Serie «Let’s Talk About Drugs» – Schluss

«Ich wünsche mir mehr Bewusstsein für das High – und für das Down»: Jessica Jurassica. zvg

Wir brauchen eine Sprache für den Rausch

Jessica Jurassica konsumiert Drogen und schreibt auf Social Media darüber. Sie reflektiert die Tabuisierung, die Narrative und den strukturellen Sexismus in der Rausch­kultur. Mit ihrem Beitrag endet unsere Serie «Let’s Talk About Drugs».

Von Jessica Jurassica, 11.01.2019

Am Yung-Hurn-Konzert in der grossen Halle der Reitschule in Bern lief ich meinem fave Berner Cloudrapper über den Weg, er war drunk, ich high, es war ein Sonntag­abend. Er sagte mir, ich müsse aufhören mit Drogen­zelebrieren, jetzt wo ich Literatur­preise gewinne und so, ich müsse weiterziehen. Ich zog am Joint, er schwankte zur Bar, Yung Hurn spielte «Eisblock».

Deine Lieblingsrapper wollen Mercedes-Benz fahren?
Ich will tausend Benzos nehmen
und dann einschlafen

Zur Autorin

Unter dem Kunstnamen Jessica Jurassica ist die 25-Jährige als Cloud-Literatin, Medienkünstlerin und Bloggerin bekannt. Sie lebt und arbeitet in Bern.

Die Show war ausverkauft, zweitausend Kids drunk und high, in der Front-Row fainteten die Fan-Girls, sie kreischten, und sie himmelten den Boy an, sie hielten ihre Phones hoch für Instagram, hin und wieder fiel eins runter im Gedränge und verschwand unter den Füssen der Masse, Yung Hurn spielte «Bianco».

Zebrastreifen am Tisch
Roll den Schein oder nicht
Der Scheiss ist weiss – Bianco, Bianco

Als ich das erste Mal jemanden ziehen sah

Ich war verkatert, in der vergangenen Nacht hatte ich Lines gezogen und gesoffen, bis es Tag wurde, in einem Haus­eingang hatte jemand Speed ausgelegt, und wir zogen, roll den Schein oder nicht, einzelne Betrunkene blieben stehen und starrten uns verständnislos an, was schaut ihr so, ist doch ganz normal, dachte ich.

Als ich das erste Mal jemanden ziehen sah, war es nicht ganz normal. Als ich das erste Mal jemanden ziehen sah, war ich sehr verliebt. Der Boy hatte eine Weile versucht, seinen Konsum vor mir zu verbergen, er fand, ich sei zu jung, er war ein paar Jahre älter als ich. Eines Nachts zog er dann doch vor meinen Augen, ich weiss es noch genau, ich fand es befremdend, er zog die Line vom Display seines Samsung-Telefons, ich fand es aufregend und sexy.

Der Boy war der Meinung, Amphetamin sei nichts für mich, MDMA aber schon, ich glaubte ihm, denn ich war verliebt, und ich wusste nichts oder wenig über Drogen, also nahm ich die Pille, die er mir gab. MDMA war nicht wirklich was für mich, ich nahm es trotzdem immer wieder, ich verstand nicht so ganz, was diese Droge mit mir machte. Ich verstand nur, dass Drogen verboten sind und deshalb aufregend, in der Schule hatte ich gelernt, dass wenn man zu kiffen beginnt, man früher oder später beim Heroin landet.

Einmal schmissen dieser Boy und ich gemeinsam eine Pille, und ich lag in seinem Schoss, er sagte mir, dass er krank sei, dass er vielleicht sterben würde, er sagte, dass er ein Schmetterling sei oder irgend so ein Scheiss, ich schaute ihn an mit grossen Pupillen, und ich weinte. Einmal gab er mir Valium, ich nahm es, das High war schön, die Welt war in Watte getaucht, und irgendwann schlief ich einfach ein, ich schlief sehr lange.

