Der Soundtrack der Spaltung

Popmusik ist nicht weniger politisch geworden. Nur kann politischer Pop halt auch reaktionär sein. Dies zeigt das Jahr 2018 so eindrücklich wie beunruhigend.

Von Jens Balzer, 29.12.2018

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Eine Gruppe von weiss gekleideten Frauen singt über den Widerstand gegen die männer­dominierte Gesellschaft; eine Gruppe von schwarz gekleideten Männern posiert mit Schuss­waffen und Flammen­werfern, um die Herrschaft des Patriarchats und das alte Bild von Männlichkeit zu verteidigen.

In diesen beiden Szenen verdichtet sich, was das pop­musikalische Jahr 2018 ausgemacht hat – und insbesondere das Verhältnis zwischen Pop und Politik.

Protest in Weiss: Cyndi Lauper, Kesha, Camila Cabello und Andra Day (im Vordergrund, v. l. n. r.) an den Grammy Awards im Madison Square Garden in New York im Januar 2018. Jeff Kravitz/FilmMagic/Getty Images

Die Gruppe von weiss gekleideten Frauen tritt im Januar in New York bei der Verleihung der Grammy Awards auf, der wichtigsten US-amerikanischen Musikpreise. Cyndi Lauper ist darunter, die Soul-Futuristin Janelle Monáe und die Latin-Pop-Newcomerin Camila Cabello. Sie bilden den Chor für die Popsängerin Kesha, die mit ihrem Stück «Praying» ihr Comeback gibt. Anfang der Zehnerjahre stand Kesha bereits vor einer grossen Karriere – bis sie ihren Produzenten Dr. Luke wegen sexuellen Missbrauchs anzeigte. Der zog sie daraufhin in juristische Streitereien hinein, die Kesha fünf Jahre aus der Bahn warfen. In «Praying» betet Kesha nun für jemanden, der ihr Gewalt angetan hat; und sie fordert ihn auf, ebenfalls bei seinem Gott um Vergebung zu bitten, denn ihr Zorn wird furchtbar sein.

«Praying» ist zu einer Hymne der #MeToo-­Bewegung geworden.

Eine Spotify-Playlist für das Jahr 2018

Die Songs zum Artikel finden Sie hier bei Spotify.

Das Lied handelt von einer individuellen Selbst­ermächtigung, aber auch von den gesellschaftlichen Veränderungen, die sich in der #MeToo-Bewegung spiegeln – und konkret: vom wachsenden Wider­stand musizierender Frauen gegen die patriarchalen Verhältnisse in der Musik­industrie. «Wir kommen in Frieden, aber wir meinen es ernst», sagt Janelle Monáe, als sie das Stück bei den Grammys ankündigt, «wir haben die Macht, die Gesellschaft zu verändern.» Wir: Das sind wahlweise «wir Frauen» oder «wir alle, die für die Gleich­berechtigung der Menschen eintreten». Aber haben «wir» wirklich die Macht zur Veränderung?

Rappende Reaktionäre

Die Gruppe von schwarz gekleideten Männern tritt im März in Berlin bei der Verleihung der Echos auf, der bisher wichtigsten deutschen Musikpreise. Es handelt sich um eine Armada vermummter Kämpfer mit Flammen­werfern, die in einer Art Reichsparteitags­kulisse aufmarschieren: mit grossen, aus dem Bühnen­himmel herabgelassenen Bannern. So begleiten sie den Auftritt der deutschen Sprechgesangs­künstler Kollegah und Farid Bang, deren Album «Jung, brutal, gutaussehend 3» als bestes Hip-Hop-­Album des Jahres ausgezeichnet wird.

Die Macho-Antwort auf die Frauenproteste: Farid Bang (links) und Kollegah bei der Echo-Verleihung im April 2018. Sie gewannen in der Kategorie Hip-Hop/Urban National, wegen Antisemitismus-Vorwürfen gegen das Duo wird der Echo nicht mehr vergeben. Andreas Rentz/Getty Images

Schon die Nominierung ist vorab stark kritisiert worden, mit guten Gründen. Auf dem Album findet sich die Zeile «Und wegen mir sind sie beim Auftritt bewaffnet / Mein Körper definierter als von Auschwitz­insassen». Kollegah und Farid Bang prahlen also damit, so wenig Fett auf den Rippen zu haben wie sonst nur die Insassen von Konzentrations­lagern. Der deutsche Bundes­verband Musik­industrie, der die Echos verleiht, hielt trotz aller Kritik an der Auszeichnung fest und versprach, die Kontroverse während der im Fernsehen übertragenen Verleihung zu thematisieren.

