Der Spielleiter mit einer seiner Figuren: Don Alfonso (Michael Nagy) mit der übergross projizierten Fiordiligi (Ruzan Mantashyan). ​Monika Rittershaus

Klang

Wo Frauen an die Kasse kommen

Opernhaus Zürich: «Così fan tutte»

Der Regisseur steht unter Hausarrest, die Aufführung findet trotzdem statt – geht das? Bei der Premiere galt der Applaus auch dem abwesenden Kirill Serebrennikow.

Von Peter Hagmann, 07.11.2018

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Rauschender Beifall für alle Mitwirkenden, besonders für die Darstellerinnen und Darsteller auf der Bühne und die szenischen Leiter, die sich allesamt weisse T-Shirts mit dem Porträt des Regisseurs und dem Appell «Free Kirill» übergezogen hatten – eine starke Geste der Solidarität.

Und ein Zeichen der Übereinstimmung mit dem Opernhaus Zürich, das für seine Produktion von Mozarts «Così fan tutte» an Kirill Serebrennikow festhielt, obwohl der russische Theatermann seit Monaten in seiner Moskauer Wohnung dem strengen Regime eines Hausarrests unterliegt. So war Serebrennikow nicht in der Lage, für die Proben nach Zürich zu kommen, er musste die Realisierung seiner in einer langen Vorbereitungsphase entwickelten Ideen aus der Ferne steuern.

Aber auch das war schwierig; direkte Kommunikation war nicht möglich, der Austausch durfte ausschliesslich über seinen Anwalt in Moskau erfolgen. Vor Ort wirkten für Serebrennikow, der für Inszenierung, Bühnenbild und Kostüme verantwortlich zeichnet, sein Vertrauter und Assistent Evgeny Kulagin sowie Nikolay Simonow (Mitarbeit am Bühnenbild) und Tatiana Dolmatovskaya (Mitarbeit an der Kostümgestaltung).

In der Konsumwelt

So aussergewöhnlich die Umstände waren, so unzweideutig ist am Ende ein Abend herausgekommen, der ein ungewöhnliches Profil aufweist und der wie jede andere Produktion kritisch gewürdigt zu werden verdient.

Serebrennikow holt den Stoff mit Selfie, Duckface und Sichtbeton in die Gegenwart: Fiordiligi (Ruzan Mantashyan, links) und Dorabella (Anna Goryachova). Monika Rittershaus

Dies umso mehr, als Serebrennikow ebenso freizügig wie kreativ mit dem Stoff umgeht. «Così fan tutte» spielt bei ihm radikal in der Jetztzeit der westlichen (und längst nach Moskau vorgedrungenen) Konsumwelt. Handy und Flachbildschirm, der aus einer durchgestylten Maschine tröpfelnde Espresso und der frisch gepresste Orangensaft, das Fitnessstudio und die eleganten Dessous auf den schlanken Körpern – alles da.

So versteht sich, dass Don Alfonso alles andere ist als ein Philosoph und schon gar nicht alt, sondern ganz einfach der Dritte im Bunde mit Guglielmo und Ferrando – und als solcher macht Michael Nagy mit seinem so kernig wie opulent klingenden Bariton und seiner hervorragenden Diktion eine ganz ausgezeichnete Figur. Dass er nach und nach an Präsenz verliert, hängt nicht mit seinen Leistungen zusammen, es geht auf den Umstand zurück, dass das Geschehen in der Auslegung Serebrennikows unheimlich an Eigendynamik gewinnt. Als Spielleiter braucht ihm Don Alfonso nur seinen Lauf zu lassen.

Selbstbewusste Weiblichkeit

Das auch darum, weil die beiden Damen, die stellvertretend für alle Frauen dieser Welt so grausam an die Kasse kommen, keine Dummerchen sind, die sich von ihren Trieben überwältigt sehen – das löst schon einen Teil der Probleme, die mit Mozarts Oper respektive dem Libretto Lorenzo Da Pontes verbunden sind. Dorabella, die gewöhnlich etwas im Hintergrund steht, wird von Anna Goryachova zu einem Temperamentsbündel erster Güte gemacht; wenn sie über der Abreise ihres Geliebten ausser sich gerät, führt das zu einem Zornesausbruch hysterischer Dimension, und wenn sie sich wenig später ihrem neuen Liebhaber hingibt, geschieht das mit hörbarer Lust.