So habe ich angefangen zu konsumieren und verschiedene Substanzen kennengelernt. Ich wusste nicht, was ich nahm und in welcher Dosis, was das mit mir machen würde, ich war verliebt, ich hätte für diesen Boy alles getan, es war eigentlich ganz o. k., es hätte schlimmer sein können. Diese Erfahrungen hätte ich sowieso irgendwann gemacht, der Rausch, die Bewusstseins­erweiterung faszinierten mich und zogen mich an, weniger aus einer hedonistischen Motivation heraus als aus intrinsischem Interesse.

Serie «Let’s Talk About Drugs»

Wie könnte man in der Drogen­politik – analog zur regulierten Heroin-Abgabe zu Beginn der Neunziger­ – Fortschritte erzielen, die der organisierten Kriminalität schaden und Konsumenten sauberen Stoff garantieren? Über solche Fragen sprechen wir mit Fachleuten in der Schweiz und den USA.

Teil 3

Carl Hart, Abhängigkeits­forscher

Teil 4

Thomas Fingerhuth und Stephan Schlegel, Betäubungsmittel­gesetz-Experten

Teil 5

Toni Berthel, Präsident der Eid­ge­nös­si­schen Kommission für Sucht­fragen

Teil 6

Andrea Caroni, FDP-Ständerat

Sie lesen: Schluss

Jessica Jurassica, Bloggerin

Erfahrungen mit illegalen Rausch­mitteln und bewusstseins­erweiternden Substanzen müssen immer ausserhalb des gesetzlich geschützten Rahmens gesucht werden, im Untergrund der Gesellschaft, in subkulturellen Milieus. Diese Milieus sind vielfältig, es gibt solche, wo ein sehr verantwortungsvoller Umgang mit dem Konsum gepflegt wird, man sich umfassendes Fachwissen angeeignet und eine ausgefeilte Sprache für die gemeinsame Reflektion der Erfahrungen ausgearbeitet hat. Es gibt aber auch subkulturelle Milieus, wo verantwortungslos und gefährlich konsumiert wird, und sei es nur deshalb, weil es keine gemeinsame Sprache gibt, die es erlauben würde, die eigenen Erfahrungen weiterzugeben und diese überhaupt zu verstehen, denn für Reflexion und Verständnis braucht es eine Sprache.

Im sozialen Abseits

Wenn man beginnt Drogen zu konsumieren, ist man meistens relativ jung, und man wird in einem dieser subkulturellen Milieus sozialisiert, in einem ungeschützten sozialen Mikrokosmos. Sobald es um illegale Substanzen geht, bewegt man sich in einer Sphäre ausserhalb des gesetzlichen Rahmens, in einer gesellschaftlichen Parallel­sphäre, denn der Legalstatus bestimmt in den meisten Fällen den moralischen Status. In dieser Sphäre steht man ausserhalb des moralisch Akzeptierten und mittendrin im Tabu, im Stigma, im sozialen Abseits, im Untergrund.

Der einzige Ort, wo der Konsum illegaler Substanzen von den Subkulturen den Weg an die Oberfläche der Gesellschaft findet, ist die Popkultur. Die Popkultur darf, was die gesellschaftlichen Normen nicht erlauben, die Popkultur tut, was die Gesellschaft gerne tun würde, aber nicht darf. Dafür wird sie gefeiert, und dadurch schafft sie einen Rahmen, um über Drogen zu reden und idealerweise eine sinnvolle Sprache für die Erfahrung des Konsums zu entwickeln.

