Was diese Woche wichtig war

Rücktrittsruf an Maudet, Kriegsrecht in der Ukraine – und ein gigantischer Bulle

Woche 48/2018 – das Kurzbriefing aus der Republik-Redaktion.

Von Michael Kuratli, 30.11.2018

Teilen0 Beiträge

Journalismus kostet. Dass Sie diesen Beitrag trotzdem lesen können, verdanken Sie den rund 27’000 Leserinnen, die die Republik schon finanzieren. Wenn auch Sie unabhängigen Journalismus möglich machen wollen: Kommen Sie an Bord!

Angst vor Eskalation in der Ukraine

Darum geht es: Das ukrainische Parlament beschloss für Teile des Landes das Kriegsrecht. Im Vorfeld der Abstimmung war es zu einem Zwischenfall nahe der von Russland besetzten Krim-Halbinsel gekommen. Die russische Marine setzte dabei ukrainische Militärschiffe inklusive Teilen der Besatzung fest. Am Montag befasste sich der Uno-Sicherheitsrat mit der Angelegenheit. Westliche Länder verurteilten die Eskalation als Provokation Russlands.

Ein russischer Fliegerabwehrsoldat hält sich in der Nähe der Krim in Bereitschaft. Sergei Malgavko/TASS/Getty Images

Warum das wichtig ist: Im Osten erklingt Säbelrasseln. Was bislang bekannt ist: Die russische Küstenwache nahm am Dienstag drei Marinesoldaten in Untersuchungshaft, die Teil der 24-köpfigen Besatzung dreier ukrainischer Schiffe waren, die am Sonntag die Meerenge von Kertsch passieren wollten. Die Strasse von Kertsch ist der einzige Seeweg zwischen dem Asowschen und dem Schwarzen Meer. Russland kontrolliert seit der Annexion der Krim den Durchgang. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko forderte daraufhin im Parlament die Verhängung des Kriegsrechts, gestützt auf Geheimdienstdokumente, nach denen russische Truppen nahe der ukrainischen Grenze für eine Invasion des Landes bereitstünden. Die Gefahr eines «vollständigen Krieges» mit Russland habe drastisch zugenommen, so Poroschenko. Das Parlament folgte seinem Antrag nur zum Teil, indem es das Kriegsrecht auf bis Ende Jahr und nur auf die östlichen Landesteile begrenzte. Abgeordnete vermuten, dass der unbeliebte Präsident mit der Massnahme die Präsidentschaftswahl im kommenden März verschieben oder zu seinen Gunsten beeinflussen wollte. Mit denselben Vorwürfen konterte die offizielle russische Seite im Uno-Sicherheitsrat die Kritik westlicher Regierungen.

Was als Nächstes geschieht: In der aktuellen Aufregung wird vergessen, dass in den Landesteilen Donezk und Luhansk seit 2014 ein latenter Krieg herrscht. Der russische Aussenminister Sergei Lawrow meinte zum aktuellen Zwischenfall, dass eine Vermittlung nicht nötig sei. Eine Deeskalation erhofft man sich von den Gesprächen der Normandie-Gruppe; das ist ein Gesprächsformat zwischen Frankreich, Deutschland, Russland und der Ukraine, das geschaffen wurde, um den Ukraine-Konflikt beizulegen. Nicht zur Entspannung beigetragen hat die Drohung des US-Präsidenten Donald Trump an die Adresse Wladimir Putins, am G-20-Gipfel Ende dieser Woche nicht teilzunehmen.

Genfer Staatsrat Maudet wird zur Hypothek für die FDP

Darum geht es: Der Vorstand der FDP Schweiz hat den Genfer Staatsrat Pierre Maudet am Mittwoch zum Rücktritt aufgefordert. Zuvor hatte ihm bereits die Genfer FDP das Vertrauen entzogen. Damit erreicht die Affäre Maudet einen neuen Höhepunkt.

Ohne das Vertrauen seiner Partei: Pierre Maudet nach der Sitzung mit der FDP-Parteileitung am 28. November in Bern. Peter Schneider/Keystone

Warum das wichtig ist: Der Fall Maudet hat sich inzwischen zum Testfall für die Glaubwürdigkeit der Politik ausgewachsen. Und ist für seine FDP ein Jahr vor den eidgenössischen Wahlen zur schweren Hypothek geworden. In den letzten Monaten kamen immer neue Fehltritte des Politikers ans Licht. Der einstige FDP-Hoffnungsträger, der 2017 sogar als Bundesratskandidat im Rennen war und dabei gegen den heutigen Aussenminister Ignazio Cassis unterlag, liess nicht nur sich und seine Familie von einem Kronprinzen auf eine Luxusreise nach Abu Dhabi einladen, sondern auch den Mandatsbeitrag von 10’000 Franken an seine Partei von einem unbekannten Mäzen sponsern und eine rauschende Geburtstagsparty von einer Genfer Hotelkette bezahlen. Als die Affäre aufflog, verstrickte sich Maudet in Lügen. Im August kündigte die Genfer Staatsanwaltschaft an, gegen den Politiker wegen Vorteilsnahme zu ermitteln. Maudets Regierungsratskolleginnen verhinderten daraufhin, dass er Regierungsratspräsident wird. Einsicht zeigt Maudet bis heute nicht.

