Fotobuch

Idylle mit Plastikpelerine

Didier Ruef: «Homo Helveticus»

Was macht das Schweizerische in diesem Bildband des Genfer Fotografen aus? Seine Szenen fangen etwas ein, das mit Worten kaum nachzuerzählen ist.

Von Barbara Villiger Heilig, 23.11.2018

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Wer herausfinden will, was typisch für das Eigene ist, muss das Andere erleben. Robert Walser schrieb seine berühmtesten Romane in Berlin; den literarischen Stil von Charles-Ferdinand Ramuz prägten dessen Pariser Jahre – doch beide Schriftsteller bringen etwas spezifisch Schweizerisches auf den Punkt. Ähnlich verhält es sich mit Didier Ruef. Um die Schweiz kennenzulernen, ist der Genfer in die weite Welt hinausgegangen: Für seine Reportagen und Fotoessays bereiste er alle fünf Kontinente.

Nicht, dass Ruef mit fremdem Blick auf sein Heimatland schauen würde. Vielmehr hat die intensive Reisetätigkeit im Ausland seine Aufmerksamkeit fürs Inländische geschärft: Den «Homo Helveticus», wie er die Spezies der Schweizerinnen und Schweizer nennt, findet er in der Stadt und auf dem Land, an der Arbeit und in der Freizeit.

Wer ist dieser helvetische Mensch?

Gute Frage. Didier Ruef hütet sich, Klischees zu plakatieren – weshalb gar nicht immer evident wird, was das Schweizerische auf den Bildern dieses Fotobandes ausmacht. Klar: die Kühe, das Rütli, der Unspunnenstein. Doch hintersinnig-versonnener muten mich andere Sujets an, zum Beispiel das Gruppenbild vor der Kreditanstalt (so hiess die Bank damals: Die Fotos stammen grosso modo aus den 1990er-Jahren). Ein Familientreffen? Ehemalige auf einem Betriebsausflug? Demonstrierende Rentnerinnen und Rentner? Krawatten, Sonnenbrillen, Handtaschen wirken wie Schutzmassnahmen.

Anderswo sind es Plastikpelerinen, Uniformen, Sonnenhüte.

Aber je länger ich diese Fotos studiere, desto rätselhafter kommen sie mir vor. Das himmeltraurige Indoor-Golf, die Gartenidylle samt Rasenmäher und Weissweinglas, der elegante alte Herr, Halt suchend an einem Baum auf der Zürcher Bahnhofstrasse – nein, Ruef ist jedenfalls kein Zyniker. Seine Schweiz ist verwandt mit derjenigen von Christoph Marthaler. Ironie, gepaart mit Zuneigung, zeichnet seine Bilder aus. Oder sogar einer Prise Mitleid.

Kommuniziert wird kaum in Didier Ruefs Schweiz, und wenn, dann wortlos. Paare scheinen sich selbst zu genügen. Nur am Tisch in Soglio, wo Mann und Frau konzentriert ihre Suppe löffeln, wartet ein dritter Teller. Auf wen?

Rütli, 1990.
Appenzell, 1991.
Soglio, 1996.
Zürich, 1988.
Lugano, 2001.
Genf, 1988.
La Cure, 1992.
Zürich, 1991.
Evolène, 1996.
Massagno, 2002.
Euseigne, 1994.
Zürich, 1991.
Zürich, 1990.
Interlaken, 1993.
St. Moritz, 2000.

Zum Fotografen

Didier Ruef wurde 1961 in Genf geboren. Nach seinem Abschluss in Wirtschaftswissenschaften an der Universität Genf studierte er Fotojournalismus am International Center of Photography (ICP) in New York. Er wurde mit dem Yann Geoffroy Award, der Medaille der King Albert Memorial Foundation sowie 2003, 2004 und 2006 mit dem Swiss-Press-Photo-Preis für die beste Auslandsreportage des Jahres ausgezeichnet.

Zum Buch

Didier Ruef: «Homo Helveticus». Till Schaap Edition, Bern. Mit einem Vorwort von Thomas Maissen auf Deutsch, Französisch und Englisch. 168 Schwarz-Weiss-Fotografien. 208 Seiten, ca. 59 Franken.

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