Binswanger

Extreme Normalisierung

Ein brillanter Essay geht der Frage nach, was Trump und Co. mit dem historischen Faschismus verbindet. Spoiler: so einiges.

Von Daniel Binswanger, 15.12.2018

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Die wichtigsten Debatten des Jahres 2018 haben der Bewältigung der Demokratiekrise gegolten. Zahlreiche substanzreiche Beiträge zu dem brennenden Thema sind erschienen, ein paar wurden hier besprochen (hier, hier, hier und hier). Ein Ende dürfte kaum in Sicht sein: weder der Krise noch – so ist wenigstens zu hoffen – ihrer kritischen Bewältigung.

Eines der bisher wichtigsten Bücher stammt vom Yale-Philosophieprofessor Jason Stanley: «How Fascism Works. The Politics of Us and Them» (Wie Faschismus funktioniert. Die Politik von «wir» und «sie»).
Indem es den heutigen Rechtspopulismus auf seine Gemeinsamkeiten mit dem historischen Faschismus untersucht, macht es eine provokante Ansage. Und es kann diese irritierend gut begründen.

Natürlich: Die Trump-Regierung ist kein direktes Remake der faschistischen Regime der 1930er-Jahre. Die «Faschismus-Keule» bringt häufig keine grossen Erkenntnisgewinne, sondern dient als politisches Totschlagargument. Allerdings sollte man bei dieser Feststellung nicht stehen bleiben. Dahinter verbirgt sich ein Problem, das Stanley brillant auf den Begriff bringt: «die reale Gefahr der Normalisierung faschistischer Mythen». Sie vollzieht sich gerade in schwindelerregendem Tempo.

Wenn man eine politische Entwicklung mit dem Faschismus in Verbindung bringt, so Stanley, dann brandmarkt man sie automatisch als extrem. Was wir jedoch als «extrem» und was wir als «normal» wahrnehmen, hängt nicht nur davon ab, wie sehr es von unseren Wertestandards abweicht. Es wird auch dadurch bestimmt, wie häufig und verbreitet die entsprechende politische Position ist. Kognitionspsychologische Forschungen, auf die Stanley sich abstützt, zeigen deutlich: Normalität speist sich aus zwei Quellen. Einerseits ist normal, was unserem normativen Empfinden entspricht, andererseits ist normal, was häufig vertreten wird.

Der Homo sapiens ist jedoch nur begrenzt imstande, den einen Bestimmungsfaktor vom anderen zu trennen. Je häufiger eine Meinung vertreten wird, desto legitimer wird sie uns automatisch erscheinen. Wir können uns leider nicht dagegen wehren: Damit etwas plötzlich richtig erscheint, reicht es, wenn es oft genug wiederholt wird.

Das bedeutet aber auch, dass faschistisches Gedankengut sich desto weniger als faschistisch denunzieren lässt, je verbreiteter es ist. Denn faschistisch besagt ja: extrem. Verbreitet aber suggeriert: normal. «Die Normalisierung der faschistischen Ideologie lässt den Vorwurf des Faschismus per definitionem als eine Überreaktion erscheinen», schreibt Stanley.

Sein Buch präsentiert keine kohärente historische Faschismus-Theorie, die als Interpretationsfolie für die Gegenwart verwendet würde. Stattdessen isoliert Stanley zentrale Bausteine der faschistischen Ideologie und zeigt auf, wo diese Elemente auch den gegenwärtigen Diskurs bestimmen. Seine Definition des Faschismus ist dabei denkbar weit gefasst: «Ultranationalismus (ob ethnisch, religiös oder kulturell begründet), wobei die Nation durch die Person eines autoritären Führers repräsentiert wird, der für sie sprechen soll.»

