Der atypische Schwarze

Er begann als Leichtathlet und Informatikstudent. Heute ist Papis Loveday Model und mischt das deutschsprachige Reality-Fernsehen auf, zuletzt «Switzerland’s Next Topmodel».

Ein Interview von Solmaz Khorsand (Text) und Matthias Ziegler (Bilder), 03.01.2019

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Am Anfang seiner Karriere war Papis Loveday beleidigt, wenn ihn Fotografen herumkommandiert haben. Heute gilt für ihn: «Lass nicht sie bestimmen, sondern umgekehrt.»

Manche Trends sind überbewertet. Fett aufgedruckte Logos zum Beispiel. Sie nehmen Papis Loveday den ganzen Spass. Was hat es denn für einen Sinn, wenn er sofort weiss, dass sein Gegenüber Gucci trägt? Er will es erraten am Schnitt, am Muster, an den Farben, nicht an den fünf Buchstaben, die protzig lieblos quer über die Brust geklatscht wurden. Es beleidigt seinen Berufsstolz. Papis Loveday ist Model.

Die Medien hypen den 41-Jährigen als das erfolgreichste schwarze Männermodel weltweit. Er selbst kann das nicht bestätigen, wehrt sich aber auch nicht gegen die Zuschreibung. Schliesslich ist er schon für alle gelaufen, von Versace über Valentino bis Armani und Yves Saint Laurent. Die Liste ist lang.

Ursprünglich stammt Loveday, der mit bürgerlichem Namen Pape Badji heisst, aus Dakar, Senegal. Nach dem Abitur kam er mit einem Sportstipendium fürs Informatikstudium nach Paris. Dort wurde er beim Lauftraining entdeckt und prompt für eine Kampagne von Benetton gebucht. Das war vor fünfzehn Jahren. Seither verdient er sein Geld mit Modeln.

Und seit 2014 bringt er es auch anderen bei.

In der Reality-TV-Show «Austria’s Next Topmodel» liess er als catwalk coach seine Schützlinge mit überkreuzten Beinen den arroganten Gang üben. Streng, schrill, provokant und immer mit dem Gestus einer Topmodel-Diva alter Schule. Heidi Klum gefiel das. Auch sie liess Loveday «ihre Mädchen» in «Germany’s Next Topmodel» drillen.

Im Herbst feierte er sein Debüt in der Schweiz. Als Juror in der ersten Staffel von «Switzerland’s Next Topmodel» bescheinigte er den Kandidaten und Kandidatinnen Folge um Folge, ob sie fabulous sind – oder nicht. Und ob sie das Zeug haben, das Leben als Show zu begreifen. Denn nur so habe man sein Leben zu leben, erklärt er bei einem Beef Tatar im Hearthouse, einem Private Member Club in München, seiner Wahlheimat. Ein Gespräch über Zürcher Understatement, darüber, wie seine Agenten die Designer früher überzeugen mussten, dass er nicht der typische Schwarze sei, und was Models von Prostituierten unterscheidet.

In der Regel nehmen Sie mehrere Outfits zu Interviewterminen mit, warum heute nur einen Anzug, Herr Loveday?
Ich habe keine Outfits mitgebracht, weil ich den Ort hier kenne und weiss, wie ich hier aussehe.

Sie wussten: Egal, wo der Fotograf Sie platziert, ob im Treppenhaus oder an der Bar, Ihr grüner Anzug mit den roten Blümchen passt überallhin? Was denken Sie denn? Natürlich! Ich bin eine Show. Alles hat zu passen. Wenn Sie die Show nicht ernst nehmen, werden Sie nicht glänzen. Und ich liebe es zu glänzen, sorry. In dem Moment, wo ich aus dem Haus gehe, ist die Welt mein runway, sonst kann ich gleich zu Hause bleiben. Das Leben ist eine Show.

«Fierce», mit Biss, so bezeichnet Papis Loveday seinen Gesichtsausdruck auf Fotos. Der funktioniere immer.

