zehnten, eher einen Batzen, so viel scheint laut Auskunft des Bistums nämlich nicht in dem Solidaritäts­fonds zu landen.

Das Geld fliesst jedenfalls in die Schatulle von Diözesan­bischof Vitus Huonder, dessen Heils­botschaft weit über die Grenzen der Bündner Herrschaft hinausdringt in die Christenheit. Seine Gegnerinnen werfen ihm vieles vor, unter anderem Frauen, Geschiedene und Anderssexuelle auszugrenzen sowie Kondome als Teufelszeug zu geisseln. Huonders Gäste hingegen schwärmen von seinem exzellent bestückten Weinkeller.

Ob die edlen Tropfen im bischöflichen Keller aus dem erwähnten Solidaritäts­fonds finanziert werden, Frau Nationalrätin – das wissen wir nicht. Vielleicht teilt aber Seine Exzellenz aus Dankbarkeit mal eine Flasche mit seinen karitativen Wohltätern.

Den Preis der Republik – und das ist uns ein Anliegen – überreichen wir Ihnen aber nicht für den Mut, die ecclesia aeterna vor progressiven Verwirrungen zu bewahren. Sondern für die politische Konstanz, die Sie mit Ihrer Haltung an den Tag legen.

Blenden wir zurück: Letztes Jahr haben Sie eine der grossen Schlachten Ihres Lebens verloren: die No-Billag-Initiative. Sie standen an vorderster Front, als es darum ging, das öffentliche Radio und Fernsehen zu privatisieren.

Und jetzt kämpfen Sie für die Privatisierung Ihrer Kirche. Weg mit den demokratischen Strukturen der Landes­kirche! Was bringen schon checks and balances? Eine Kirche braucht keine demokratisch legitimierten Gremien, sie braucht den wahren Gott, einen Stab an Männern, die ihm ergeben dienen – und Frauen, die gehorsam hinterherbeten. Sie braucht das göttliche Recht, das schon gegolten hat, lange bevor Männer, Frauen oder sonstige Gottes­kinder so ketzerisch geworden wären, Rechte für sich zu beanspruchen.

Es gibt ein Buch, vielleicht kennen Sie es. Es trägt den Titel «Die Zukunft der öffentlich-rechtlichen Anerkennung von Religionsgemeinschaften». Geschrieben hat es Ihr politischer sidekick, Nationalrat Gregor Rutz, Ende der Neunzigerjahre. In seinem Buch findet Herr Rutz noch lobende Worte für das duale System der staatlich anerkannten Religions­gemeinschaften. Hier die – quasi – alte römische «Kernkirche», dort ihr Gegenpart, die öffentlich-rechtlich anerkannte Körperschaft: Diesem Dualismus habe es die katholische Kirche in der Schweiz etwa zu verdanken, dass sie Fortschritte bei den Grund­rechten gemacht habe. Oder in Sachen finanzielle Transparenz.

Ja, die Schweiz hat einen Weg gefunden, wie sie nicht einfach bedingungslos alles aus Rom untertänigst schlucken muss. Unser Land hat sich behauptet, hat der absolutistischen Herrschaft aus dem Ausland ein nationales, demokratisch legitimiertes Gebilde gegenübergestellt. Warum das gerade bei Ihnen als SVP-Vertreterin so schlecht ankommt, darüber können wir nur spekulieren.

Aber jetzt wollen wir lieber feiern! Eine Feier der Unbeirrbarkeit!

Nie haben Sie sich weismachen lassen, Frau Nationalrätin, dass nur der Fortschritt in die Zukunft weise. Die Zukunft, die Ihnen und Ihrem Seelen­führer vorschwebt, ist die Rückkehr in die Vergangenheit.

Sie wollten das Fernsehen privatisieren.

Sie möchten die katholische Kirche privatisieren.

Und was steht für die nahe Zukunft auf Ihrer Liste?

Am 24. März möchten Sie von den Zürcherinnen und Zürchern in den Regierungsrat gewählt werden.

Vertrauen wir also gemeinsam auf den Herrn. Auf dass das Volk einen so gottesfürchtigen Entscheid fälle, dass er auch ganz ohne Demokratie nicht weniger christlich ausgefallen wäre!

In diesem Sinne, Frau Nationalrätin, wünschen wir für die zukünftige Vergangenheit nur das Allerbeste. Wir erheben das Glas – sei es auch kein Messwein, sei er auch nicht aus diözesan­bischöflichen Kellern. Mit republikanischen Glückwünschen!

Illustration: Doug Chayka

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