Diese Thematisierung beschränkte sich dann allerdings darauf, dass der 55-jährige Punkrock­veteran Campino eingangs eine Erklärung verlas, in der er sich gegen Antisemitismus und Sexismus aussprach und dabei wie ein uncooler moralisierender Onkel wirkte. Am Ende der Show durften Kollegah und Farid Bang als junge Provokations­rebellen in einem Ambiente faschistischer Zeichen triumphieren.

Popmusik sei nicht mehr politisch: Das ist eine häufig zu hörende Klage. Aber sie geht an der Realität vorbei.

Die Popmusik des Jahres 2018 war in äusserst hohem Masse politisch; nur bedeutet dies eben nicht zwangsläufig, dass sie emanzipatorische Positionen vertrat.

Kollegah und Farid Bang lassen sich in fast schon karikatur­hafter Zuspitzung als Inbegriff rappender Reaktionäre betrachten, nicht nur wegen des geschmacklosen Auschwitz-­Gags. Auch sonst schwelgen sie auf dem Echo-prämierten Album ausgiebig in maskulinen Gewalt­fantasien und Misogynie. In ihren Texten malen sie sich aus, Menschen, die ihnen nicht passen, mit einem «Sprengstoff­gürtel» zu massakrieren – oder mit einem Attentat «wie bei Charlie Hebdo». Anders gesagt: Sie finden alle Arten von Gewalt­taten toll, bei denen Christen und Juden ums Leben kommen.

Sexismus mit Echo

Auch der von ihnen gepflegte Sexismus verschlägt einem den Atem: «Dein Chick ist ’ne Broke-Ass-­Bitch, denn ich fick sie, bis ihr Steissbein bricht», rappt Kollegah etwa in dem Song «Ave Maria». Nach der Echo-Verleihung gaben viele Preisträger früherer Jahre aus Protest ihre Trophäen zurück. Am Ende wurde der Echo komplett abgeschafft, ein Ersatz dafür ist bis jetzt nicht in Sicht.

Insofern hatte die Sache also auch ihr Gutes: Dank des Echo-­Skandals fiel in diesem Jahr vielen Menschen überhaupt erstmals auf, wie stark sich der deutsch­sprachige Gangsta-Rap eines politischen Wortschatzes bedient. Denn auch wenn die Musik von Kollegah und Farid Bang von Schul­kindern millionenfach gestreamt wird: Dem Rest der Gesellschaft war sie doch weitgehend unbekannt. Immerhin entstand nach dem Echo-­Eklat eine breite Debatte über Antisemitismus und Sexismus im Rap.

Das Schweizer Hip-Hop-­Magazin «Lyrics» hat diesem Themen­komplex soeben eine äusserst lesenswerte Sonder­ausgabe gewidmet. Darin untersuchen die Autorinnen und Autoren nicht nur ausgiebig die Verflechtungen des Rap mit reaktionären Weltbildern. Sie diskutieren auch die Frage, wie sich gerade in diesem musikalischen Genre das «eigentliche» und das «uneigentliche» Sprechen zueinander verhalten; und wie ernst die jungen Hörerinnen und Hörer die Botschaften nehmen, die diese Musik transportiert. Zu diesem Zweck hat die Redaktion vier aufschlussreiche Interviews mit elf- bis dreizehn­jährigen Schulkindern geführt; diese beteuern durchweg, dass sie das «krasse Gerede» als Teil von Posen und Selbst­inszenierungen verstehen.

Antisemitismus – längst nicht «nur» ein Rapper-Problem

Das Problem sei denn auch gar nicht das «kindische Geschwätz» von Kollegah und Farid Bang, sagt der jüdische Zürcher Schriftsteller Thomas Meyer im Interview mit «Lyrics», sondern der strukturelle Antisemitismus in der Gesellschaft: «Die Debatte müsste in Bezug auf die vielen Glaubens­sätze geführt werden, die man über ‹die Juden› mit sich herumträgt und im Alltag von sich gibt. Es ist sehr einfach, auf einen prolligen Rapper zu zeigen. Schwieriger wäre der Blick in den Spiegel.»

