«Ich bin ein schlechter Mensch»

Wir baten Mike Müller, den Komiker und Hauptdarsteller der TV-Serie «Der Bestatter», mit uns das Jahr 2018 zu beerdigen. Unter die Erde brachten wir fast nichts. Dafür flogen ein paar Gedanken wie Silvesterraketen: bunt und knallig.

Ein Interview von Urs Bruderer, Constantin Seibt und Joan Minder (Bilder), 28.12.2018

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«Ich will die Leute nicht aufklären, sondern sie eher auf ein falsches Gleis führen»: Mike Müller.

Herr Müller, wie sieht eine gute Grabrede aus?
Bei einer Beerdigung darf nichts schiefgehen. Dabei ist der Tod das ultimative Schiefgehen. In dieser Spannung findet die Grabrede statt. Eine gute Grabrede muss unterhalten. Nicht bei einem toten Kind. Da ist nichts lustig. Bei einem 75-jährigen Mann, der sein Leben gelebt hat, sind die Chancen für Humor schon viel besser, und bei einer 85-jährigen Frau sind sie sehr gut.

Die Mischung macht es? So wie bei der Grabrede von George W. auf George Bush Senior? Wo der Sohn erst die Anekdote erzählt, dass die letzten Worte seines Vaters «Ich liebe dich auch» waren, und dann fortfährt: «Für uns schien er fast perfekt. Aber nicht ganz. Seine Technik beim Golfspiel war miserabel.»
Ein gutes Beispiel. Reden halten ist in den USA ein Schulfach, sie sind viel besser in Rhetorik als wir. Auch die Mormonen. Ich kenne da ein paar Aussteiger. Bei denen geht vom kleinen Kind bis zum Greis jeder in der Kirche nach vorne und sagt: «I wanna share a story with you» – ich möchte euch eine Geschichte erzählen … Das ist eine Schule fürs Leben.

Ist es schwierig, über den Tod zu reden?
Es heisst immer, der Tod sei ein Tabu. Aber das stimmt nicht mehr. Nur in Zürcher Hotels müssen Bestatter noch durch die Hintertür. In Alterszentren nehmen die Särge heute den Haupteingang. Das ist gut so.

In der Schweiz ist eine gute Rede ja verdächtig. Ehrlich ist, wer stammelt. Vielleicht, weil ein rhetorischer Werkzeugkasten einen zur Übertreibung verführt?
Auch. Aber es gibt Berufe, wo es wichtig wäre, dass man reden könnte. Eigentlich würde ich unseren schlafenden Bundesrat ja gern in Ruhe lassen. Aber wenn einer gar nicht reden kann, dann fragt man sich, warum er den Job denn macht. Johann Schneider-Ammann schaffte es nicht einmal, eine Frage im Parlament zu beantworten. Und seine Reden wurden ihm geschrieben.

Die Abtrittsrede war gut.
Es dauerte bis zu seinem Rücktritt, bis ihm jemand gesagt hat: «Mach doch mal einen Joke.»

Traf man Schneider-Ammann live, war er durchaus lebendig, aber vor einer Kamera wirkte er wie ein gekochter Fisch. Gibt es Leute, die die Kamera liebt, und Leute, die sie hasst?
Es gibt Schauspielerinnen, die sind nur auf der Leinwand gross, und Bühnenstars, die im Film nicht funktionieren. Aber sorry: Ein Offizier muss auch vor seine Leute treten. Die Behauptung, jemand sei einfach nicht arenatauglich, geistert seit vielen Jahren herum. Ich halte es für eine Ausrede, wenn Politiker sagen: Ich bin einfach nicht gemacht für die Kamera.

Zumal es erstaunlich viele Arten gibt, in einer Arena zu bestehen, und man immer wieder staunt, wem es womit gelingt.
Es gibt kein Geheimrezept. Der eine macht es so, die andere so. Aber eben: Bei Politikern interessiert mich auch der Inhalt. Und Schneider-Ammann hat sich mit Floskeln durchgeschlängelt. «Jobs, Jobs, Jobs», «Jetzt kommen alle an einen Tisch» – so ein Seich. Er pflegte das Image des gutmütigen Patrons. Doch ich fand diese warmherzige, bernische, staatsmännische Wichtigtuerei immer ziemlich schlimm. Er war in der Politik immer ein knallharter Arbeitgebervertreter, auch als Bundesrat.

