Herd und Hof

Illegale Köstlichkeiten

Von Michael Rüegg, 10.01.2019

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Zu den beliebtesten TV-Sendungen ambitionierter Hobby­köche gehört «Chef’s Table» auf Netflix.

Das ist food porn in Reinkultur. Man schaut einigen der besten Köchinnen der Welt über die Schultern und denkt: Wow! Irgendwo zwischen Inspiration und Verzweiflung darüber, dass man selber im Vergleich zu denen nichts kann. Egal, wie sehr man sich bemüht. In die kulinarische Super League werde ich nie aufsteigen. Da kann ich noch so viele Consommés, Fonds und Onsen-Eier zubereiten.

Staffel um Staffel von «Chef’s Table» bringt Netflix heraus. Zu Beginn ackerte die Serie die Weltrangliste der besten Restaurants herunter. Dann rückten die Produzenten etwas von ihrer Masche ab. Nun porträtierten sie eine andere Klasse von Charakteren: Menschen, die Restaurants auch für Normalsterbliche führen. Etwa den Herrn, der in Istanbul echt krasse Kebabs anbietet. Oder die Nonne in Korea, die für ihre Schwestern am Herd spirituelle Mahlzeiten kocht.

Und dann ist da noch Cristina Martinez.

Eine Mexikanerin, die als junge Frau vor ihrem gewalttätigen Ehemann und dessen Schreckschraube von Mutter in die USA floh. Dabei einen tagelangen Fussmarsch durch die Wüste überlebte. In den Staaten angekommen, landete sie wie viele Einwanderinnen als Aushilfe in einer Restaurantküche. Dort lernte sie ihren zweiten Mann kennen. Das Paar startete sein eigenes Lokal, in Philadelphia, wo Martinez gestrandet war.

Erst verkauften sie mit Erfolg Schweinehirn-Tacos. Dann barbacoa. Das geht im Original etwa so: ein Lamm häuten, grob zerteilen und in ein Erdloch mit glühender Kohle stopfen. Orangen darüber ausdrücken. Mit Agavenblättern zudecken und mit Papier belegen. Deckel drauf, mit Lehm abdichten. Lange warten. Und dann mit Tortillas servieren.

Im verfressenen Philly verbreitete sich die Nachricht von Martinez’ barbacoa wie ein Lauffeuer. 2016 wählte das Foodmagazin «bon appétit» ihr Lokal South Philly Barbacoa zu einem der zehn besten neuen Restaurants der USA. Genauer gesagt, zur Nummer sechs.

So weit, so gut. Wäre Cristina Martinez nicht eine undocumented immigrant, eine Papierlose. Der gefeierte Kochstar an der US-Ostküste dürfte also gar nicht erst im Land sein. Ihr Coming-out als Illegale tat dem Erfolg des Tacoladens jedenfalls keinen Abbruch – im Gegenteil. Der Konsum von barbacoa wurde damit gleichzeitig zum Protest gegen die als unmenschlich wahrgenommene Einwanderungspolitik der USA. Und Martinez’ Lammtacos machten die Köchin zu einer bekannten Aktivistin für die Anliegen von Sans-Papiers.

Es ist verrückt: Weltweit werden Menschen als «illegal» deklariert und ausgeschafft. Aber noch nie wurde irgendwo ein guter Taco, eine köstliche Frühlingsrolle oder ein schmackhaftes Curry des Landes verwiesen.

Liebe geht eben durch den Magen.

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