Ist das Ihr Lebensprinzip?
Dein Leben muss eine Show sein. Dann geniesst du es auch. Und was gibt es Besseres als eine Show?

Das klingt oberflächlich.
Die Show ist nicht oberflächlich. Wenn du die Show nicht ernst nimmst, wirst du nicht glänzen. Ich mag es nicht, wenn Leute sagen, dass Mode oberflächlich ist. Eine Show ist eine Show, und sie hat Essenz.

In Ihrer Heimat Senegal hält man Modeln für oberflächlich. War das nicht der Grund, warum Sie Ihrer Familie so lange nichts von Ihrem Job erzählt haben?
Im Senegal kann sich niemand vorstellen, dass man so eine Familie ernähren kann. Du kannst deiner Familie nicht sagen, dass du dein Studium geschmissen hast, um zu modeln. Das war der Grund, warum ich es niemandem gesagt habe.

Bis es eine Freundin Ihrer Mutter erzählt hat.
Fünf Jahre habe ich es niemandem erzählt. Dann gab es in «Paris Match» einen Beitrag über mich, dass ich das erste schwarze Männermodel bin, das auf der Pariser Fashion Week siebzehn Shows gelaufen ist. Da war ein kurzer Beitrag mit einem Foto von mir in Givenchy, mit Zylinder. Meine Mutter hat mir das am Telefon erzählt, und ich war ganz schockiert. Aber sie fand es gut, weil es ihre Freundin gut fand. Dann habe ich ihr gestanden, dass ich mit diesem Job seit fünf Jahren das Geld verdiene, mit dem ich ihr ein Haus gekauft habe.

Woher dachte Ihre Mutter, dass das Geld kommt? Sie waren ja offiziell Informatikstudent in Paris.
Ich habe ihr erzählt, dass ich als Caterer arbeite, aber sie hat gespürt, dass man damit nicht viel Geld in Europa verdienen kann. Sie hat immer gesagt, ich hoffe, du machst nichts mit Drogen oder Prostitution.

Das wäre ein Schock gewesen für Ihre Familie. Sie stammen aus «gutem Haus», wie man so schön sagt. Ihre Mutter war Diplomatin, Ihr Vater Militärarzt.
Wir waren nicht reich, aber meine Mutter hat immer gearbeitet. Mein Vater hatte ja noch zwei weitere Frauen, aber es war das Gehalt meiner Mutter, mit dem sie uns, ihre sechs Kinder, durchgebracht hat. Wir alle waren auf Privatschulen und manche von uns auch auf Privatunis. Ihr war es sehr wichtig, dass wir alle studieren. Nach der Arbeit im Aussenministerium hat sie am Abend immer kontrolliert, ob wir die Hausaufgaben gemacht haben. Wenn nicht, gab es etwas hinter die Löffel. Ihr habe ich es auch zu verdanken, dass ich mit einem Stipendium in Frankreich studieren konnte.

Man sieht Ihnen die soziale Herkunft an. Ihr Gestus und Ihr Habitus sind sehr selbstbewusst. Wie kommt das im Modelbusiness rüber?
Viele Leute haben anfangs immer gesagt, ich sei anders als die anderen Schwarzen, vom Verhalten und von den typischen Statements her.

Was für Statements machen typische Schwarze?
Ich stellte mich nie dar wie ein Fremder, einer, der nicht aus Europa kommt. Für mich ist jede Stadt und jedes Land auch meine Stadt und mein Land. Ich bin nicht einer, der von unten zu den anderen hochsieht, nur weil er hierhergekommen ist.

Und das tun die anderen Schwarzen?
Ich weiss, dass es Menschen gibt, die dieses Gefühl haben und es mit sich tragen, egal, wohin sie gehen. Sie denken sich: «Oh, ich fühle mich hier nicht wohl und zugehörig.» Ich habe diesen Komplex nie gehabt.

