Geld für nichts?

Universitäten brauchen den Zugang zu wissenschaftlichen Zeitschriften. Das nutzen die Verlage gnadenlos aus und verlangen überhöhte Preise. Dabei wären die Publikationen auch gratis zu haben.

Von Daniel Hürlimann, 14.11.2018

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Schweizer Universitäten geben jedes Jahr etwa 70 Millionen Franken an Steuergeldern aus, um Zugang zu wissenschaftlicher Literatur zu haben. Dabei ist ein Grossteil kostenlos erhältlich – über die Website sci-hub.tw. Ist es also sinnvoll, so hohe Zahlungen weiterhin zu leisten?

In dieser Debatte wird häufig behauptet, der Bezug von wissenschaftlicher Literatur via Sci-Hub sei illegal. Dies trifft nicht zu. In der Schweiz können wissenschaftliche Texte genauso legal heruntergeladen werden wie urheberrechtlich geschützte Musik oder Filme. Man kann über die ethische Dimension der Gratiskultur diskutieren, rechtlich ist der Download für den Eigengebrauch erlaubt.

Sollen Universitäten also die teuren Abonnemente kündigen? Dagegen spricht auf den ersten Blick die Forderung, dass sich Universitäten nicht nur rechtskonform, sondern auch ethisch korrekt verhalten sollten. Doch handeln auch die anderen Akteure des Publikationsmarktes ethisch? Nein*, lautet die Antwort – doch dafür muss man etwas ausholen.

Spielt der Markt?

Die drei grössten Wissenschaftsverlage erzielen höhere Gewinnmargen als Google, Apple, Facebook und Amazon. Hohe Gewinnmargen sind selbstverständlich nicht per se unzulässig oder unethisch, im Gegenteil: Sie sind in der Regel ein Zeichen für qualitativ hochstehende Produkte oder Dienstleistungen und für hohe Wettbewerbsfähigkeit. Es sei denn, der Wettbewerb versagt.

Funktioniert der Wettbewerb, wechselt die Kundschaft von überteuerten zu kostengünstigen Angeboten. Dieses Konzept setzt jedoch erstens voraus, dass die Kundin den Wert der Leistung kennt und dann entscheidet, ob sie bereit ist, den verlangten Preis zu bezahlen, oder nicht. Zweitens setzt es voraus, dass dem Kunden Alternativen zur Verfügung stehen.

Der Wissenschaftsmarkt funktioniert aber nicht nach diesen Prinzipien. Wissenschaftler haben keine Ahnung davon, was der Zugang zu den Informationen kostet, die sie nutzen. Sie sind einfach froh darüber, dass sie Zugang haben, und beschweren sich, wenn sie Texte nicht abrufen können. Es sind die Bibliotheken die darüber entscheiden, ob der Zugang besteht oder nicht. Sie schliessen Verträge mit den Verlagen ab. Keine Wissenschaftlerin weiss, wie hoch die Zahlungen sind, welche die Bibliotheken an die Verlage leisten. Und die grossen Verlage haben sich darauf spezialisiert, dieses Unwissen systematisch auszunutzen – etwa indem sie Geheimhaltungsklauseln in ihre Verträge schreiben, Preise zu Geschäftsgeheimnissen erklären und den Bibliotheken verbieten, Auskunft darüber zu erteilen.

Geheimniskrämerei und Mangel an Ethik

Da Bibliotheken mit öffentlichen Geldern finanziert werden, sollte die Bevölkerung erfahren dürfen, wo ihr Geld hinfliesst. Fast alle Kantone und auch der Bund haben deshalb Öffentlichkeits- bzw. Informationsgesetze erlassen, die dem Volk erlauben, amtliche Dokumente herauszuverlangen. Gestützt auf diese Gesetze, hat der Open-Access-Aktivist Christian Gutknecht die Schweizer Universitätsbibliotheken 2014 angefragt, wie viel sie für den Zugang zu Zeitschriften der drei grössten Wissenschaftsverlage bezahlen.

Mit Ausnahme der Università della Svizzera italiana haben sich aber alle Universitäten zunächst geweigert, Auskunft zu geben. Gutknecht hat sich auf sein Rechtsempfinden verlassen und damit sowohl auf Bundesebene als auch in fast allen Kantonen recht bekommen. Nach zahlreichen Verhandlungen und einigen Urteilen sind heute die Zahlungen von zehn Universitäten bekannt. Bei zwei Hochschulen läuft das Verfahren noch, bei der Universität Basel bleibt es aufgrund eines höchstrichterlichen Fehlurteils definitiv bei der Geheimhaltung. Obwohl Gutknecht fast alle Verfahren gewonnen hat, musste er einen Grossteil der Anwalts- und Gerichtskosten persönlich tragen.

Zum Problem der Intransparenz kommt ein weiteres hinzu: Manche Zeitschriften sind für die Universitäten unverzichtbar, um für Wissenschaftler attraktiv zu bleiben. Die Verlage haben dies erkannt und begonnen, solche essenziellen Zeitschriften mit zweit- und drittklassigen Publikationen zu bündeln und den Universitäten nur noch das Gesamtpaket anzubieten. Die Preise für diese Pakete wurden jedes Jahr stark erhöht. Die Universitäten konnten nichts dagegen tun.

Das Zwischenfazit lautet also: Die grossen Wissenschaftsverlage verhalten sich unethisch. Die Nutzung von Sci-Hub ist deshalb nicht nur juristisch, sondern auch ethisch zulässig, wenn nicht gar geboten. Nichts spricht dafür, überhöhte Preise zu zahlen, um kostenlos erhältliche wissenschaftliche Publikationen lesen zu können. Aus diesem Grund haben 2017 über sechzig deutsche Forschungsinstitute und Universitäten ihre Verträge mit dem Verlag Elsevier gekündigt.

Die Alternative ist eine One-Woman-Show

Doch Sci-Hub ist leider nicht nachhaltig. Sci-Hub ist eine One-Woman-Show und hängt vom Goodwill seiner Betreiberin ab. Diese hält sich an einem geheimen Ort in Russland auf, seit sie vor drei Jahren vom Wissenschaftsverlag Elsevier in den USA verklagt wurde. Hinzu kommt die Binsenwahrheit, dass wissenschaftliches Publizieren nicht kostenlos ist. Wenn sämtliche Bibliotheken weltweit ihre Zahlungen an die grossen Verlage einstellen würden, könnten diese keine Artikel mehr publizieren.

Mit der Kündigung der Verträge ist es deshalb nicht getan. Mit den dadurch eingesparten Geldern müssen Alternativen auf- oder ausgebaut werden. Dabei ist zu beachten, dass die Infrastruktur für wissenschaftliches Publizieren in den Händen der Wissenschaft bleibt. Ansonsten besteht die Gefahr, dass innovative Start-ups früher oder später durch die finanzstarken Grossverlage aufgekauft werden und das ganze Spiel wieder von vorne beginnt.

* Nicht alle Wissenschaftsverlage können in den gleichen Topf geworfen werden. Die Ausführungen nach dem Stern gelten in erster Linie für die drei grössten Wissenschaftsverlage (Elsevier, Springer und Wiley), welche in den Naturwissenschaften und der Medizin etwa die Hälfte des weltweiten Publikationsmarktes beherrschen.

Zum Autor

Daniel Hürlimann ist Assistenzprofessor für Wirtschaftsrecht mit Schwerpunkt Informationsrecht an der Universität St. Gallen.

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