Haushälterin und Life-Coach mit deutlicher Haltung: Despina (Rebeca Olvera) inmitten der Schwestern Dorabella (Anna Goryachova, links) und Fiordiligi (Ruzan Mantashyan, rechts). Monika Rittershaus

Als Fiordiligi kann Ruzan Mantashyan im Notfall eine elegante Schusswaffe aus dem Handtäschchen zaubern, sie lässt aber vor allem musikalisch keinen Raum für Zweifel – ihre grosse Arie im zweiten Akt gestaltet sie als eine echte Tragödin und in souveräner Virtuosität. Beide Schwestern wissen ganz genau, was sie wollen und was nicht. Darum leisten sie sich auch eine so exquisite Bedienerin wie die Despina von Rebeca Olvera. Ganz Emanze, trägt sie Hosenanzug und dient sie ihren Damen auch als Psychotherapeutin. Selbstbewusst trägt sie zu Beginn des zweiten Akts vor, wie sie sich als Frau versteht. So kann sie sich auch erlauben, in den Verkleidungen als Arzt und als Notar auf das obligate Näseln zu verzichten – welche Wohltat.

Araber und Albaner

Dieser kräftigen weiblichen Bastion begegnet Serebrennikow mit einem ganz besonderen Einfall. Die Herren an der Seite der beiden Damen folgen nicht einfach einem militärischen Aufgebot, um alsbald verkleidet wieder zu erscheinen. Nein, sie rücken tatsächlich in den Kriegsdienst ein, werden in den Nahen Osten versetzt und lassen dort ihr Leben.

Noch lassen die Schwestern sich nicht bezirzen, schon gar nicht von übergriffigen Rosenkavalieren im Thawb. Monika Rittershaus

Fortan sind sie nur mehr als Urnen präsent – und als schwarz gewandete Sänger, die zwei von Don Alfonso engagierten Fremdlingen die Stimmen leihen. Das tun sie blendend, wobei Andrei Bondarenko (Guglielmo) sonore Fülle und Frédéric Antoun (Ferrando) klare Lineatur einbringt.

Die beiden stummen Gäste (Francesco Guglielmino und David Schwindling), Abspaltungen von Guglielmo und Ferrando, sind zunächst Araber, die sich bald verschreckt zurückziehen, und darauf, wie es das Libretto sagt, zwei angeblich adlige, in Wirklichkeit eher rustikale Albaner – Mannsbilder allerdings, denen offenkundig auf der Bühne keine Frau zu widerstehen vermag.

So kommt es im zweiten Finale zur fingierten Hochzeitsfeier, zu der Dorabella und Fiordiligi volkstümlich eingekleidet werden – bis mitten ins Geschehen hinein der Anfang der Ouvertüre zu Mozarts «Don Giovanni» erklingt. Wie der Komtur aus dem Jenseits heraus die Bühne betritt, erscheinen Ferrando und Guglielmo auf dem Set und sorgen dort für das rasche, erbarmungslose Ende des Spiels.

Und die Musik?

Das ist alles recht unterhaltsam, wirkt an mancher Stelle aber arg deftig. Was das Stück über den (allerdings hochstehend realisierten) Klamauk hinaus verhandelt, davon berichtet das, was Mozart aus Da Pontes Vorlage gemacht hat, die musikalische Formung des Stücks also – und die sieht sich von zwei Seiten her bedroht.