Was als Nächstes geschieht: Die FDP-Führung um Präsidentin Petra Gössi versucht mit der Rücktrittsaufforderung, den Schaden für die Partei zu begrenzen. Bereits am 23. November sagte Gössi: «Mit dem Verhalten hat Pierre Maudet seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel gesetzt, und damit leidet auch das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik.» Jetzt hat die Partei den Druck erhöht. Zum Rücktritt zwingen kann sie Pierre Maudet jedoch nicht.

«Gilets jaunes» machen Druck auf Macron

Darum geht es: Hunderttausende Menschen gehen seit bald zwei Wochen in Frankreich auf die Strasse. Vergangenen Samstag kam es während einer Demonstration auf den Champs-Élysées zu Gewaltausschreitungen. Mit gelben Westen protestieren Menschen landesweit gegen Präsident Emmanuel Macron.

Warum das wichtig ist: Wer genau sind die gilets jaunes, die Protestierenden in den Sicherheitswesten – und was wollen sie? Wie jede Frage nach dem gemeinsamen Ziel einer aufgebrachten Masse fällt die Antwort diffus aus. Klar ist, dass sich die Wut der mehrheitlich ländlichen Mittelschicht an der von Macron geplanten zusätzlichen Steuer auf Treibstoffen entzündete. Die Massnahme ist Teil des Plans des Präsidenten für ein CO2-freies Frankreich bis Mitte des Jahrhunderts. Während Macron im ersten Amtsjahr mit erstaunlich wenig Widerstand der Gewerkschaften Reformen angehen konnte, schlägt ihm nun der Unmut einer neuen sozialen Bewegung umso heftiger entgegen. Der Präsident reagierte nach der Eskalation vom Samstag denn auch umgehend, indem er die vorgeschlagenen Massnahmen zur Diskussion stellte und Gewerkschaften und andere Sozialpartner zum runden Tisch einlud. Bloss gehören die gilets jaunes eben keinem der etablierten Verhandlungspartner an.

Marianne meets Guy Fawkes: Mit dem Triumphbogen im Hintergrund und neben einem Protestfeuer reckt ein Demonstrant mit gelber Warnweste die französische Flagge in die Höhe. Mehdi Taamallah/NurPhoto/Getty Images

Was als Nächstes geschieht: Der Wind, der Macron entgegenweht, wird eisiger. In seiner bisherigen Amtszeit hat er es offenbar nicht geschafft, mit seiner Politik wirtschaftlich vernachlässigte Bevölkerungsteile zu erreichen. Schafft es der Präsident nicht, Verbesserungen für untere und mittlere Schichten zu erreichen, droht die Quittung spätestens bei den Europawahlen im Mai. Die vom Entgegenkommen des Präsidenten trotzdem enttäuschten «gelben Warnwesten» kündigten unterdessen an, morgen Samstag erneut zu demonstrieren.

Brexit-Deal ready to go – und jetzt?

Darum geht es: Die 27 verbleibenden EU-Mitgliedsstaaten haben den ausgehandelten Deal mit Grossbritannien akzeptiert. Damit liegt der Ball nun bei den Briten. Ob Premierministerin Theresa May den Scheidungsvertrag durch das eigene Parlament bekommt, ist indes unklar.

Warum das wichtig ist: Ende kommenden März endet die Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union. Nun ist endlich ein Deal auf dem Tisch – und niemand ist damit zufrieden. Theresa May verteidigt ihre Verhandlungen mit Brüssel. Ein besseres Ergebnis sei nicht möglich, argumentiert sie und hat damit vielleicht sogar recht. Schliesslich hatte die EU kein Interesse daran, es dem scheidenden Mitglied einfach zu machen. Doch weder die «Brexiteers» noch die «Remainers» noch Mays eigenes Kabinett sind zufrieden mit dem Verhandelten. Studien wollen derweil bereits errechnet haben, wie stark die wirtschaftlichen Einbussen des Landes ausfielen, würde der Deal angenommen. Es liegt nun beim Unterhaus des Parlaments, dieses muss das Vertragswerk durchwinken. Ansonsten könnte es zu einem zweiten Referendum kommen. Die oppositionelle Labour-Partei bereitet sich schon auf dieses Szenario vor. Denkbar wäre, dass ein zweiter Entscheid zugunsten eines Verbleibs in der europäischen Staatengemeinschaft ausfallen könnte.

