Freisinnige Klimakatastrophe

Die FDP spielt eine entscheidende Rolle in der Klimapolitik. In der jüngsten Debatte hat die Partei griffige Massnahmen verhindert. Gegen diese Linie regt sich nun Widerstand aus den eigenen Reihen.

Von Elia Blülle, 12.12.2018

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Hans-Peter Fricker ist wütend. Der 68-jährige Freisinnige und ehemalige WWF-Chef hat in der Klimapolitik den Glauben an seine eigene Partei verloren: «Die FDP hat in den vergangenen zwei Wochen die Schweizer Klimapolitik verraten. Was unsere Nationalräte beschlossen haben, ist ökologisch und wirtschaftlich unsinnig. Mir fehlt dafür jegliches Verständnis.»

Sein Unmut gilt dem CO2-Gesetz, das der Nationalrat gestern abgelehnt hat. Ganze vier Tage lang behandelte die grosse Kammer den klimapolitischen Masterplan fürs nächste Jahrzehnt. Mit einer Mischung aus neuen Anreizen, Subventionen und Reglementen hätten die Schweizer Treibhausgas-Emissionen gesenkt werden sollen: Ziel des Bundesrats wäre gewesen, die Treibhausgas-Emissionen bis 2030 um fünfzig Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 zu verringern, so wie es die Schweiz mit der Unterzeichnung der Pariser Klimaverträge versprochen hat.

Doch die Beschlüsse, die der Nationalrat gefasst hat, fallen deutlich hinter diesen Anspruch zurück. Eine unheilige Allianz aus SP und SVP schmetterte das Gesetz ab. Die Beratungen beginnen nun im Ständerat noch einmal bei null. Und ein Grossteil der Schuld trifft: die FDP.

Der Rechtsrutsch schwächt das Klima

Sie hat über die vergangenen zwei Wochen hinweg gemeinsam mit der SVP und vereinzelten CVP-Abweichlern das Gesetz stark abgeschwächt. So wurden etwa die vom Bundesrat vorgeschlagenen Massnahmen für Gebäudesanierungen gestrichen, mit denen der Verbrauch von Heizenergie eingedämmt werden sollte. Eine Flugticketabgabe hat der Nationalrat ebenfalls verworfen, und der maximal mögliche Benzinpreisanstieg wurde bei tiefen acht Rappen gedeckelt. Beide Massnahmen wären ein Anreiz für Konsumenten gewesen, ihren ökologischen Fussabdruck zu verbessern.

Obendrein haben die beiden Rechtsparteien den Kern des CO2-Gesetzes aufgeweicht: die Idee, wonach sechzig Prozent der Emissionsreduktionen im Inland erzielt werden müssen. Der Nationalrat will vollständig auf diese Bestimmung verzichten. Im Extremfall würde die Schweiz damit sämtliche Einsparungen im Ausland erzielen und im Inland gar keinen Beitrag leisten.

Hans-Peter Fricker hält dies für besonders bedauernswert. Länder wie Schweden, Grossbritannien oder Deutschland hätten sich alle solche Zielwerte gesetzt. Nur die reiche Schweiz verzichte: Dies sei ein verheerendes Signal, so der ehemalige WWF-Chef. Denn die Schweiz sei international immer ein Vorbild gewesen – im jüngsten Klima-Länderrating landete sie auf Platz neun. Nun werde ihr Ansehen in der Klimapolitik jedoch beschädigt.

So wollte die FDP das CO2-Gesetz verwässern

Die Beschlüsse des Bundesrates, des Nationalrates und der linken Minderheit im Vergleich.

BR NR Minderheit
Inlandziel (%) 30 Keines 37.5
CO2–Reduktion Gebäudeheizungen bis 2027 bis 2030 bis 2030
Flugticketabgabe (CHF) 0 0 12 - 50
Deckel Anstieg Benzinpreis (CHF) keiner 0.08 0.20
Sanktionen* (CHF/tCO2) 320 160 320
* Wer seine Kompensationspflicht nicht erfüllt, muss für jede nicht kompensierte Tonne CO2 eine Busse bezahlen.

Im Nationalrat kommen die SVP und FDP zusammen auf 98 Sitze, die Mehrheit liegt bei 101 Stimmen. Weil bei vielen Abstimmungen zum CO2-Gesetz Parlamentarier fehlten – und einzelne CVPler von der Parteilinie abwichen –, diktierten die beiden Rechtsparteien in der Wintersession über die klimapolitische Stossrichtung. Neben der SVP, die das Gesetz grundsätzlich ablehnt, hatte die FDP leichtes Spiel, ihre Positionen durchzusetzen: eine Spätfolge der Wahlen 2015, die dem Parlament einen Rechtsrutsch brachten.

Der Strippenzieher aus Bern

Kopf der freisinnigen Klimastrategie ist der Berner Nationalrat Christian Wasserfallen. Der 37-jährige Berner sitzt für die FDP seit 2009 in der Umweltkommission und ist Wortführer in der Klimadebatte. In einem Rating, das Parlamentarier nach ihrer Umweltfreundlichkeit beurteilt, schneidet er als zweitschlechtester FDPler ab.