War er deshalb ein Lieblingsopfer in Ihrer Late-Night-Show mit Viktor Giacobbo? Oder schlicht darum, weil er sich für Witze eignete?
Ich glaube schon, dass er eine Pumpe war, einer, der nur aufgrund seines Netzwerks in diese Position geriet. Aber in einer Satiresendung nimmt man, was man kriegen kann. Egal. Schneider-Ammann ist passé. Im Bundesrat haben wir nun das nächste Problem.

Mit wem?
Mit einem Weinbauern, der Pharmalobbyist wurde, in einem der teuersten Departemente drei Jahre lang scheiterte, neu für die Wirtschaft, die Bildung und die Forschung verantwortlich ist und nicht mal weiss, was Digitalisierung auf Französisch heisst. Und er ist ein Welscher!

Sie reden von SVP-Bundesrat Guy Parmelin. Wer Bundesrat wird, ist gar nicht so wichtig, lasen wir kürzlich in der Republik. Hauptsache es sind sieben.
Das ist eine typisch schweizerische Verwedelung. Aber ja: Wenn er einen guten Stab hat, ist es vielleicht nicht so schlimm.

Auch Doris Leuthard tritt zurück. Sie kam kaum vor in Ihrer Sendung.
So etwas kann verschiedene Gründe haben. Zum Beispiel, weil man keine Schauspielerin hat, die die Person parodieren kann. Oder weil man jemanden mag. Das war bei mir im Fall von Doris Leuthard so, obwohl ich ihre Atomkraftpolitik nicht mochte. Aber sie war eine gute Kommunikatorin. Sie schien zu glauben, was sie sagte. Ein bisschen lügen muss man als Politikerin ja immer.

Wie weit kann man beim Lügen als Politiker eigentlich gehen?
Schwierige Frage. Ich bin nicht Politiker.

Und als Schauspieler?
Sehr weit. Wobei ich Schauspielerei nicht als Lüge empfinde, sondern als Behauptung. Man baut eine Situation. Die muss stimmen. Aber die Gefühle dabei müssen nicht echt sein.

Kann man auch die Behauptung behaupten?
Im Theater: Ja. Ich konnte als übergewichtiger 50-Jähriger ein 15-jähriges Mädchen spielen, das von Hip-Hop erzählt und zu tanzen anfängt, dabei kann ich höchstens fünf Schritte, und nicht einmal die sind gut. Im Theater sind viele Ebenen gleichzeitig möglich. In der Politik können es manche auch. SVP-Boss Christoph Blocher hat offen gesagt, dass das Lügen manchmal dazugehört. Peinlich war das vor allem für seine Jünger, die auch seine taktischen Lügen verteidigten – bis sie dadurch verwirrt wurden, dass Blocher die Taktik änderte.

Rätselhaft ist bei Blocher, dass er zwar ein interessanter Mensch ist, dass er aber eine Armee von weniger interessanten Epigonen züchtete. Ist es nicht eine Strafe, von schlechteren Kopien seiner selbst verehrt zu werden?
Es gibt ja nicht nur Trottel in der SVP. Das Problem ist eher, dass die tatsächlich eine Blase gebildet haben. Man sieht das auf Teleblocher, wenn Blocher in Interviews Dinge einfach aus dem Mund kollern, wenn er unkontrolliert Banalitäten, Argumente und politischen Groll aneinanderreiht. Oder wenn während einer Blocher-Rede seine Anhänger auch über die müden Witze lachen. Man kennt das aus der Satire ebenso. Dort spielt man auch oft vor seinem eigenen Publikum. Etwa im deutschen Politkabarett, das in einer langweiligen SPD-Blase stattfindet. Mich stört es, wenn alle einig sind. Die Schweiz als kleines Land mit republikanischer Tradition hat es hier etwas besser: Das Publikum ist durchmischter.