In einem Interview haben Sie einmal erzählt, dass die Designer Sie geliebt haben, weil Sie nicht so typisch schwarz ausgesehen haben. Was heisst das?
Sehr dunkle Haut, grosse Lippen, grosse Nase, grosse Statur und sehr grosse Hände – so wurde «schwarz» in der Mode verstanden. Heute ist die Modeindustrie offen für Afrika. Jetzt siehst du von sehr hell bis ganz schwarz, von der kleinen Nase bis zur ganz grossen, die gesamte Palette. Als ich angefangen habe, war das noch nicht so. Damals musste mein Booker die Designer überzeugen: Ihr müsst euch den ansehen, er ist nicht der typische Schwarze.

Zu sehr setze die Modewelt derzeit auf Instagram-Sternchen statt auf richtige Models: «Die haben keine Ahnung von Fashion. Die fragen noch: Wer ist dieser Givenchy?»

Was haben die Designer gesagt?
Sie gaben ihm recht: die feine Nase, das feine Kinn, die feinen Lippen. Du bist nicht sehr schwarz. Ich habe das sehr oft in meiner Karriere gehört. Ich glaube, dass sie das auch gepusht hat.

Wie haben Sie sich gefühlt, wenn Sie für Ihr nicht typisches Schwarzsein gelobt wurden?
Ich habe mich anders und speziell geführt. Aber ich habe mir innerlich auch gedacht, ach ihr dummen Leute, meine halbe Familie hat eine grosse Nase. Aber ich lasse so etwas nicht an mich herankommen. Wenn du alles, was sie sagen, an dich herankommen lässt, ist es ein nie endender Kampf. Ich habe Freunde, die nie aufhören zu kämpfen. Sie fragen mich dann: Hörst du diese Sachen nicht?! Natürlich höre ich es, aber ich ignoriere es. Es bringt nichts, sich aufzuregen. Es wäre nur eine Diskussion, die nie enden würde.

Betrachten Sie sich als politische Person?
Nein, ich verfolge Politik ein bisschen. Die «Tagesschau» schaue ich mir an.

Auf Instagram posierten Sie vor knapp einem Jahr mit Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz, der einer rechtspopulistischen Koalition vorsteht. Sie gratulierten ihm zu seinem Wahlerfolg als «jüngstem Bundeskanzler».
Ich kenne Sebastian Kurz. Damals, als ich ihn getroffen habe, stand er noch für etwas, aber jetzt ist er mit dieser anderen Partei …

Mit der FPÖ.
Aber das hat auch damit zu tun, dass man die Macht nicht verlieren will. Wenn er nicht mit denen koaliert hätte, hätte er verloren.

Unterstützen Sie seine Politik?
Nein, aber ich verfolge Politik nicht, ich habe dafür keine Zeit.

Bereuen Sie das Foto?
Ja, das tue ich, ich würde es nicht wieder tun.

«Für mich ist jede Stadt und jedes Land auch meine Stadt und mein Land.»

Zurück zu Ihrem eigentlichen Business, der Mode. Sie diagnostizieren im deutschsprachigen Privatfernsehen, ob junge Deutsche, Österreicher oder Schweizerinnen das Zeug zum Modeln haben. Wie unterscheiden sich diese drei Länder in ihrem Modebewusstsein?
Für jemanden, der nicht in dem Business arbeitet, sehen die Menschen in München, Wien und Zürich alle gleich aus. Sie sind alle funktional gestylt. Praktisch und sauber. Aber am Abend sieht man die Unterschiede.

Die da wären?
Die Münchner sind glamouröser. Sie stylen sich sehr fett. In Wien sind sie mehr sexy. Sie zeigen mehr Haut und Beine.

Billiges sexy?
Nein, gute Qualität sexy. In Wien hat mich schockiert, dass die Leute im selben Outfit zuerst in einen glamourösen Club gehen und danach in einen Undergroundclub. Im selben Outfit! Das würde es in München nie geben. Jemand, der glamourös angezogen ist, bleibt in seinem Club.