Die Positionen, die er vertritt, orientieren sich an jenen der grossen Wirtschaftsverbände: Gewerbeverband und Economiesuisse. Sie forderten bereits früh Korrekturen am CO2-Gesetz, das der Bundesrat vor knapp einem Jahr aufgelegt hat. Wasserfallen brachte die Korrekturen erfolgreich in der Umweltkommission ein. So fanden wesentliche Änderungswünsche aus den Verbänden den Weg in die Vorlage.

Wasserfallen knie sich ins Klimadossier hinein, sagen seine politischen Gegner. Er sei aber einer verhängnisvollen Marktgläubigkeit verfallen und lasse sich von Interessenvertretern vor den Karren spannen, sagt Patrick Hofstetter, Klimapolitikexperte in Diensten von WWF Schweiz. Dies sei ärgerlich, da eigentlich gute volkswirtschaftliche Gründe dafür sprächen, auch im Inland einen grösseren CO2-Reduktionsbeitrag zu leisten.

Das Bundesamt für Statistik rechnete aus, dass allein durch die Aktivitäten im Zusammenhang mit Energiesparmassnahmen und der Erzeugung von erneuerbaren Energien zwischen 2008 und 2016 in der Schweiz 37000 neue Arbeitsplätze entstanden sind. Die Bruttowertschöpfung stieg gleichzeitig um 5,5 Milliarden Franken. Kompensieren Firmen ihr CO2 hingegen über den Emissionshandel im Ausland, fliesst das Geld ab. Und die Innovationen bei der Energieeffizienz werden nicht hier, sondern im Ausland errungen.

FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen hat für dieses Argument kein Gehör. «Es ist nicht das Ziel, mit dem CO2-Gesetz die Schweizer Wirtschaftskonjunktur zu fördern, sondern wir wollen die Treibhausgase möglichst stark reduzieren», sagt er.

Ein fixes Inlandziel (von sechzig Prozent) sei obendrein der falsche Ansatz. Würde der Auslandanteil (von vierzig Prozent) zu schnell erreicht, wären Investitionen im Ausland blockiert. Die extreme Fokussierung auf das Inland in einer Art Klimanationalismus verkenne die globale Herausforderung. Unternehmen würden selber bestimmen, wo und zu welchem Preis sie ihre Treibhausgasemissionen kompensieren. Für ein Land, das jeden zweiten Franken im Ausland verdiene, sei das Engagement im Ausland ein Akt der Glaubwürdigkeit.

Bei der Klimapolitik primär aufs Ausland zu setzen, gilt in der Wissenschaft jedoch als problematisch. Denn einerseits sind die Standards im Ausland niedriger: Ob etwa eine Investition in ein Wasserkraftwerk ohnehin gemacht würde oder ob sie nur deshalb erfolgt, weil in der Schweiz jemand ein Klimazertifikat gekauft hat, ist letztlich nicht überprüfbar. Andererseits besteht die Gefahr von Doppelzählungen: Die Methodik, nach der die Emissionsbuchhaltung geführt und die Einhaltung der Pariser Klimaziele bemessen wird, unterscheidet sich von Land zu Land. Es gibt keine Garantie dafür, dass ein Land die Emissionsreduktion, die mithilfe eines gekauften Zertifikats aus der Schweiz erzielt wurde, nicht auch für sich selbst abbucht.

Und schliesslich besagt die Klimaforschung, dass zur Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels letztlich sowieso alle Länder ihre Emissionen bis zur Mitte des Jahrhunderts auf null reduzieren müssen. Die Taktik, hauptsächlich aufs Ausland zu setzen, ist unter diesem Gesichtspunkt bloss ein Spiel auf Zeit.

Hans-Peter Fricker versteht vor diesem Hintergrund nicht, warum die freisinnige Fraktion die vom Bundesrat geforderten Standards abgelehnt hat, welche die Qualität der Zertifikate im Emissionshandel garantiert hätten. «Nur wenn zu hundert Prozent sichergestellt ist, dass die Zertifikate ihren Zweck erfüllen und CO2 reduziert wird, macht der Emissionshandel Sinn.»

In einem Punkt gibt Fricker seinem Parteikollegen hingegen recht: Das Inlandziel ist als Richtwert ohne konkrete Massnahmen wertlos. Umso mehr befremdet es ihn, dass die FDP inländische Massnahmen kassiert, also den Benzinpreisanstieg bei acht Rappen deckelt und bei der Gebäudesanierung den Druck reduziert. «Grundsätzlich gilt: Je früher wir im Inland die Emissionen zurückfahren, desto günstiger wird die ganze Sache über die Bühne gehen.»