Ist Satire nicht eine stumpfe Waffe? Wenn man jemandem wirklich an die Gurgel will, ist Lob doch viel effektiver. Sollte man seine Gegner nicht so lange loben, bis sie auseinanderfallen?
Das ist eine grossartige These, und ich glaube, sie stimmt. Aber im satirischen Unterhaltungsgewerbe wäre das ökonomischer Unsinn. Ich behaupte nicht, dass ich kluges Zeug mache, ich habe auch keine Mission, aber meine Arbeit hat einen ökonomischen Rahmen, und das heisst: Ich mache etwas, die Leute schauen sich das an, und dafür gibt es Geld.

Geld ist der Trost und die Ausrede dafür, dass man sein unperfektes Zeug machen darf?
Ja.

Sie sagen, Sie hätten keine Mission. Gleichzeitig sitzt da ein sehr politisch denkender Mensch. Ist das nicht eine Schutzbehauptung?
Ich habe eine Haltung zu dem, was geschieht. Aber das um Empörung bemühte Kabarett mag ich nicht. Das Kabarett, das Leute aufklärt, die eh schon alles wissen, was es zu bieten hat. Ich glaube nicht, dass FDP-Politiker, nachdem sie mein Programm gesehen haben, zu Hause ihrer Frau sagen sollten: «Du, ich glaube, ich muss mein Leben ändern.» Man kann es als Schutzbehauptung sehen. Aber ich will die Leute nicht aufklären, sondern sie eher manchmal auf ein falsches Gleis führen. Das mache ich gern.

Eine Weile dachte man, in einer verrückten Welt ist Satire der neue Realismus, der Kanal, der den Leuten die Augen öffnet. Doch an Trump haben sich die besten Satiriker der USA abgearbeitet, und es hat ihm nicht sichtbar geschadet.
Ich hielt nie viel von dieser These. Fernsehsatire ist für Leute, die gesellschaftspolitisch interessiert sind und diese Sendungen als Dessert schauen. Manchmal haben Leute zu Viktor Giacobbo und mir gesagt, dass sie unsere Sendung mit ihren Kindern schauen und danach über Politik diskutieren. Das empfanden wir immer als das grösstmögliche Kompliment. Wie viele Leute das waren, lässt sich nicht sagen. Wenn Komiker übertreiben mit der Darstellung einer Figur wie bei Trump – tja, dann müssen sie sich etwas Neues einfallen lassen. Wie andere Geschäftsleute auch.

Als junger Satiriker mussten Sie sich durchbeissen, heute werden Sie nur noch gelobt. Wie gehen Sie damit um, dass Sie überall beliebt sind, egal, was Sie tun? Ist das ein Anschlag auf Ihre Identität?
Es gibt schon auch Kritik, doch ich müsste die jetzt in der Mediendatenbank heraussuchen. Und das ist zu mühsam. Aber es stimmt, ich werde glimpflich behandelt, wenn man vergleicht, wie es manchen SVP-Politikern in der Öffentlichkeit geht. Roger Köppel kann in Zürich nicht mal mehr über die Josefwiese gehen mit seinen Buben, ohne dass ihm «Fascho» nachgerufen wird. Klar, er hat einen Hass auf die Institutionen, hat Göring rehabilitiert, rechtfertigt brennende Asylzentren, hat einen Hang zu autoritären Herren und den Willen, Linke zu ärgern. Aber wenn er zwei Buben dabeihat, geht das nicht.

Das Schlimme am Lob ist, dass man sich eines Tages sagt: «Die Leute haben so was von keine Ahnung, warum soll ich mich noch anstrengen?»
Viktor und ich werden eingelullt, daraus kann sich eine gewisse Ego-Inflation ergeben. Davor kann einen nur das persönliche Umfeld schützen. Und ab und zu eine abverreckte Vorstellung.

«Wenn ich Privates sage, können Sie darauf zählen, dass ich lüge oder kokett bin. Beides ist doof»: Mike Müller im Casinotheater Winterthur.