Üblicherweise bleibt der Drogen­konsum in den Subkulturen verborgen, aber die Popkultur geniesst die Freiheit, den Konsum offen zu thematisieren und anzusprechen, oft tut sie das in einer unreflektierten, glorifizierenden Sprache. Das masslose Zelebrieren ist ein Gegenreflex, eine unmittelbare Reaktion auf das Tabu, es ist das einzige Mittel, das Tabu und die damit einhergehende Stigmatisierung zu brechen. Im Moment dieser Diskrepanz zwischen Stigmatisierung und Glorifizierung steht die Popkultur da wie ein rebellierender Jugendlicher, und die Gesellschaft versucht sie in die Schranken zu weisen, ihr die Grenzen aufzuzeigen, wie eine überforderte Sozialarbeiterin. 2014 war die österreichische Rap-Legende Money Boy beim Jugendsender Joiz eingeladen und führte mit Moderatorin Alexandra Maurer folgenden Dialog über Drogenkonsum:

Money Boy: Das Album selber repräsentiert halt Turn-up, Party, Drogen, MDMA, Heroin, Kokain, Alkohol.

Alexandra Maurer: Und das findest du gut?!

Money Boy: Bei Partys und so jedenfalls etwas sehr Nices. Was natürlich auch all den Leuten, die die Sendung sehen, zu empfehlen ist, halt dass wenn die auch up-turnen wollen.

Maurer: Nein. Nein, nein, nein, nein. Sorry. Nein. Gar nicht.

Money Boy: Also ich mein jetzt partymässig …

Maurer: Nein.

Money Boy: Äh …

Maurer: Hast du jetzt wirklich grad gesagt, du kannst es den Leuten draussen empfehlen, wenn sie partymässig so Vollgas geben wollen, zu Drogen zu greifen?!

Eigentlich wäre es doch die Aufgabe des Journalismus, durch einen beobachtenden Blick diese Stigmata und Tabus zu überwinden, die Dinge in ihren komplexen Zusammen­hängen zu erfassen und das, was sich in den Subkulturen abspielt, darzustellen, ohne die immer selben Narrative zu reproduzieren. Aber dieses Projekt scheint zum Scheitern verurteilt, in jeder verdammten Koks-Doku sieht man einen Typen mit Kapuze im Gegenlicht mit verzerrter Stimme, der diese Narrative ausbreitet und erzählt, wie furchtbar schlimm abhängig er gewesen und wie er reingerutscht sei. Wenn ich das als Gelegenheits­konsumentin sehe, dann fühle ich mich komplett missverstanden und verarscht. Dieses Narrativ ist so verdammt verhärtet, es lässt sich im ersten Moment nur breaken, mit dem, was Money Boy bei Joiz getan hat: Drogen völlig masslos zu zelebrieren.

O. k., cool, dachte ich und: Scheisse

Ich habe irgendwann begonnen, über meinen eigenen Drogen­konsum und jenen in meinem Umfeld zu schreiben und zu sprechen und dadurch den Konsum überhaupt zu verstehen. Ich habe begonnen, den Rausch zu verstehen und das High, den Kater, das Down, die psychedelischen Qualitäten, die Psychosen, die sozialen Mechanismen in einem drogen­affinen Umfeld, die Auswirkung meiner Hormone auf den Konsum, dass mich die meisten Substanzen in der rückläufigen Phase meines Zyklus massiv härter ficken.

Was ich will und was ich suche beim Schreiben über die Drogen, ist eine beobachtende Sprache zwischen festgefahrenem Narrativ und masslosem Zelebrieren, und ich will es nicht alleine tun, sondern im Kollektiv, und wo geht das besser als in der Cloud. Also habe ich mir am Weltdrogentag einen Twitter-Account erstellt, in meinem ersten Tweet ging es um Amphetamin: «fahre high-speed auf der autobahn / bis übermorgen». Nach ein paar Monaten resonanz­losem Drogen-Grind auf Twitter schrieb mir eine Userin, dass sie meine Tweets möge und meine Sprache szenografische Qualitäten habe, und fügte an: «omggg hilfe ich glaube ich werd so wie du also weil ich bin 15 und hab halt so paar sachen ausprobiert (weed hasch mdma speed ritalin xannax 2cb usw).» O. k., cool, hab ich gedacht und: Scheisse.