In seinen Analysen zieht Stanley nicht nur den historischen Faschismus heran, etwa in seiner italienischen und seiner deutschen Ausprägung, sondern auch extremistische Ideologien jüngeren Datums, etwa den Hutu-Tribalismus, der zum Genozid in Ruanda führte, oder die rassistische Propaganda gegen die Rohingya im heutigen Burma. Alle diese Phänomene des politischen Extremismus weisen untereinander massive Unterschiede auf. Aber es gibt eine verblüffende Anzahl immer wiederkehrender ideologischer Elemente. Und sie fehlen auch nicht in der politischen Rhetorik von Trump und den europäischen Anführern des Rechtspopulismus. Das heisst nicht, dass Trump und Orban auf eine Stufe zu stellen wären mit politischen Gewaltverbrechern, aber es werden sehr ungemütliche Kontinuitäten sichtbar.

Das wichtigste Element ist die Mythologisierung der Vergangenheit. Sei es eine grosse völkische Vergangenheit, sei es jenes Amerika, das man «wieder» gross machen muss. Oder der reine Mythos, so wie ihn Mussolini 1922 definierte: «Wir haben unseren Mythos geschaffen. Der Mythos ist unser Glaube, unsere Leidenschaft. Es ist nicht notwendig, dass er der Realität entspricht.» Aus der Heroisierung einer fiktionalen Vorzeit schöpfen faschistische Ideologien den Kern ihrer Legitimität. Und ein Mythos hat den unschätzbaren Vorteil, durch historische Fakten gar nicht widerlegt werden zu können.

Ein weiteres zentrales Element ist die Propaganda, das Operieren mit systematischen Lügen, mit projektiven Verdrehungen, mit der offensiven Etablierung von alternativen Fakten. Beispielsweise sind faschistische Machtsysteme typischerweise extrem korrupt. Das galt für die historischen Beispiele, aber es gilt etwa auch für den Clan um Viktor Orban. Die Propaganda begnügt sich jedoch nicht damit, diese Tatsache zu vertuschen. Sie setzt vielmehr alles daran, den politischen Gegner als korrupt zu denunzieren. Die Justiz wird als parteiisch gegeisselt und gleichgeschaltet, das Parlament als Hort der käuflichen Sonderinteressen dargestellt. Dass die Institutionen des liberalen Verfassungsstaates nichts anderes darstellen als institutionalisierte Korruption, ist ein klassisches Leitmotiv des Faschismus.

Donald Trump – ganz unabhängig davon, wie man die einzelnen Affären um seine Person beurteilt – ist ganz offensichtlich der korrupteste Präsident der jüngeren amerikanischen Geschichte. Den Kern seiner politischen Strategie bildet es jedoch, seine Gegner als korrupt darzustellen: Lock her up!, wie es in seinem wichtigsten Anti-Clinton-Slogan hiess. Faschismus steht unter einem manischen Zwang, den «Sumpf trockenzulegen». Auch vom «Berner Sumpf» ist in der Schweizer Politik ja immer häufiger die Rede.

Nicht weniger typisch für diesen Ideologietypus ist, was Stanley «die Politik der sexuellen Ängste» nennt. Es geht immer um bedrohte patriarchalische Männlichkeit und den Schutz der traditionellen Familie. Es geht immer darum, «Töchter und Frauen» vor fremden Vergewaltigern zu schützen. Das trifft selbstverständlich auf den extremen Antifeminismus des historischen Faschismus zu, aber es ist offensichtlich auch am Werk in Trumps forcierter Strategie der Frauenverachtung. Oder in den offensiven Bestrebungen, in Osteuropa die Frauenrechte zurückzudrängen. Besonders effizient, so Stanley, sind diese Strategien, wenn die sexuelle mit ökonomischer Verunsicherung einhergeht. Dann fällt Antifeminismus auf extrem fruchtbaren Boden.

Mit seiner Auslegeordnung faschistischer Ideologeme zeigt Stanley vor allem eins: Wie stark sie eingesickert sind in unsere Alltagsdiskurse. Nehmen wir ein aktuelles Beispiel aus der Schweiz: Plötzlich müssen wir eine Parlamentsdebatte über den Migrationspakt abhalten, auf der Basis völlig aus der Luft gegriffener Argumente, eingefordert von drei Regierungsparteien.

Es haben sich Dinge normalisiert, die uns bis vor kurzem als extrem erschienen wären. Umso wichtiger ist es, nicht aufzuhören, sie extrem zu nennen.

Illustration: Alex Solman

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