Sie sind so erfolgreich, dass Sie sogar mitreden konnten bei der Entwicklung Ihrer Figur, des Bestatters – ob er Sex hat, ob er küsst, ob er rennt. Oder eben nicht. Ihr Starstatus ist grösser als der von Topschauspielern in Hollywood.
Das stimmt nicht. Bei «House of Cards» waren Kevin Spacey und Robin Wright, die schöne blonde Kühle, Co-Produzenten. Das wäre mir auch am liebsten gewesen beim «Bestatter».

Warum? Weil Sie als Serienfigur so viel Macht haben? Oder anders gesagt: Verantwortung?
Wenn man sich einmischt, sollte das auch klar geregelt sein. Ein nächstes Mal würde ich es nur noch so machen, weil ich bei gewissen Entscheidungen frühzeitig dabei sein möchte. Ich trage sie dann ja auch mit, auch wenn sie nicht in meinem Sinn ausfallen. Manchmal fehlt den Beteiligten in der Angstzone des mittleren Kaders auch der Mut. Verständlicherweise, denn Serien sind mit Abstand das Teuerste im Fernsehen. Eine Minute «Bestatter» kostet 12’000 Franken, eine Minute «Tatort» 19’000 Franken, eine Talksendung 5000 Franken pro Stunde. Das Dreinreden muss man sich auch herausnehmen.

Die Fernsehserie ist ja die Kunstform des 21. Jahrhunderts – der Grund, warum es sich lohnt, heute am Leben zu sein. Wie haben Sie deren Entwicklung beim «Bestatter» erlebt, der ersten Serie im kleinen Schweizer Format?
Das Schweizer Fernsehen hatte schon seit Jahrzehnten keine fiktionale Serie mehr produziert. Die letzte war «Ein Fall für Männdli» in den Siebzigerjahren. So gesehen waren wir recht mutig, zum Beispiel ästhetisch dunkel, ein bisschen seltsam. Erzählerisch wagten wir erste Schritte, etwa den, nicht jeden Mordfall in derselben Episode aufzulösen. Das gab Reklamationen. Heute ist das keine Sache mehr. Die Leute haben sich daran gewöhnt. Die Serie «Wilder» konnte das dann diskussionslos so machen.

Das heisst: «Der Bestatter» war die Hebamme.
Nein. Wir profitierten von der Entwicklung um uns herum. Die pfeift uns ja links und rechts um die Ohren herum. Die Dänen hauen einen Serienhit nach dem andern heraus. Auch Sat 1 macht schon lange geile Sachen. Und Netflix, zum Beispiel die italienische Mafiaserie «Suburra», ist unglaublich toll. Und die Amerikaner machen: alles.

Was ist zu tun, damit der Schweizer Film noch besser wird?
Die Lösung ist die Vernetzung mit umliegenden Ländern. Film geht ja nur mit Geld. Manchmal ist das ärgerlich: Man schreibt Drehbücher, um an die gut gefüllten Südtiroler Fördertöpfe zu kommen. Für das Lokalkolorit ist das dann etwas brutal. Aber wir müssen kooperieren, wir sind zu klein. «Motti Wolkenbruch» zum Beispiel.

Wir wollen ja eigentlich das Jahr 2018 bestatten. Wie würde Ihre Grabrede lauten?
Schwierige Frage. Wenn ich Privates sage, können Sie darauf zählen, dass ich lüge oder kokett bin. Beides ist doof. Und wenn ich allgemein werde – wen interessiert es, was Mike Müller stört oder freut?

Uns ein bisschen. Wir fragen einfach mal ganz knapp und schnell. Bärfuss oder Hürlimann?
Bärfuss.

Netflix oder Kino?
Netflix.

Tarantino oder Lars von Trier?
Tarantino. Ich mag beide. Aber Tarantino hat manchmal diese Kraft. Das ist brutal, sehr amerikanisch, weil Gewalt dort eine ganz andere Rolle spielt als bei uns. Manchmal würde ich auch gern einen Stoff entwickeln mit so viel Gewalt. Diese Gewalt, die einfach schon da ist, alttestamentarisch wie bei den Coen-Brüdern und nicht in einem sozialen Milieu, wo einer ausrastet.