Tatsächlich ist Antisemitismus auch in der Musik keineswegs nur unter «prolligen Rappern» verbreitet.

Vielmehr ragt er tief in die gesamte Popkultur hinein – auch darin ist sie ein treuer Spiegel der Gesellschaft. Besonders deutlich wurde das in den letzten anderthalb Jahren durch den grossen Erfolg der BDS-­Kampagne («Boycott, Divestment, Sanctions»), die sich für den totalen wirtschaftlichen und kulturellen Boykott des israelischen Staates einsetzt und darum etwa gegen alle Künstlerinnen und Künstler mobilisiert, die ein Konzert in Israel geben wollen. Oder gegen Auftritte von jüdischen Musikern, die von ihrem Kultur­ministerium subventioniert werden, wie es 2017 und 2018 beim Berliner Pop-Kultur-­Festival geschehen ist.

Wegen des Konzerts der Tel Aviver Sängerin Riff Cohen forderte BDS 2017 sämtliche anderen eingeladenen Künstler zum Boykott der Veranstaltung auf – und erzielte damit insbesondere bei britischen und arabischen Künstlerinnen und Künstlern grosse Erfolge. 2018 wurde die Eröffnungs­veranstaltung des Festivals – eine Diskussion mit der jüdischen Schriftstellerin Lizzie Doron – von einem Trupp aggressiver Aktivisten gesprengt.

Daraus erwuchs eine Spirale aus Boykott und Gegen­boykott.

Zuvor hatte es im Herbst 2017 die britische Rapperin und BDS-­Unterstützerin Kate Tempest getroffen, die in der Berliner Volksbühne auftreten wollte. Sie wurde vom Theater aufgefordert, sich von BDS zu distanzieren oder wenigstens politisch zu erklären; Tempest verweigerte sich beidem und sagte ihr Konzert ab.

Die schottische Band Young Fathers wiederum stand zunächst für August 2018 bei der Ruhr­triennale in Bochum auf dem Programm – obwohl sie zu den prominentesten Boykotteuren des Berliner Pop-Kultur-­Festivals gehört hatte. Nachdem jüdische Aktivistinnen wiederum den Boykott des geplanten Bochumer Auftritts forderten, wurden die Young Fathers von der überforderten Festival-­Intendantin Stefanie Carp erst aus- und dann wieder eingeladen. Woraufhin die Band ihrerseits absagte.

Der nächste Coup gelang den Kampagnen­führern von BDS im September mit der Aktion «DJs For Palestine», die DJs zum Boykott sämtlicher israelischer Klubs und Festivals aufruft. Diesem Aufruf schlossen sich sogleich Dutzende prominenter DJs an, zum Beispiel Caribou, The Black Madonna, Ben UFO und Laurel Halo.

Zu ihnen gesellten sich auch die Veranstalter einer Berliner Partyreihe namens «Room 4 Resistance», die sich selber als «queeres weibliches nicht-binäres Kollektiv» bezeichnet – was insofern bemerkenswert ist, als die BDS-Kampagne etwa auch von der islamistischen Hamas unterstützt wird, die im Gaza-­Streifen die Regierung stellt. Dort dürfen Frauen nur verschleiert das Haus verlassen, und auf homosexuellen Geschlechts­verkehr stehen bis zu zehn Jahre Gefängnis – eine Politik, die von BDS kritiklos akzeptiert wird.

Widerstand gegen diese Kampagne ist schwer zu organisieren, das mussten viele Veranstalterinnen und Kuratoren in der letzten Zeit leidvoll erfahren. Wer tut, als wäre nichts geschehen, und BDS-­Unterstützende weiterhin zu seinen Veranstaltungen einlädt, betreibt ebenso das Geschäft der Boykotteure wie all jene, die ihr Vorgehen mit Gegen­boykotten beantworten – und sich damit auf jene toxische Spirale einlassen, die BDS noch mehr mediale Aufmerksamkeit zuführt.