Und in Zürich?
Sie sind sehr stylish, aber ein bisschen schüchtern, nicht so sexy wie in Wien und auch nicht super glamourös wie in München, aber tragbare und solide Looks für die Nacht.

Wer sich als Laie diese Modelshows ansieht, denkt sich: Das ist Unterhaltung auf Kosten junger Mädchen und Buben. Mit Mode hat das nichts zu tun.
Es hat schon mit Mode zu tun. Die Fotoshootings sind zwar ein bisschen extrem, aber es geht auch um die Zickereien unter den Teilnehmern. Auch das ist Teil der Modebranche. Auch Claudia Schiffer und die ganz Grossen haben sich angezickt. Und um Shootings zu bekommen, musst du kämpfen. Auch ich hatte diese Kämpfe am Anfang, bis der Booker eines Tages gesagt hat: Du brauchst nicht zum Casting zu kommen, sie wollen nur dich, exklusiv.

Diese Shows werden vor allem von Teenagern gesehen. Und die Botschaft ist klar: Unterwirf dich dem Willen der Juroren, lass dir die Haare schneiden, zieh dich nackt aus, demütige dich auf einem nassen Laufsteg in wackligen Schuhen vor einem Millionenpublikum. Nur dann kommst du weiter.
Das sind bloss Challenges, die sie tun, um es hart für das Fernsehen aussehen zu lassen.

Trotzdem: Es geht darum, ihren Willen zu brechen.
Aber so läuft es auch in der Modeindustrie. In manchen Jobs rufen sie dich an und sagen dir, dass sie dich für einen Job wollen, dir 50’000 Euro zahlen, dich toll finden, aber du sollst dir die Haare abschneiden. Und einige Mädchen werden Ja sagen und andere Nein. Das Umstyling in den Shows sieht nur so dramatisch aus, weil alle Mädchen da heulen.

Und wenn sie sich weigern, ist die Show für sie vorbei. Das Wort Nein existiert da nicht.
Man hat immer eine Wahl. Du kannst dich immer entscheiden. Du kannst immer Nein sagen. Aber was ist der Preis? Willst du unten bleiben oder willst du vorankommen? Wenn ein Designer oder ein Fotograf ständig Nein hört und sich herumspricht, dass du der Typ bist, der sich nicht die Haare schneiden lässt, nicht nackt auftritt und so weiter – dann ist deine Karriere vorbei. Hier hast du deine Wahl: Entweder du machst weiter, oder du sagst Nein.

Wer Karriere machen will, muss sich voll und ganz unterwerfen?
In diesem Job kommt jedes Model irgendwann an den Punkt, wo es sagt: «Fuck, das widerspricht meinen Prinzipien, aber ich muss das tun, um nach oben zu kommen.» Diesen Moment gibt es für jedes Model.

Fühlen Sie sich manchmal wie eine Prostituierte?
Ich fühle mich nicht wie eine Prostituierte. Aber es gab schon Momente, wo ich mir dachte: Fuck, wer hat mich das machen lassen? Ich habe mich manchmal dafür gehasst.

Wann hatten Sie dieses Gefühl?
Ich habe diesen einen Job gemacht, nackt für das Museum von Rom. Ich sass nackt auf diesem Pferd. Das Shooting war im Winter in der Mitte des Fussballstadions San Siro in Mailand. Sie wollten es unbedingt auf diesem grünen Rasen machen. Ich hasste dieses Shooting. Ich fühlte nur: Fuck, wer hat mich dazu veranlasst? Aber ich fühlte mich nicht wie eine Prostituierte. Wissen Sie: Prostituierte haben es besser als Models.

Warum?
Weil Prostituierte tun, was sie wollen.

Alle Bilder sind im Hearthouse München entstanden.

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