Barack Obama oder Bernie Sanders?
Sanders. Obama ist ein super Kommunikator. Aber Sanders ist mir politisch näher. Auch wenn die USA einen wie ihn nie wählen würden, sondern bestenfalls einen Obama.

Chasselas oder Chardonnay?
Chasselas.

Aceto balsamico oder Sherryessig?
Aceto – aber der, den ich habe.

Von dem der Milliliter wie viel kostet?
Mich gar nichts. Ich habe ihn von einem Secondo aus dem Kamerateam beim «Bestatter». Sein Onkel misst für die Chianti-Weinbauern die Öchslegrade und macht aus den Resten der Fassproben in seinem Estrich einen Balsamico. Auf einem Stück Fleisch ist der eine Granate.

Pizza oder Sushi?
Sushi.

Tagi oder NZZ?
Tagi.

Joggen oder Schwimmen?
Schwimmen.

Oft?
Ja.

Täglich?
Im Sommer, ja.

Im See?
Ja.

Toscana oder Thailand?
Toscana. Könnte auch Thailand sein. Mich hat die Freundlichkeit der Leute dort nie gestört.

Ferien oder Arbeit?
Arbeit.

Familie oder Freunde?
Kann ich nicht sagen. Da müsste man Familie definieren.

Was würden Sie zuerst retten: Journalismus oder Demokratie?
Natürlich würde ich zuerst die Demokratie retten, aber wenn es Demokratie gibt, gibt es auch Journalismus.

Ehrlich? Laut unserer hauseigenen Propaganda müssen Sie zuerst den Journalismus retten, weil der dann die Demokratie rettet. Nächste Frage: 2017 oder 2018?
2017. Weil ich weniger gearbeitet habe. Okay, nicht weniger gearbeitet. Aber anderswo. Ich war drei Monate in den USA und schrieb mein Solostück «Heute Gemeindeversammlung».

2018 oder 2019?
2019. Ich bin eigentlich ein Pessimist. Aber ich freue mich auf Neues. Geht das zusammen? Eigentlich nicht. Aber muss man widerspruchsfrei sein? Auch nicht.

Urne oder Sarg?
Urne. Ich habe als junger Mann als Totengräber gearbeitet, und Gräber sind nicht hygienisch, glauben Sie mir.

Für die Urne: Grab oder Asche verstreuen?
Verstreuen.

Wohin: Stadt oder Land?
See.

Ist das nicht wenig? Sie schwimmen ja bereits heute regelmässig im Zürichsee. Ein bisschen Veränderung muss nach dem Tod doch sein. Man stirbt ja nur einmal.
Die Veränderung wäre: Im Jenseits gibt es ein 50-Meter-Becken, wo mich niemand stört. Kein Bademeister. Keine Profischwimmer.

«Neo Magazin Royale» oder «Heute-Show»?
Ich schaue mehr «Heute-Show». Aber nehmen wir das «Neo Magazin», das ist interessanter.

Jan Böhmermann, der Moderator des «Neo Magazin», hat manchmal durchaus eine Mission, oder?
Da bin ich mir nicht so sicher. Ich vermute, er ist ein Zyniker. Aber er hat diese gewaltigen Musikvideos. Da steckt sehr viel Geld drin, auch sehr viele Ideen, aber eben auch richtig Geld: Das ist grosse Klasse, etwas Neues. Und er steigt auch ziemlich hart ein, gegen Erdogan zum Beispiel. Aber auch er verrennt sich mal, etwa als er den jüdischen Komiker Oliver Polak moderierte und dabei den Antisemiten spielte. Da hat er sich vertan. Aber das ist okay. Satiriker sind keine Kleinkinderchirurgen.

Der missionsloseste deutsche Satiriker war Harald Schmidt.
Und der war definitiv ein Zyniker. Wenn er eine Haltung hat, dann eine sehr katholische. Die seines süddeutschen, strengen Katholizismus, allerdings nicht öffentlich. Schmidt ist ein Abtreibungsgegner. Es ist sein gutes Recht, das privat zu halten. Aber er war auch ein Zyniker im Umgang mit seinen eigenen Leuten. Das gefiel mir weniger. Gemeinheit gehört zwar dazu. Ethik weniger. Aber man sollte schon überlegen, was man macht.