Umso dankbarer konnte man über die klaren Worte sein, die Nick Cave kurz vor Weihnachten in dieser Angelegenheit fand.

Er war Ende 2017 massiv unter Druck gesetzt, bedrängt und denunziert worden, weil er zwei Konzerte in Tel Aviv spielte – vor allem von den prominentesten britischen BDS-­Unterstützern, von Brian Eno und dem ehemaligen Pink-Floyd-Bassisten und -Sänger Roger Waters. Ein Jahr später hat er auf seiner Website einen Brief veröffentlicht, den er damals an Brian Eno geschrieben hatte.

«Der kulturelle Boykott Israels ist feige und beschämend», heisst es darin.

Und weiter: «Tatsächlich ist dies zum Teil der Grund, warum ich in Israel spiele – nicht als Unterstützung für eine bestimmte politische Einheit, sondern als eine grundsätzliche Haltung gegen diejenigen, die Musiker schikanieren, öffentlich anprangern und zum Schweigen bringen wollen. Ich habe nicht die Absicht, darüber zu diskutieren, warum ein Boykott Israels im Kern als antisemitisch betrachtet werden kann und ausserdem nicht funktioniert (…). Worum es hier geht, ist vielmehr eine grundlegende Meinungs­verschiedenheit darüber, was der Zweck von Musik ist.»

Eine Antwort von Brian Eno oder von BDS auf dieses Schreiben ist bis jetzt nicht bekannt.

Doch #wirsindmehr! – Sind wir mehr?

Es gab aber auch sonst ausgesprochen ermutigende Zeichen einer emanzipatorischen Positionierung des Pop.

  • Musik von queeren Kunst­schaffenden war in diesem Jahr so erfolgreich und massenwirksam wie noch nie, von Tash Sultana bis Sophie – davon ist an dieser Stelle schon die Rede gewesen.

  • In den USA betrat eine neue Generation von hoch­politischen Rappern und vor allem Rapperinnen die Bühne.

  • Mit Cardi B stand erstmals seit zwanzig Jahren eine Frau an der Spitze der US-Hip-Hop-­Charts.

Gegen Ausbeutung und Rassismus: Janelle Monáe bei einem Auftritt in London. Neil Lupin/Redferns/Getty Images
  • Die schon erwähnte Janelle Monáe sang auf ihrem neuen Album «Dirty Computer» in kraftvoll groovenden Songs über Ausbeutung und Rassismus und verband dabei auch in musikalischer Weise die Gegenwart mit der Geschichte; die neuen, schweren, körper­erschütternden Bässe des Trap sind bei Monáe ebenso zu hören wie das Erbe ihres grossen Mentors Prince.

Ein Jazzmusiker, der die engen Grenzen des Genres überwindet: Kamasi Washington im Pumpehuset, Kopenhagen. Gonzales Photo/Malthe Ivarsson/PYMCA/Avalon/UIG/Getty Images
  • Der Saxofonist Kamasi Washington, der mit seinem opulent ausgepinselten spirituellen Jazz in der Tradition grosser black-consciousness-­bewegter Musiker wie John Coltrane und Pharoah Sanders steht, fand mit seinem neuen Album «Heaven and Earth» ein überraschend breites Publikum – weit über die engen Grenzen des Jazz hinaus.

  • Die kalifornische Soul­sängerin Georgia Anne Muldrow verband auf «Overload» klassische Gospel­musik mit hochmodernen, splitternden Beats; ein grosses, stolzes und zorniges Werk über den nicht enden wollenden Rassismus: «Before I’d be a slave / I’ll be buried in my grave», heisst es im hymnischen «Blam».

Von diesem künstlerischen und politischen Niveau ist die Popmusik in Deutschland und der Schweiz – das kann man nicht schön­reden – weit entfernt.

Eine der wenigen Ausnahmen im vergangenen Jahr war die grossartige Genfer Produzentin Aïsha Devi, die auf dem Album «DNA Feelings» ihre feministischen Manifeste in das Gewand einer vollständig globalisierten Klub­musik kleidet. Ansonsten musste man vor allem die frappierende Fest­stellung treffen, dass die deutsch­sprachigen Rapperinnen und Rapper 2018 zum wieder erstarkenden Rassismus so gut wie nichts zu sagen hatten.

