Warum FDP und CVP den Migrationspakt retten sollten

Im Nationalrat kommt heute die Debatte um den Pakt zu ihrem Abschluss. Es droht ein schlimmes Ende. Könnten wir teilnehmen, würden wir uns an die Bürgerlichen wenden.

Von Urs Bruderer, 11.12.2018

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Frau Präsidentin

Herr Bundesrat

Geschätzte Damen und Herren

Erlauben Sie mir klare Worte: Einige meiner Vorredner haben mit Schmutz herumgeworfen. Am hemmungslosesten Herr SVP-Nationalrat Buffat. Der Pakt rolle «der Migration in unserem Land den roten Teppich aus», sagte er, und sei nur zum Vorteil der Einwanderer geschrieben. Um die Sorgen der Wohnbevölkerung kümmere sich der Pakt nicht. Die sehe «sich gezwungen, eine unerwünschte Einwanderung zu akzeptieren».

Das sind blanke Lügen. Die Migrationspolitik bleibt Sache der Nationalstaaten, das hält der Pakt in Artikel 15 klipp und klar fest.

Ja, die Sprache des Paktes ist mühsam. Sein zweites Ziel lautet: «Minimierung nachteiliger Triebkräfte und struktureller Faktoren, die Menschen dazu bewegen, ihre Herkunftsländer zu verlassen». Auf Deutsch heisst das, die Ursachen von Migration sollen bekämpft werden.

Dass gegen den Migrationspakt Lügen im Umlauf sind, hat auch die christdemokratische deutsche Kanzlerin Angela Merkel bemerkt. Es ist traurig, dass diese von Rechtsextremen erfundenen Fake News inzwischen in unserem Parlament angekommen sind.

Einige von Ihnen üben subtilere Kritik. Der Migrationspakt sei soft law, warnen Sie. Und ja: Das ist ein Thema. Soft law kann zu harten Gesetzen führen. Und wenn eine Regierung zuerst ein internationales Abkommen abschliesst und dieses dann als Argument nutzt, um zu Hause Gesetzesänderungen durchzudrücken, dann ist das fragwürdig. Die CVP hat in einer Interpellation eine Diskussion über soft law gefordert, und wir werden sie gerne führen.

Aber der Pakt ist nicht so wichtig, dass wir deswegen in einer Hauruckübung die Regeln des Schweizer Rechtsstaates umstossen sollten. Die Motion, über die wir heute Dienstag abstimmen, sieht genau das vor. Sie fordert, dass das Parlament über den Pakt entscheidet. Aber in unserem System ist ein solcher Entscheid Sache des Bundesrates. Im Fall der kürzlich verabschiedeten Uno-Erklärung über die Rechte von Kleinbauern hat auch niemand verlangt, vom demokratischen Weg abzuweichen, wie mein Vorredner Herr SP-Nationalrat Wermuth zu Recht bemerkt hat.

Die Motion ist also undemokratisch. Und undemokratisch ist auch, wie Sie, Frau Schneider-Schneiter, für diese Motion argumentieren: Sie haben in der Debatte behauptet, der Pakt könnte «für die Schweizer Rechtsordnung problematisch» sein, darum müsse er vors Parlament. Aber auch auf mehrfache Nachfrage hin haben Sie sich geweigert zu sagen, was für Probleme Sie da auf uns zukommen sehen.

Das ist unlauter, aber ich sehe Ihre Not: Diese Probleme gibt es nicht. Der Pakt wird in unseren Gesetzen nicht die kleinste Spur hinterlassen. Er ist darum sogar ein ungeeignetes Beispiel für die Diskussion über soft law.

Alle Massnahmen des Paktes sind mit den Schweizer Gesetzen vereinbar, bis auf eine kleine Ausnahme: die Ausschaffungshaft für Jugendliche, die der Pakt ablehnt und die Schweiz theoretisch erlaubt. Und: Der Pakt schlägt zwar unzählige Massnahmen vor, damit die Migration kontrollierter und gestaltbarer wird. Aber jedem Staat bleibt es überlassen, aus all diesen Massnahmen diejenigen auszuwählen, die ihm gefallen. Dieser Pakt ist nicht soft. Er ist supersoft.

Die Schweiz kann zum Beispiel den Vorschlag ignorieren, die öffentlichen Gelder für Medien zu streichen, die «systematisch Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und andere Formen der Diskriminierung gegenüber Migranten fördern». Sie, Herr SVP-Nationalrat Rutz, haben diesen Vorschlag zu einem Angriff auf die Medien- und Meinungsäusserungsfreiheit erklärt. Wollen Sie sich tatsächlich für die staatliche Förderung rassistischer Zeitungen ins Zeug legen?

Ich habe bis jetzt fast nur über den Unsinn gesprochen, der über diesen Pakt erzählt wird. Lassen Sie mich noch kurz über seinen wahren Inhalt sprechen. Migration ist eine Tatsache, illegale Migration auch. Sie ist überall, und wir profitieren davon. Wenn etwa Afrikanerinnen in Spanien die Tomaten pflücken, die bei uns fast nichts kosten. Oder wenn polnische Handwerker schwarz unsere Badezimmer renovieren.

Dazu sagt der Pakt: so nicht. Wenn wir Migrantinnen und Migranten brauchen, sollen wir sie legal ins Land holen, sie nicht ausbeuten und ihre Rechte schützen. Falls der Pakt eines Tages Wirkung zeigt, werden wir das spüren: Die Tomaten werden ein klein wenig teurer, die Südamerikanerin, die bei Ihnen zu Hause vielleicht unangemeldet sauber macht, auch.

Sie sehen, dieser Pakt soll die schwächsten Teilnehmer an der globalen Wirtschaft schützen.

Linkes Moralin, denken Sie jetzt vielleicht. Aber das wäre ein Irrtum. Der Schutz der Schwächsten ist ein Anliegen, das uns alle verbinden sollte. Sicher aber ist es ein christliches Anliegen. Und eine geregelte Migration ist auch ein wirtschaftliches und ein liberales Anliegen: Weil Migranten die schlecht bezahlten Jobs übernehmen, die es in jeder Volkswirtschaft gibt.

Darum wende ich mich jetzt an die Mitglieder von CVP und FDP: Von der Sache her ist es unverständlich, dass Sie sich der Lügenpropaganda gegen diesen Pakt anschliessen. Und taktisch ist es dumm: Wenn Sie heute Dienstag wirklich zusammen mit der SVP beschliessen, dass das Parlament über diesen Pakt entscheiden soll, dann begleitet uns das Thema noch durch das gesamte Wahljahr 2019.

Dann werden Sie weiterhin so tun müssen, als ob etwas dran wäre am Unsinn, den die SVP erzählt. Der Pakt wäre für die Schweiz verloren, wir würden uns jenen Ländern anschliessen, die in dieser Frage dem Einfluss rechtsextremer Kräfte erlegen sind.

Und Sie und Ihre Parteien, die CVP und die FDP, würden nichts gewinnen. Denn Sie schüren so ein Klima der Feindlichkeit gegenüber Uno, Beamten und Menschenrechten – und davon profitiert in der Schweiz nur eine Partei. Nicht Ihre. Sie aber verlieren vielleicht ein paar vernünftige Anhänger, die sich angewidert nach Alternativen umschauen und bei den Grünliberalen fündig werden.

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