Warum war Schmidt so lange im Geschäft?
Weil er wirklich gut war, ein frecher Siech, mit allen Härten, die dazugehören. Dabei wollte er das nicht. Er wäre gern Schauspieler geworden.

«Satiriker sind keine Kleinkinderchirurgen.»

Was halten Sie von Österreich? Stermann und Grissemann sind erstaunlich selten langweilig.
Ich fand die auch schon kokett. Und die sprechen ein sehr urbanes Nischenpublikum an. In Niederösterreich sieht die niemand. Österreich ist gross genug für Nischen. Und damit für Spezialisierung, also Radikalität. Das hätten wir uns mit «Giacobbo/Müller» in einem viel kleineren Markt, der Deutschschweiz, nicht leisten können. Wir hatten eine Quote von 35 Prozent. Harald Schmidt hatte doppelt so viele Zuschauer wie wir, in einem zwanzigmal grösseren Markt.

Österreich hat auch eine andere Humorkultur, eine bewundernswerte Tradition von Gemeinheit und Perversion. Da können wir noch lange Löcher in den Gotthard bohren, bis wir die Finsternis des Kellers in einem stinknormalen Einfamilienhaus in Österreich erreichen.
Schon. Aber diese Schwärze gibt es bei uns auch.

Wo?
Im Lokalen. Ich suche das in meinen Dialektgeschichten. Als Muotataler, Walliser, Berner Secondo. In Zürich findet man nichts. Zürich ist sozialdemokratisch temperiert.

Ihre Ausbildung war für einen Schauspieler eher ungewöhnlich: 27 Semester Philosophie. Haben die eigentlich Spass gemacht?
Nicht immer. Vor allem wenn man älter wird und einem die Professoren wegsterben. Das ist mir ein wenig entglitten, auch weil ich daneben arbeitete und Theater spielte.

Ihren wirklichen Beruf haben Sie also nebenbei gelernt?
Bei Komikern ist das normal, die sind alle Autodidakten. Bei Schauspielern ist es noch ungewöhnlich, aber heute normaler. Sogar das Stadttheater – ein Betrieb so hierarchisch wie die Fifa, nur mit weniger Geld – hat sich ein wenig geöffnet. Meine erste Theatertruppe gründete ich mit Freunden in Olten. Die Langeweile der Provinz half. Wir mussten alles selber machen.

Und warum wird man Komiker? Um Rache an der Welt zu nehmen?
Rache ist nur die eine Quelle. Da ist auch die Gefallsucht. Es fängt bei allen Komikern in der Schule an. Wenn du den Franzlehrer im Gespräch mit ihm nachmachen kannst, und er merkt es nicht, aber deine Kollegen schon – dann bist du toll. Und sehr viel später verdienst du damit sogar Geld und lernst, den Markt zu berechnen. Letzteres ist dann so vernünftig wie gefährlich und kann zu Ermüdungserscheinungen führen. Zum Glück gibt es jetzt mit Slam-Poetry einen unglaublichen Sprudel an neuen Formen und Performern. Das mischt den Markt auf und wird die ganze Szene verändern.

Welches Programm, das sich rechnen würde, würden Sie niemals machen?
Grosse Coups kann ich nicht vorhersehen. Ich weiss nur, was immer etwas geht: ein bisschen kritisch, Hunger, das Geld in der Welt – die Rechten haben schon recht, es gibt dieses linksbürgerliche Milieu, dem es unter sich sehr, sehr wohl ist.

Robert Gernhardt bemerkte, dass die Komiker wie Wilhelm Busch, Morgenstern oder Ringelnatz ab vierzig als Komiker untauglich wurden, Ölgemälde malten und Besinnliches schrieben. Kann man nur bis zu einem gewissen Alter Komiker sein? Weil man Melancholie, Empathie, ein Herz entwickelt?
Das ist bei jedem anders. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich das Ende der Fahnenstange schon erreicht habe.

Geht Ihnen die nötige Gemeinheit nie aus?
Das hoffe ich nicht. Ich bin ein schlechter Mensch.

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