Poesie & Prosa

Das bin doch nicht ich!

Dirk Skiba: «Das Gedicht & sein Double»

Ein Fotoband setzt 100 deutschsprachige Dichterinnen und Dichter ins Bild – und diese erwidern mit einem Gedicht.

Von Daniel Graf, 12.11.2018

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Paulus Böhmer hat sich vor die Blümchentapete gestellt, aber niedlich ist hier gar nichts. Denn Arme und Augen sagen wortlos: Rückt mir ja nicht auf die Pelle! Jürg Halter zitiert die klassische Denkerpose, Faust unters Kinn; allerdings skeptisch-tastend, als betrachte er das eigene Spiegelbild. Carolin Callies lacht das ausgelassenste Lachen dieses opulenten Bandes, als wolle sie die Dichterkollegen vom Tiefdenkerzwang entlasten. Und Anja Kampmann, so harmlos scheint es, sieht aus dem Fenster. Doch fällt ihr Blick auch auf die Anfangszeile links daneben: «Schnee am ersten Advent». Züge. Schornsteine. Und bald wissen wir, es ist zugleich ein Blick zurück und in den Abgrund.

Es ist das ungewöhnlichste Anthologieprojekt in diesem an Lyrikanthologien reichen Herbst. Denn hier treten die Bilder im Wortsinn neben die Texte: Gesicht und Gedicht, der Text und sein Double. Oder wer doubelt hier wen? Ausgangspunkt, jedenfalls der Entstehung nach, sind die Porträts von Dirk Skiba, die der Fotograf über Jahre hinweg angefertigt und gesammelt hat. Nicht als Auftragsarbeiten oder zu monetären Zwecken (wie auch, bei Lyrik?). Sondern als enthusiastischer Leser, der über die Begeisterung fürs Gedicht zur Autorenfotografie fand.

Zusammen mit Nancy Hünger und Helge Pfannenschmidt von der Dresdner Edition Azur hat er nun 100 von ihm porträtierte Dichterinnen und Dichter eingeladen, mit einem Text auf seine Porträts zu reagieren – sei es mit einem schon veröffentlichten, sei es, wie in zwei Dritteln der Fälle, mit einem eigens dafür geschriebenen Gedicht.

Wie Nancy Hünger in ihrem feinsinnig-klugen Einleitungsessay ausführt, reizt das natürlich dazu, über das Verhältnis von Ich und Abbild nachzudenken. Seit ihrer Kindheit, schreibt Hünger, gehöre sie zur Fraktion der «enthusiastischen Schämer». Und wer kennt nicht selbst die Zumutung, die man empfindet, wenn ein einzelnes, in Sekundenbruchteilen entstandenes Bild, schlimmstenfalls gar ein Passfoto, behauptet: Das bist du!

O nein, sagt Paulus Böhmer. Das Ich, «dies’ stete Schwanken / zwischen Ressentiment & Hybris», ist nie ein Einzelnes. Wir sind viele, in jedem Moment ein kleines bisschen anders. So ist auch sein Gedicht noch im Werden: Es ist vor allem der Korrekturmodus, den das Textbild auf Dauer stellt.

Und «nein, ich gerinne nicht zu text» heisst es auch bei Carolin Callies, wo «das reh» nicht vorbeihuscht, weil es Kamerascheu symbolisieren muss. Sondern weil da kurz vorher etwas «weht» und das Tier um des Reimes willen durchs Bild läuft.

So vielfältig die Tonlagen, so breit das Stimmungsspektrum der Porträts. Da sind die betont unprätentiösen Auftritte, etwa von Ulrike Almut Sandig, Ulf Stolterfoht im Hoodie oder Björn Kuhligk, live und direkt wie das Foto vom besten Kumpel. Und da sind, in der grossen Mehrheit, die lustvoll inszenierten, mit dem Stilzitat als Mittel. Fin de Siècle, Zwanzigerjahre, Nouvelle Vague. Und als Vergleichsfolie hat man zwangsläufig das Literatenporträt der vordigitalen Zeit vor Augen, Bilder etwa von Isolde Ohlbaum, Renate von Mangoldt oder auch Barbara Klemm. Wobei gerade die Retro-Inszenierung vieler Skiba-Bilder die Unterschiede markant hervortreten lässt.

Auf die Gefahr einer unzulässigen Verallgemeinerung hin: Wo die analoge Autorenfotografie die Momentaufnahme aus dem Geschehen des Literaturbetriebs ebenso liebt wie das klassische Autorenfoto mit dem Anspruch, den Charakter einer Dichterpersönlichkeit einzufangen, dominiert bei Skiba eine sorgfältig arrangierte szenische Logik. Man könnte von «Theatralik» sprechen, liesse sich das Wort von seinem negativen Beiklang befreien. Am augenfälligsten wird das im Einsatz der Requisite, ob Hirschgeweih, Totenkopf oder Paketbandknäuel.

Unverkennbar ist bei Skiba – und zwar altersübergreifend – eine Autorengeneration ins Bild gesetzt, die das souveräne Spiel mit der Kamera verinnerlicht hat. Und dann, inmitten von Maskerade und Subversion, finden sich doch auch Bekenntnisse, die man zwar nicht mit «Authentizität» verwechseln sollte. Die man aber ganz sicher verfehlt, wenn man ihnen ironische Uneigentlichkeit unterstellt. Maren Kames: «ich werde reden / und nicht zärtlich sein, aber bei der ganzen antrainierten Baronesse, bleib ich, / aller Härme zum Trotz, ein Warmes, Weiches, und die Zärtlichkeit die Lieblingsstärke / hinter allen Kragen».

Das Buch

Dirk Skiba: «Das Gedicht & sein Double. Die zeitgenössische Lyrikszene im Portrait». Edition Azur, Dresden 2018. 224 Seiten, ca. 49 Franken.

Die Rechte für die in unserem Artikel gezeigten Bilder und Gedichte liegen bei Dirk Skiba (Fotos) und den jeweiligen Autorinnen und Autoren (Texte), im Falle des Textes von Michael Fehr ausserdem beim Verlag Der gesunde Menschenversand.

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