Die Welt der Drogen ist eine männliche. Männer konsumieren mehr und öfter als Frauen, es gibt unzählige männliche Drogenvorbilder, meist Popstars, aber kaum weibliche. Wenn weibliche Fans männliche Popmusiker anhimmeln, dann ist das problematisch, weil in dieser Beziehung ein in hetero­normativen Systemen funktionierendes Macht­verhältnis entsteht. Stell dir vor, du bist ein Teenage-Girl, und dein Crush, der Boy, den du anhimmelst, für den du dich in die Front-Row drängst, für den du dein Handy fallen lässt, stell dir vor, dieser Boy droppt folgende Zeilen, in welchen Drogen­konsum auf ein toxisches hetero­normatives Macht­verhältnis trifft:

Sie sagt zu mir, sie will Weed haben, ja
Fick’ sie am Klo, Fashionweek-Party, ja
Ich mach’ Schluss und sie weint, weint, no no
In mei’m Herz drin Eis, Eis, ja
Nasenlöcher beide weiss, weiss, ja
(Yung Hurn, 1220, Eisblock)

Lines unter Frauen

Weibliche Bezugs­personen sind wichtig, um sich als Girl auch ausserhalb dieser toxischen hetero­normativen Hegemonien mit Drogen­konsum auseinandersetzen zu können und bestenfalls von Frauen sozialisiert zu werden. Es ist was anderes, wenn ich mir mit meiner Boys-Crew was reinpfeife, als wenn ich das mit meiner Girl-Gang tu. Es ist was anderes, wenn ich mit einem Homegirl Lines ziehe und wir die ganze Nacht Texte schreiben, als wenn ich mit einem Fuckboy Lines ziehe und wir die ganze Nacht vögeln. Ich höre Rap-Texte von einer Frau anders als Texte von einem Mann, ich kann mich mit ihr stärker oder überhaupt identifizieren, ich objektiviere sie nicht, wie ich es vielleicht bei einem Yung Hurn tu, den ich hot finde, mit dem ich sofort knutschen und Lines ziehen würde im Backstage oder so. Wenn Yung Hurn von Drogen spricht, ist das für mich was anderes, als wenn Haiyti von Drogen spricht, denn wenn Haiyti von Drogen spricht, dann ist das für mich Empowerment:

Schmeiss ein Teil oder zwei, trinke zwei oder drei Drinks
Du bist zu Hause, ich häng ab auf der Meile
Ich sippe in Kneipen, du würdest nicht reingehn
(...)
Von Tresen zu Tresen, von Kneipe zu Kneipe
Mal Kippe im Longdrink, mal Pille im Cocktail
Mal Rippe gebrochen, doch Tausi im Pocket
(aus: Speedleiche)

Dass Frauen seltener Drogen konsumieren als Männer, hat verschiedene Gründe. Zum Beispiel wird Mädchen beigebracht, immer vorsichtig zu sein, sich nicht zu sehr gehen zu lassen, Mädchen sollen nicht laut sein, Mädchen auf Koks sind keine Mädchen mehr, weil es gibt keine Substanz, die Männlichkeit besser verkörpert als Koks, und letztlich ist eine Frau, die aus der Nase blutet, weil sie zu viel gezogen hat, dann auch nicht wirklich sexy, das will man nicht sehen, eine blutende Frau, die soll sich einen Tampon reinstecken und im Verborgenen bluten.

Ausserdem werden durch den Kokain­konsum angeeignete Eigenschaften von einer leistungs­orientierten, kapitalistischen Gesellschaft besonders belohnt, weil sie sich mit einem stereotypen männlichen Habitus decken und die beschriebene Gesellschaft auf patriarchalen Hegemonien basiert. Deshalb wäre es wohl ein grosser Schritt Richtung Untergang des Patriarchats, wenn Frauen mehr koksen würden.