War die Hochzeit mit dem Neuen doch überstürzt? Der vermeintlich tote Geliebte Guglielmo (Andrei Bondarenko) erscheint Fiordiligi (Ruzan Mantashyan) während der Vermählung mit Sempronio (Francesco Guglielmino). Monika Rittershaus

Zum einen verlangt das Szenische, angesichts der Umstände vielleicht verständlich, in der Rezeption derart viel Aufmerksamkeit, dass das Musikalische mit seinen eher feinen Regungen ins Hintertreffen gerät. Wenn im ersten Akt zu dem tieftraurigen Terzett «Soave sia il vento» eine groteske Kremation stattfindet oder wenn im zweiten Akt zu «Per pietà», der bewegenden Arie der Fiordiligi, im oberen Stock der zweigeteilten Bühne Dorabella und ihr neuer Galan heftige Leibesübungen abhalten, ist es um die klingende Aussage geschehen.

«Soave sia il vento»

«Per pietà»

Problematisch erscheint zum anderen aber auch der grundlegende Ansatz, den die Produktion im Musikalischen verfolgt. Am Werk ist ein mit Sorgfalt und Geschick aufeinander abgestimmtes Ensemble. Grösstenteils ist es jedoch mit Sängerinnen und Sängern aus der osteuropäischen Kultur besetzt. Dort herrschen noch ganz andere vokale Prämissen als hierzulande, dort dominiert der grosse, schwere Ton, der seine Einschwingzeit benötigt – weshalb es am Premierenabend immer wieder zu Reibungen zwischen dem Vokalen und dem Instrumentalen gekommen ist.

Massiver Klang, breite Tempi

Am Pult der zuverlässig agierenden Philharmonia Zürich scheint Cornelius Meister, ein blendender Interpret der Musik von Richard Strauss, aber kein genuiner Mozart-Dirigent, dem Vokalensemble nacheifern zu wollen. Massiver Klang, eher breite Tempi und wenig ausgebaute Artikulation bestimmen das Bild. Dass «sorella», wie Fiordiligi ihre Schwester ruft, über eine leichte dritte Silbe verfügt und nicht über eine schwere, bleibt hier völlig unbeachtet.

Wenn man bedenkt, was zur Musik Mozarts und insbesondere zu seiner Da-Ponte-Trilogie am Opernhaus Zürich erarbeitet worden ist, bleibt schwer verständlich, was Cornelius Meister und seine Mitstreiter bieten. Spuren sind da: die kleine Besetzung, der hochgefahrene Orchestergraben, das (virtuos geblasene) Naturhorn, das erheiternde Continuo mit Andrea del Bianco (Hammerklavier) und Christine Theus (Violoncello). Aber es sind Spuren.

Das diagonal gespiegelte Bühnenbild über zwei Stockwerke lässt rasche Szenenwechsel und raffinierte Parallelhandlungen zu. Monika Rittershaus

Nicht dass Nikolaus Harnoncourt als Säulenheiliger verehrt werden müsste, nicht dass die historisch informierte Aufführungspraxis den einzigen Weg der Bewältigung von Mozarts «Così fan tutte» böte. Dennoch gibt es einen State of the Art, hinter den zurückzufallen wenig bringt. Und wer die Aufnahmen mit Harnoncourt, René Jacobs, selbst jene mit Teodor Currentzis kennt, der weiss, dass sich unter dem Witz dieses schwierigen Stücks noch ganz andere Schichten verbergen. Schichten, die in dieser Produktion am Opernhaus Zürich nicht annähernd in den Blick genommen sind.

Zum Autor

Peter Hagmann, 1950 in Basel geboren, promovierter Musikwissenschaftler und diplomierter Organist, wirkt seit 1972 als Musikkritiker. In dieser Funktion war er ab 1986 für die «Neue Zürcher Zeitung» tätig, ab 1989 als Redaktor im Feuilleton. Seit seinem altersbedingten Rücktritt im Frühjahr 2015 ist er als Musikkritiker wieder auf freier Wildbahn unterwegs, unter anderem mit seinem Blog «Mittwochs um zwölf», den er auf www.peterhagmann.com führt.

«Così fan tutte» am Opernhaus Zürich

Die Neuinszenierung von Kirill Serebrennikow bleibt vorerst bis zum 1. Dezember auf dem Spielplan. Alle nötigen Infos finden Sie hier.

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