Gerade die neueste Hip-Hop-­Generation mit Nachwuchs-­Stars wie Capital Bra, RAF Camora und Bonez MC übte sich in den immer gleichen öden, vollständig unpolitischen Gangsta- und Strassenrap-­Posen. Und selbst die sonst so engagierten Stars der vorangegangenen Hip-Hop-­Generation, Casper und Marteria, legten mit ihrem neuen Kollabo­album «1982» eine erstaunlich unpolitische Platte vor.

Immerhin waren die beiden zur Stelle, als es darum ging, nach den rassistischen Demonstrationen und Hetz­jagden in Chemnitz Solidarität mit den Opfern zu zeigen. Über 65’000 Besucherinnen und Besucher kamen zu dem Festival «#wirsindmehr», das Casper und Marteria gemeinsam mit Bands wie den Toten Hosen, Kraftklub und Feine Sahne Fischfilet organisierten, um ein «Zeichen gegen Nazis und Rassismus» zu setzen. Gegen diese Veranstaltung wurde allerlei eingewendet, etwa dass auf ihrer Bühne nur links­orientierte Künstlerinnen und Künstler zu einem seinerseits links­orientierten Publikum sprachen. Das ist sicher richtig. Falsch ist jedoch der daraus abgeleitete Schluss, das Festival habe deswegen keinen «politischen» Charakter gehabt.

Singen gegen rechts: Nach rassistischen Ausschreitungen in Chemnitz organisierten diverse Bands ein Konzert unter #wirsindmehr mit 65’000 Besucherinnen. Dominik Butzmann/Laif/Keystone

Denn der politische Charakter von Popmusik – gerade dort, wo sie sich als emanzipatorisch betrachtet – hat noch nie darin gelegen, dass sie Menschen von etwas überzeugen oder zu einer bestimmten Haltung bewegen könnte. Politisch wirksam war Popmusik immer dann, wenn sie Menschen das Gefühl vermitteln konnte, mit ihren Überzeugungen, Nöten und Ängsten nicht allein zu sein; wenn sie also ein Wirgefühl erzeugen konnte, das andere nicht ausschliesst, sondern aufnimmt. «Wir sind mehr.» Oder um noch einmal Janelle Monáe zu zitieren: «Wir haben die Macht, die Gesellschaft zu verändern.»

Vielleicht könnte man entlang dieser Definition auch den Unterschied zwischen reaktionärem und progressivem Pop beschreiben.

Rapper wie Kollegah und Farid Bang wollen die Menschen gegeneinander aufhetzen und spalten; Gruppen wie BDS wollen Konflikte gerade auch in Orte hineintragen, in denen – wie auf den Tanzflächen der progressiven Klubkultur – Menschen unterschiedlicher Herkunft und sexueller Orientierung bislang friedlich miteinander auskommen konnten.

Auf der anderen Seite stehen sozio­kulturelle Bewegungen wie #MeToo und #wirsindmehr: Sie wollen Menschen zusammen­bringen und ihnen Mut machen, auch in schweren Zeiten nicht zu verzweifeln. Denn gegenwärtig werden die gesellschaftlichen Spaltungen immer tiefer. Doch wächst zugleich auch die Sehnsucht nach Gemeinschaften, die Schutz bieten – und in denen man das Gefühl hat, nicht ganz so einsam zu sein in dieser Welt.

Das ist der Grund­widerspruch der Zeit, in der wir leben. Die Popmusik des vergangenen Jahres hat dazu einen getreuen Soundtrack geliefert.

Zum Autor

Jens Balzer lebt in Berlin und arbeitet als Autor und Kolumnist für «Die Zeit», den Deutschlandfunk, «Rolling Stone» und Radio Eins. Zu seinen Büchern gehören «Die Tocotronic Chroniken» (2015, mit Martin Hossbach) und «Pop. Ein Panorama der Gegenwart» (2016). Im Mai 2019 erscheint «Das entfesselte Jahrzehnt. Sound und Geist der 70er» bei Rowohlt Berlin. Bereits in der Republik von ihm erschienen: «Küss mich an meinen Geschlechtern!».

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