Briefing aus Bern

Bundesrätinnen, Gewerkschafter, CO2-Gesetz und der Restposten Rahmenabkommen

Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (36).

Von Andrea Arezina, 06.12.2018

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Zwei Frauen, ein Thema, und das seit Mittwochmorgen auf allen Kanälen. Darum: einatmen. Ausatmen. Zwei Sätze müssen reichen für das Wichtige: Die Schweiz hat zwei neue Bundesrätinnen. Sie heissen Viola Amherd (CVP) und Karin Keller-Sutter (FDP).

Alles andere ist Werweissen. Denn die beiden Neuen sind heute die Gleichen wie gestern.

Wieder interessant wird es diesen Freitag, wenn im Bundesrat die Departemente neu verteilt werden. Und dann? Heisst es erst mal hundert Tage warten. Oder auch zweihundert. Die Republik beobachtet den Bundesrat und schreibt wieder über ihn, sobald sich abzeichnet, wie er sich in der neuen Besetzung verändert.

Wenn Sie zu denen gehören, die jetzt erst wissen wollen, wer da in den Bundesrat gewählt wurde, empfehlen wir Ihnen unsere bereits erschienenen Porträts der neuen Magistratinnen Karin Keller-Sutter und Viola Amherd. Und damit zum Briefing aus Bern.

CO2-Gesetz wird weiter abgeschwächt

Was Sie wissen müssen: Das Pariser Klimaabkommen will den globalen Temperaturanstieg auf unter zwei Grad Celsius beschränken. Um dieses Ziel zu erreichen, hat sich auch die Schweiz verpflichtet, ihre Treibhausgasemissionen zu senken. Mit einem neuen CO2-Gesetz strebt der Bund bis 2030 eine Reduktion der Emissionen um 50 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 an. Die Vorlage wurde diese Woche erstmals im Nationalrat behandelt.

Das entscheidet der Nationalrat: Er bekennt sich zu den Klimazielen, schwächt das Gesetz aber in einigen Punkten empfindlich ab. Einer betrifft die Frage, um wie viel die Schweiz ihre Emissionen im Inland tatsächlich reduziert und wie viele Emissionen sie über den Kauf von Emissionszertifikaten im Ausland lediglich kompensiert. SVP und FDP haben mit knapper Mehrheit durchgesetzt, dass die Schweiz ihre Emissionen auch vollständig mit Zertifikaten kompensieren kann. Den vom Bund vorgeschlagenen inländischen Reduktionsanteil von mindestens 30 Prozent hat die rechte Ratshälfte verworfen. Sie behauptet, im Ausland könne die Schweiz mit weniger Geld mehr Emissionen reduzieren. Die Umweltverbände und klimafreundliche Parteien sehen darin eine Auslagerung des Klimaproblems und sind der Ansicht, die Schweiz drücke sich hierzulande um ihre Verantwortung.

So geht es weiter: Anfang nächster Woche wird das Gesetz im Nationalrat weiterberaten. Gelingt es der rechten Mehrheit, weitere Massnahmen abzuschwächen, ist es möglich, dass die linken Parteien das Gesetz in einer unheiligen Allianz mit der SVP in der Schlussabstimmung fallen lassen. Wertvolle Zeit ginge verloren. Dass die Schweiz in der Klimapolitik ohnehin schon eher versagt, können Sie hier nachlesen.


Die Spitze der Gewerkschaften bleibt männlich

Warum das wichtig ist: Zwanzig Jahre lang war Paul Rechsteiner Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB). Letzten Samstag wählten die Delegierten seinen Nachfolger – Pierre-Yves Maillard. Dies, obwohl im Vorfeld von verschiedenen Gewerkschaften eine Frau an der Spitze gefordert wurde. Der SGB-Chef vertritt 360’000 Mitglieder und ist die Spitze des politischen Arms der Gewerkschaften. Er sitzt an unzähligen Kommissionstischen auf nationaler Ebene und verhandelt mit bei Themen wie Arbeitsbedingungen, Renten und Löhne.

Wer der Neue ist: Als Regierungsrat im Kanton Waadt führte Maillard Stipendien für junge Sozialhilfeempfänger ein, damit diese eine Grundausbildung absolvieren können. Er setzte eine grosszügigere Prämienverbilligung bei den Krankenkassen durch. Dafür nahm er in Kauf, dass die Kantonsregierung die Unternehmenssteuern massiv reduzierte. Diesen Deal nehmen ihm bis heute viele Linke übel, weit über die Waadtländer Kantonsgrenze hinaus. Maillard ist in Bern kein Unbekannter. Er gehörte von 1999 bis 2004 dem Nationalrat an, war Bundesratskandidat gegen Alain Berset und dürfte nächsten Dezember wieder im Nationalrat sitzen.

Was er vorhat: In seiner Rede am SGB-Kongress vom letzten Samstag sagte er: «Eine starke Gewerkschaftsbewegung zeichnet sich durch Vielfalt, aber auch durch Einigkeit aus.» Thematisch klingt Maillard bis jetzt wie die Kopie seines Vorgängers. Er befürwortet den AHV-Steuer-Deal und ist auch für ein Rahmenabkommen mit der EU nicht bereit, vom bestehenden Lohnschutz in der Schweiz (den flankierenden Massnahmen) auch nur einen Millimeter abzuweichen. Maillard verspricht, dass er sich für die Anliegen von Frauen einsetzen werde. Gelegenheit, um diesen Worten Taten folgen zu lassen, hat er bald: 2019 ist Frauenstreik.


Ringen um ein Rahmenabkommen

Was Sie wissen müssen: Einst wollte es die Schweiz, jetzt pocht die EU darauf – und die Schweiz tut sich schwer. Ein juristischer Rahmen für die bestehenden und zukünftigen Verträge mit der EU wäre eine gute Sache. Doch die Schweiz scheint derzeit nicht in der Lage zu sein, in Verhandlungen die Wünsche der EU mit den eigenen Interessen zu versöhnen. Das Problem scheint hausgemacht: Nicht einmal im Bundesrat besteht Einigkeit darüber, wie man mit der EU-Forderung einer Aufweichung der flankierenden Massnahmen umgehen soll.

Was bisher geschah: Schon letzten Freitag diskutierte der Bundesrat ergebnislos über das Rahmenabkommen. Eine Antwort hat die Schweiz aber immerhin auf ein Problem gefunden. Falls sich kein Durchbruch beim Rahmenabkommen abzeichnen sollte, hat die EU damit gedroht, der Schweizer Börse die Äquivalenz abzuerkennen. Für diesen Fall hat der Bundesrat nun Schutzmassnahmen beschlossen, mit denen sich der Schaden für die Schweizer Börse womöglich in Grenzen halten liesse.

Wie es weitergeht: Diesen Freitag wird der Bundesrat erneut über das Rahmenabkommen befinden. Und es sieht immer noch nicht danach aus, als ob eine Mehrheit für ein Rahmenabkommen möglich wäre. Der Bundesrat wird also wohl versuchen, auf Zeit zu spielen. Er wird der EU erklären, dass in der Schweiz noch eine innenpolitische Klärung anstehe, bevor das Rahmenabkommen unterschrieben werden könne. Und er wird hoffen, dass die EU von Strafaktionen absieht. Die Börse ist nur eines ihrer möglichen Ziele, und nicht das grösste. Die Schweizer Universitäten, die auf die Zusammenarbeit mit der EU angewiesen sind und davon profitieren, sind ein anderes. Starke Nerven braucht das Land.

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