Trippen in der Leistungsgesellschaft

Männer konsumieren aber nicht nur häufiger harte, aggressive Drogen, sondern haben auch bei feineren, bewusstseins­erweiternden Substanzen wie LSD einen Vorsprung. Das ist insofern als Vorsprung zu werten, als der Acid-Trip eine wichtige Erfahrung für die persönliche Entwicklung sein kann. Es ist nicht o. k., wenn Frauen diese Erfahrungen und Möglichkeiten der Selbsterkenntnis und -entwicklung, des Neuro-Enhancement, also der Steigerung der eigenen mentalen Fähigkeiten, aus strukturellen Gründen vorenthalten bleibt.

Das mit dem Neuro-Enhancement durch den Konsum bewusstseins­erweiternder Substanzen ist dann aber auch wieder eine problematische Sache. Es ist zwar ein schöner Gedanke, aber einer, der sich nur zu leicht in eine kapitalistische Ideologie integrieren lässt. Wie zum Beispiel dieser Microdose-Trend: LSD konsumieren, um eine bessere Arbeitskraft zu werden, aber ja nicht zu viel, sonst beginnt man noch, das System zu hinterfragen.

Aus derselben kapitalismus­kritischen Intuition heraus neige ich dazu, eine unkontrollierte Legalisierung illegaler Substanzen abzulehnen. Wenn Drogen vom freien Markt vereinnahmt werden, wenn Subkulturen plötzlich vermarktet werden können, weil sich der Legalstatus von jenem Faktor, den die Subkultur zur Subkultur macht, verändert hat, dann fick mich. Der freie Markt ist mindestens so beschissen wie der Schwarz­markt, er funktioniert nach denselben Regeln, im Idealfall mit etwas weniger Gewalt, mit etwas weniger Blut, aber er generiert und reproduziert dieselben hegemonialen Strukturen.

Der Drogenkonsum hat immer auch einen gesellschafts­kritischen Faktor, eine Gegen­haltung, ein bisschen Rebellion, egal ob es beim Konsum um puren Hedonismus oder Reflexion und Bewusstseins­erweiterung geht, egal ob es dich kurz- oder längerfristig davon abhält, für das System nützliche Arbeit zu verrichten, weil du high oder wasted bist, oder ob es dich anregt, Dinge infrage zu stellen. In beiden Fällen schadet der Konsum einem leistungs­orientierten System. Ich glaube aber nicht daran, dass uns bewusstseins­erweiternde Substanzen retten werden, indem sie uns zeigen, wie schlecht die Welt ist, in der wir leben, wie furchtbar das ganze Leid und die Herrschafts­verhältnisse sind. Ich glaube nicht daran, dass jeder und jede einfach mal einen ordentlichen Acid-Trip durchleben sollte, und dann haben sich alle strukturellen Probleme und alles Leid der Welt aufgelöst.

Ayahuasca in misogynen Strukturen

Im selben Jahr, als Money Boy in der Joiz-Sendung alle Tabus gebreakt hat, indem er den Shit real keepte, war ich ein halbes Jahr in Südamerika unterwegs, wie man das halt so macht Anfang zwanzig: Selbstfindungs­­trip, spirituelle Selbst­erweiterung, flirten am Strand, unbeholfenes Salsatanzen, barfuss im Dschungel, dies und das. Auf dieser Reise landete ich irgendwann in einem Ayahuasca-Zentrum im kolumbianischen Urwald, und ich ging spontan mit an eine Zeremonie.

Die Ayahuasca-Tradition in dieser Region ist ganz ähnlich wie in anderen Regionen, wo solche Zeremonien abgehalten werden, nur gibt es ein paar kleine Unterschiede: Hier ist Ayahuasca nicht personifiziert als la abuela, also die Grossmutter, sondern es ist el abuelo, der Grossvater. Frauen ist es untersagt, bei der Zubereitung der Medizin anwesend zu sein, und an der Zeremonie selbst treten erst die Männer zum Schamanen, und erst danach sind die Frauen an der Reihe. Ich habe keine Ahnung, weshalb das in dieser einen kleinen Ecke Kolumbiens so misogyn läuft, aber offenbar bringt es dir auch nichts, wenn du dein ganzes Leben lang Ayahuasca ballerst. Wenn du in misogynen Strukturen verankert bist, ist es sehr wahrscheinlich, dass du auch ein misogyner Wichser bist, da hilft dir keine spirituelle Bewusstseins­erweiterung der Welt.