Widerstand von der Basis

Fricker ist nicht der einzige Freisinnige, der Mühe mit der Klimapolitik seiner Partei bekundet. Ein weiterer Kritiker des Wasserfallen-Kurses ist Olivier Hofmann, Ökonom und Kantonsrat in Zürich. Die FDP sei in der Umweltfrage gespalten, sagt er. Hofmann schätzt aufgrund von Rückmeldungen, dass sich viele Parteimitglieder ein stärkeres Engagement wünschen würden. Es brauche zusätzliche Anreize, den CO2-Ausstoss zu reduzieren – und zwar auch im Inland, so wie es in den politischen Prioritäten der Zürcher FDP steht.

Sorgen bereit Hofmann die harte Parteilinie im Hinblick auf die anstehenden Wahlen. Die FDP Schweiz hätte seiner kantonalen Partei einen Bärendienst erwiesen, sagt er. Im Kanton Zürich sei die Sensibilität für die Probleme im Zusammenhang mit dem Klimawandel auch in liberalen Kreisen gross.

«Die Klimapolitik der FDP-Fraktion im Nationalrat könnte uns bei den Kantonsratswahlen im Frühling mindestens ein Prozent an Wähleranteilen kosten», sagt Hofmann. Der Zürcher Kantonsrat glaubt, dass sich analog zur «FDP Urban» bald eine parteiinterne Bewegung für Klimapolitik formiert.

Tatsächlich: Einige Freisinnige haben diesen Weg bereits eingeschlagen.

Peter Metzinger, FDP-Gemeinderat aus Dietikon, hat – als Reaktion auf die Debatte im Nationalrat – eine Website unter dem Namen «Forumfutur» online geschaltet. Der Unternehmer baut mit rund einem Dutzend weiterer FDPler ein Kompetenznetzwerk auf. Die Politiker planen, Empfehlungen für eine nachhaltige Klimapolitik auszugeben. Dies auch mit dem Ziel, die parteiinterne Klimadebatte zu beeinflussen.

Der Ständerat muss es richten

In der Frühlingssession kommt das CO2-Gesetz in den Ständerat. Da in der kleinen Kammer die Mehrheitsverhältnisse anders gelagert sind, verfügen SP und CVP gemeinsam über eine Mehrheit. Spätestens dann muss die FDP mit einer Retourkutsche für die kompromisslose Klimapolitik rechnen.

Die SP und die CVP werden nun am Zug sein und gemeinsam ein wesentlich schärferes Gesetz anstreben, als es die FDP im Nationalrat vorgesehen hat. Will der Freisinn seine Interessen einbringen, muss er mit den Christdemokraten kooperieren. Und das geht nur, wenn er sich bewegt.

Ohnehin kann ein allzu lasches Gesetz nicht im Interesse der bürgerlichen Parteien sein. Jede weitere Abschwächung bietet Angriffsfläche für Volksinitiativen, die in ihren Forderungen deutlich weiter gehen als der Bundesrat. So will die «Gletscherinitiative» bis 2050 fossile Brenn- und Treibstoffe komplett verbieten, und die BDP droht mit einer «Mobilitäts-Initiative». Fällt das CO2-Gesetz zu schwach aus, sammelt sie Unterschriften für einen ökologischen Umbau des Strassen- und Luftverkehrs: Ab 2040 sollen keine neuen Autos mit CO2-Ausstoss mehr in Verkehr gesetzt werden.

Christian Wasserfallens FDP muss sich in den nächsten Monaten entscheiden: Entweder schreitet sie klimapolitisch weiter an der Seite der SVP und riskiert, dass sie die eigenen Wähler verschreckt – oder sie positioniert sich neben der GLP als liberale, klimafreundliche Partei und distanziert sich in diesen Fragen stärker von den Wirtschaftsverbänden.

Klar ist: Das vom Bundesrat angestrebte Inlandziel ist keine Hexerei. Eine Studie des Forschungsunternehmens econcept im Auftrag von Swisscleantech kommt zum Schluss, dass bereits mit den heute geltenden Massnahmen eine inländische CO2-Reduktion von 29 Prozent zu erreichen wäre. Und zeigt auf, dass mit zusätzlichen Anstrengungen sogar ein weit grösseres inländisches Reduktionspotenzial besteht.

FDP-Mitglied Hans-Peter Fricker hofft, dass seine Partei diese Chance erkennt und spätestens im Ständerat den richtigen Weg einschlägt: «Die Lage ist ernst. Wir müssen nun alle Verantwortung übernehmen – auch die FDP.»

Debatte: Tut die Schweiz genug gegen den Klimawandel?

Diskutieren Sie am heutigen Mittwoch ab 19 Uhr mit unseren Experten: Andreas Fischlin, Klimaforscher an der ETH Zürich und Mitautor des neuen IPCC-Sonderberichts zum 1,5-Grad-Ziel; ​Marcel Hänggi, Journalist und treibende Kraft hinter der Gletscherinitiative, die den CO2-Ausstoss der Schweiz bis 2050 auf null senken will. Kurt Lanz, Mitglied der Geschäftsleitung und Leiter Infrastruktur, Energie und Umwelt bei Economiesuisse. Hier gehts zur Debatte.

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