Was als Nächstes geschieht: Jegliche Voraussagen, wie die Sache ausgehen wird, sind derzeit pure Spekulation. Kennerinnen der britischen Politik sind ratlos, schliesslich gibt es schlicht keine vergleichbare Situation. Die nächste Wegmarke ist der 11. Dezember. Dann werden im Unterhaus in London die Daumen nach oben oder nach unten gehen.

Implant-Files: Das System ist kaputt

Darum geht es: Jahrelang wurden Patientinnen Implantate eingesetzt, die unzureichend getestet oder offensichtlich gefährlich waren. Die Implant-Files – Recherchegegenstand eines weltweiten journalistischen Netzwerks – kommen zum Schluss, dass das Bewilligungs- und Prüfsystem nicht funktioniert.

Warum das wichtig ist: Der Ursprung der Recherche ist legendär schockierend. Journalistin Jet Schouten kaufte sich 2015 Mandarinen im Netz, schnitt das Netz zurecht und reichte es als medizinales Vaginalnetz bei verschiedenen Prüfstellen ein. Das Fazit: Das Produkt wäre womöglich durchgekommen und hätte Frauen mit Inkontinenz implantiert werden können. Der schockierende Befund trat eine Recherche los, die noch viel mehr zutage förderte. Weltweit wurde zwischen 2010 und 2014 Patienten etwa ein Bandscheiben-Implantat aus Kunststoff eingesetzt, obwohl das Produkt bei Tierversuchen bereits mangelhafte Resultate geliefert hatte. Daran beteiligt war auch ein Schweizer Forscher. Dieser schob in einer öffentlichen Stellungnahme die Schuld auch auf die Investoren. Sie hätten Druck gemacht, Produkte schnell auf den Markt zu bringen. Betroffen sind auch Patientinnen in der Schweiz.

Was als Nächstes geschieht: Die Unmengen an Komplikationen mit Implantaten zeigen, dass das Problem System hat. Die Flut an Artikeln und Dokumentationen zu den Implant-Files reisst derzeit nicht ab. Die politischen Konsequenzen dürften ebenfalls nicht lange auf sich warten lassen.

Zum Schluss: Too big for slaughter (nur kurz)

Auf die Grösse komme es nicht an, sagen Männer, die ihre Genitalien als unterdurchschnittlich einschätzen. Mit ihren Kompensationsgefährten brummen sie demonstrativ die Ausgehmeile vor den Republik-Büros hinauf und hinunter. Während Penisgrösse und Liebhaberqualitäten tatsächlich nichts miteinander zu tun haben, kann Grösse in anderen Situationen sogar Leben retten. Diese Erfahrung machte eine männliche Kuh. Der fast schon monströse Muni Knickers in Westaustralien lebt noch, weil er wegen seines massigen Volumens und eines Gewichts von 1400 Kilogramm von keinem Schlachter ersteigert werden wollte – er würde nicht in die Produktionsstrasse passen, und seine Steaks wären zu gross. Nun darf das 1,94 Meter grosse Rindvieh den Rest seines Lebens in Ruhe zwischen vergleichsweise winzigen Artgenossinnen verbringen, quasi als Möbelstück, wie sein Besitzer sagt. Der hat übrigens keine Ruhe mehr, seit die Geschichte in den sozialen Netzwerken explodierte.

Top-Storys: Ihre kuratierte Medien-Jukebox

E-Zigis im Knast: Wenn dein Dealer auch dein Gefängniswärter ist. «Vice» erzählt die fragwürdige Erfolgsgeschichte eines E-Zigaretten-Start-ups – ein Monopol der anderen Art.

Fake News: «Nichts auf dieser Seite ist echt», schreibt ein Erfinder von Fake News ins Kleingedruckte. Doch die Leute lesen seine Storys – und wollen sie glauben. Die «Washington Post» schreibt darüber, wie aus Lügen Wahrheiten werden.

Crispr: Noch bevor die Wissenschaft zum Thema Gen-Editing tagte, preschte der Chinese He Jiankui mit der Sensationsmeldung über die Geburt genveränderter Zwillinge vor. Die Meldung ging um die Welt, die «Zeit» hat sie kritisch eingefangen.

Sklaverei: Yvan Sagnet stand einst selbst auf den Feldern in Italien und wurde von skrupellosen Landwirten ausgebeutet und geschlagen. Heute hilft er jenen, die noch immer als Sklaven leben. «Arte» hat die jämmerliche Situation mitten in Europa dokumentiert.

Was diese Woche wichtig war

Wir beobachten für Sie das Weltgeschehen, filtern das Wichtigste heraus, ordnen es ein – und schicken es Ihnen jeden Freitag ansprechend verpackt in Ihre Inbox.

Wenn Sie weiterhin unabhängigen Journalismus wie diesen lesen wollen, handeln Sie jetzt: Kommen Sie an Bord!