Am Wegesrand

Erholung im Spukschloss

Von Ariel Hauptmeier, 22.01.2019

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Ich war für «Das Haus ohne Eigenschaften».

Doch meine Söhne haben das Hotel gleich «Das Spukschloss» getauft.

Und spooky ist es, das «Zentrum Haus» in Davos.

Es liegt am Rand des Dorfes, ein Stück den Hang hinauf, imposant und mit spitzem Giebel. Es hat noch die hölzernen Balkone der alten Sanatorien und wirkt so unrenoviert, dass man glaubt, noch immer das Husten der einstigen Kurgäste zu vernehmen.

Drinnen: kein lächelnder Rezeptionist, sondern codegesicherte Schliess­fächer. Wir öffnen unseres, da rauscht ein Mann mit Kippa und Schläfen­locken vorbei und fragt nach dem Schlüssel für die Synagoge. Welche Synagoge? Und, nein, den haben wir auch nicht gesehen.

Erst Tage später wird ein maulfauler Osteuropäer aus den Tiefen des Kellers auftauchen. Das muss der Verwalter sein. Leider spricht er weder Deutsch noch Englisch.

Im Erdgeschoss: ein leerer Speisesaal mit altmodischen Wachs­tüchern auf den Tischen, eine Selbstversorgerküche mit ausschliesslich Plastik­geschirr, Heizkörper, deren Rippen förmlich glühen, und ein Klo, durch das wie beim Gebirgs­bach das Wasser ewig plätschert.

All das – die unrenovierte Pracht, die bedenkenlose Energie­verschwendung, die vollständige Eigenschaftslosigkeit – erinnert an längst vergangene sozialistische Zeiten. Die DDR am Dorfrand von Davos.

Aber das ist gut so. Es gibt viel zu viel Luxus und viel zu wenig herrlich bizarre Unterkünfte. Wir waren gern im Spukschloss. Zumal der Aufenthalt dort unglaublich günstig ist; in der Jugend­herberge zahlt man das Doppelte.

Doch was steckt dahinter?

«Etania» prangt auf der Fassade, ein jüdischer Mädchen­name, und der führt auf die Spur: Das grosse Haus war einmal eine Heilanstalt, 1919 eröffnet, um jüdische Menschen von der Tuberkulose zu kurieren.

Deshalb also im Erdgeschoss die Synagoge. Immer wieder sehen wir orthodoxe Gläubige hineingehen, manche mit Schtreimel, einem imposanten zylinderförmigen Fellhut. Offenbar ist der Schlüssel inzwischen aufgetaucht.

Schaut man draussen den steilen Hang hinauf, ist er oben zugebaut mit Lawinen­galerien. Damals, nur Monate nach der Eröffnung des «Etania», raste eine verheerende Lawine zu Tal und begrub die Heilanstalt unter sich. «Die Schneemassen drangen durch Türen und Fenster auf der Bergseite ein, drückten im Innern der Häuser Wände und Türen ein, stürzten durch Treppen­häuser und Licht­schächte hinunter», schrieb seinerzeit die «Allgemeine Zeitung des Judentums».

Bis in die dritte Etage hoch lag der Schnee, die Feuerwehr rückte an, um den Kranken hinauszuhelfen. Einige mussten im Speise­saal ausgebuddelt werden, doch niemand kam zu Schaden. «Ein grosses Wunder», betont die Zeitschrift «Der Israelit».

Mit der Heilanstalt ging es trotzdem bergab. Die Luft­kuren trugen wenig zur Heilung bei, die Gräber auf dem jüdischen Friedhof in Davos erzählen davon. Bereits in den 1940er-Jahren entdeckte man, dass einzig Anti­biotika Tuberkulose kurieren – irgendwie rettete sich die Heil­anstalt trotzdem durch die Zeit. Erst im Jahr 2000 wurde sie geschlossen.

Seither liegt der Bau als Spukschloss im Dornröschen­schlaf.

Irgendwann wird ein Investor den Spuk beenden. Beeilen Sie sich, wenn Sie ihn noch erleben wollen.

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