Ayahuasca ermöglichte mir, mich selbst und die Welt aus einer anderen Perspektive zu sehen, und stiess einige nachhaltige Reflexionen an, sie gab mir eine gewisse Gelassenheit und grosse Orientierungs­losigkeit. Ich hatte den Tod gesehen, und diese Begegnung hatte mir zwar die Angst vor dem Sterben genommen, aber ich war traumatisiert vom durchlebten Trip. Es hat mich gefickt, über ein, zwei, drei Jahre hinweg immer wieder psychotische Episoden, Dissoziationen und Manie, harte Alkohol­­phasen, Entzugs­erscheinungen, alles war aus den Fugen geraten.

Was ich mir wünsche

Weil es immer irgendwie ging ohne Hilfe, suchte ich mir keine, obwohl ich sie gut hätte gebrauchen können, ich war unfähig, mir Hilfe zu suchen, ich wusste nicht, wie darüber sprechen, mir fehlte die Sprache, um die Drogen- und die Psychose­erfahrung thematisieren und reflektieren zu können. Mir fehlte die Sprache, weil ich keine sinnvolle gelernt hatte, um darüber zu sprechen, weil die Gesellschaft keine hat, weil vor diesen Dingen das Tabu und das Stigma steht wie eine sehr massive und sehr langweilige Betonwand.

Vielleicht ist es die Literatur, die fähig ist, die Verantwortung zu übernehmen, eine solche Sprache zu entwickeln, aber erst wenn nicht mehr jedes literarische Werk, das von Drogen handelt, als Popliteratur gelabelt wird und das Thema endlich in seiner gesamt­gesellschaftlichen Relevanz ernst genommen werden kann. Vielleicht kann dieser Prozess und der Bruch mit den festgefahrenen Narrativen auch durch einen progressiven Journalismus unterstützt werden.

Solange aber bewusstseins­erweiternde Substanzen den Rechtsstatus behalten, den sie zurzeit haben, lassen sich die Narrative nur schwer brechen. Solange man als Konsumentin kriminalisiert und dadurch straight ins moralische Abseits befördert wird, läuft man Gefahr, im falschen rechtsfreien subkulturellen Milieu sozialisiert zu werden. Drogen müssen legalisiert oder mindestens entkriminalisiert werden, damit überhaupt eine sinnvolle gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Rausch stattfinden kann, damit wir als Gesellschaft eine Sprache für den Rausch entwickeln können.

Ich wünsche mir eine Legalisierung illegaler Substanzen und eine kontrollierte Abgabe, die nicht vom freien Markt vereinnahmt werden kann. Ich wünsche mir Aufklärung und weniger Dreck und Blut im Stoff, ich wünsche mir mehr Freude am Rausch und mehr Bewusstsein für das High und genauso für das Down. Ich wünsche mir reflektierte Drogen­vorbilder und dass Frauen häufiger koksen und trippen. Ich wünsche mir eine Sprache für den Konsum bewusstseins­erweiternder Substanzen, eine Sprache jenseits unreflektierten Zelebrierens und jenseits festgefahrener Narrative.

Serie «Let’s Talk About Drugs»

Teil 3

Carl Hart, Abhängigkeits­forscher

Teil 4

Thomas Fingerhuth und Stephan Schlegel, Betäubungsmittel­gesetz-Experten

Teil 5

Toni Berthel, Präsident der Eid­ge­nös­si­schen Kommission für Sucht­fragen

Teil 6

Andrea Caroni, FDP-Ständerat

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