Eine Schlappe für die Volksverherrlicher

Das klare Nein zur Selbstbestimmungsinitiative kommt nach dem harten Abstimmungskampf überraschend. Es liegt aber auf einer Linie, die sich schon länger abzeichnet.

Ein Kommentar von Urs Bruderer, 25.11.2018

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Das ist eine direktdemokratische Blamage für die selbst ernannten Hüter der direkten Demokratie. Nur ein Drittel der Wählenden ist für die Selbstbestimmungsinitiative der SVP. Das entspricht ziemlich genau dem Wähleranteil der Partei. Wenn sie weitermacht mit solchen Initiativen, sollte sie über eine Namensänderung nachdenken: von SVP, der Schweizerischen Volkspartei, zu SDP, der Schweizerischen Drittelspartei.

Sportlich reagiert der geistige Vater der Initiative, Aktienrechtsprofessor und SVP-Nationalrat Hans-Ueli Vogt: «Die vielen Argumente der Gegner haben insgesamt mehr überzeugt (...) wir haben umgekehrt ein abstraktes Anliegen zur Sprache gebracht.»

Weniger sportlich SVP-Nationalrat Thomas Matter: «Die aggressive Märchenstunde-Kampagne der Gegner mit einem unlimitierten Budget zeigte uns schon vor Monaten, dass wir chancenlos sind.» So Matter, der vor der Abstimmung den Gegnerinnen der Initiative das Wort im Mund verdrehte.

Mit einer kleinen, feinen Volksbeleidigung Parteipräsident Albert Rösti: «Das unmittelbare Problembewusstsein war beim einzelnen Stimmbürger natürlich weniger da.»

Vielen SVPlern war es nach der Niederlage wichtig zu betonen, dass das Volk nicht Nein gesagt habe zur direkten Demokratie. Eine unnötige Floskel. Bemerkenswert nur, weil sie von jener Partei kommt, die vor der Abstimmung noch behauptete, dass man sein Stimmrecht gleich rauchen könne, wenn man die Initiative ablehne.

Das überraschend klare Ergebnis wird wohl noch lange analysiert werden. War es die Angst vor wirtschaftlicher Isolation, die die Leute Nein sagen liess? Die Sorge um die Menschenrechte? Die Warnungen vor Rechtsunsicherheit? Die mobilisierende Kraft von neuen Organisationen wie Operation Libero und Schutzfaktor M? Wahrscheinlich war es wie immer von allem ein bisschen.

Doch das Ergebnis liegt auch auf einer Linie, die sich seit Jahren abzeichnet. Der Politologe Claude Longchamp hat darauf hingewiesen: Es waren gesellschaftspolitische Initiativen, mit denen die SVP in den letzten Jahren gewann – Minarette, Ausschaffung, Masseneinwanderung. Mit den staatspolitischen Initiativen verlor sie immer massiv: Für die Wahl des Bundesrates durch das Volk sagte das Volk nur zu 25 Prozent Ja. Und für einen Maulkorb für Bundesrat und Verwaltung vor Abstimmungen vor zehn Jahren nur zu 24 Prozent.

Und die Selbstbestimmungsinitiative kam jetzt – nach jahrzehntelanger Kritik der SVP an den Eliten und den Institutionen – immer noch nur auf magere 34 Prozent. Das zeigt, dass die Schweiz nicht für jede Form von Populismus anfällig ist. In anderen Ländern schüren populistische Parteien das Misstrauen in Staat, Behörden und Politik und leben gut damit. Auch die SVP schürt dieses Misstrauen seit vielen Jahren, zum Glück mit wenig Erfolg: Denn kaum etwas ist wichtiger für eine funktionierende Gesellschaft als das Vertrauen in den Rechtsstaat und seine Organe.

Dieser Tag ist eine Wegmarke für die Schweiz. Einmal mehr hat sich das Volk selber als besonnener erwiesen als seine Verherrlicher von der Volkspartei. Nach einer langen und intensiven Debatte haben so viele Wählerinnen und Wähler das falsche Versprechen der Selbstbestimmung durchschaut. Es ist ein Tag dafür, ein wenig stolz zu sein auf dieses Land und seine direkte Demokratie.

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