Sie interessieren sich für Sozialdetektive? Das Internet weiss es

Leider illegal, aber irgendwie auch logisch: Im Abstimmungskampf um Versicherungsspione setzen die Befürworter – auf Spionage.

Von Adrienne Fichter, 21.11.2018

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Versicherungen wollen ihre Kundinnen und Kunden überwachen. Ob ihre Spione im Kampf gegen Versicherungsmissbrauch weiter gehen dürfen als die Polizei im Kampf gegen mögliche Verbrecher, darüber stimmen wir am Sonntag ab.

Doch Versicherungsspione spähen Sie jetzt schon aus. Und zwar im Netz. Wer auf der Website des Komitees für das neue Gesetz landet, liest dort in fetten Lettern «Fairplay bitte!». Und wird von der Seite sogleich registriert und verraten, zum Beispiel an Facebook. Als Spion dient ein unsichtbar kleiner Bildpunkt, ein Facebook-Tracking-Pixel, das Sie im Nu auffliegen lässt, ohne dass Sie es merken können.

Das soziale Netzwerk erfährt also, dass Sie sich für die Argumente des Sozialdetektive-Lagers interessiert haben. Die Folge werden Sie bei Ihrem nächsten Besuch auf Facebook feststellen: Ihr Nachrichtenstrom wird schon bald mit Werbung für ein Ja zu den Versicherungsspionen geflutet. Sie gelten als mögliche Ja-Wählerin, die man bei jeder Gelegenheit daran erinnern muss, auch wirklich ein JA einzulegen.

Das sogenannte Web-Tracking ist Standard geworden. Doch die Sache hat einen Haken: Sie ist in dieser Form definitiv nicht Fairplay. Und in mancher Hinsicht sogar illegal.

Aggressive Strategie

Die europäische Datenschutzverordnung (die noch verschärft werden soll) erlaubt solches Tracking nur, wenn die getrackten User einer Website ihre «ausdrückliche Zustimmung» geben. Auch das geltende Schweizer Datenschutzgesetz aus dem Jahr 1993 schliesst unsichtbares Tracking aus. Und das künftige Gesetz (es soll Ende 2019 in Kraft treten) erlaubt es nur mit ausdrücklicher Einwilligung.

Wer die Seite für ein Ja zu den Versicherungsspionen ansurft, sollte also zuerst gefragt werden, ob er damit einverstanden sei, dass seine Datenspur an Dritte, zum Beispiel an Facebook, weitergegeben wird. Doch auf der Website gab es bis zum 18. November keine Datenschutzerklärung zu lesen.

Hinter der Ja-Kampagne steht eine Partei, die CVP. Sie hat die Agentur Enigma damit beauftragt, die Website zu entwickeln und zu betreiben. Enigma ist bekannt für ihre aggressiven und ausgefeilten Targeting-Strategien. Die «Handelszeitung» nannte die Firma einst die Cambridge Analytica der Schweiz.

Die CVP hat jedoch kein Problem mit diesen zweifelhaften Methoden. «Die Website ‹Ja zu Fairplay im Sozialversicherungsrecht› genügt der heutigen Gesetzgebung für Schweizer Websites, die sich an Schweizerinnen und Schweizer richten», sagt Kommunikationschef Michaël Girod.

Das tut sie nicht. Der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte hat bereits 2011 eine Richtlinie dazu verabschiedet. Und die verlangt Folgendes: Jeder Website-Besucher muss über alle Auswertungstools von Google, Facebook und Co. aufgeklärt werden.

Keine Wahlfreiheit

Das Komitee hat sich zum Schluss doch noch für Transparenz entschieden. Eine Stunde nachdem die Republik Enigma kontaktiert hatte, war auf der Website eine lange Datenschutzerklärung aufgeschaltet. Darin steht: «Wenn Sie keine Zuordnung dieser Daten zu Ihrem Facebook-Account wünschen, loggen Sie sich bitte vor dem Besuch unserer Seite bei Facebook aus.» Was so nett ist wie eine Aufforderung, die Ereignisse von gestern ungeschehen zu machen.

Denn während Sie diesen Satz lesen, werden Sie bereits kommerziell und politisch von den globalen Playern ausgewertet. Da nützt auch eine Datenschutzerklärung nichts, die von Ihnen verlangt, die Vergangenheit rückgängig zu machen. Rechtskonform wäre die Seite ausserdem erst, wenn Sie echte Wahlfreiheit haben. Sprich: Sie haben die Option, das Tracking abzulehnen.

Die Ja-Kampagne für die Versicherungsspione der CVP ist längst nicht die erste illegale politische Aktion im Netz, im Gegenteil. Schon vor anderen Abstimmungen deckte die Republik auf, dass bei politischen Aktionen unsichtbarer Datenaustausch betrieben wurde (etwa hier oder hier).

Aufdecken konnten wir diese Fälle dank Ihnen, liebe Leserinnen und Leser. Weil Sie unser Tool «Political Ad Collector» so fleissig genutzt haben. Sie helfen uns damit, Filterblasen zu durchbrechen und die Online-Kampagnen der Parteien zu durchschauen.

Rund 27’000 Menschen machen die Republik heute schon möglich. Lernen Sie uns jetzt auch kennen – 21 Tage lang, kostenlos und unverbindlich: