Eine halbe Ohrfeige für Donald Trump

Nach den Midterms übernehmen die Demokraten die Mehrheit im US-Repräsentantenhaus. Trumps Republikaner gewinnen Sitze im Senat.

Ein Kommentar von Michael Rüegg, 07.11.2018

Teilen0 Beiträge

Die Republik ist ein digitales Magazin für Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur – finanziert von seinen Leserinnen. Es ist komplett werbefrei und unabhängig. Lösen Sie jetzt ein Abo oder eine Mitgliedschaft!

Selbst wer den amtierenden amerikanischen Präsidenten nicht als eine Katastrophe empfindet, muss zugeben: Es ist nicht gut, wenn in einem Land von checks and balances, der Gewaltentrennung, eine politische Kraft alles dominiert – die Exekutive, beide Parlamentskammern und den Obersten Gerichtshof. Doch genau diese Situation ist eingetreten, seit der Senat Donald Trumps Kandidaten für den supreme court bestätigt hat: republikanische Dominanz.

Zu allem Übel beisst sich die inoffizielle vierte Gewalt, die Presse, an Trump die Zähne aus. Ganz egal, wie häufig der Präsident lügt und Journalisten beschimpft, alles perlt an ihm ab. Eine Korrektur der Machtverhältnisse war denn auch das Ziel der Demokratischen Partei für die gestrigen Zwischenwahlen. Hat sie das erreicht? Die Antwort: teilweise.

Zwar erhalten gemäss den letzten Resultaten und Hochrechnungen von Mittwochmorgen die Demokraten eine komfortable Mehrheit im 435 Sitze zählenden Repräsentantenhaus. Und voraussichtlich mehr als die Hälfte der demokratischen Mandate werden von Frauen übernommen.

Doch ihr zweites – ehrgeizigeres – Ziel, die republikanische Mehrheit im hundertköpfigen Senat zu brechen, hat die Partei verfehlt. Im Gegenteil, sie hat einige ihrer Sitze verloren. Bereits früh am Wahlabend stand fest, dass die Republikaner ihre Mehrheit behalten werden. Im Verlauf der Auszählung konnten sie weiter zulegen.

Nur ein Mini-Wunder in Texas

Eines der spannendsten Rennen lieferten sich in Texas der republikanische Senator Ted Cruz und der demokratische Abgeordnete Beto O’Rourke. Der Herausforderer, eine Art Polit-Popstar aus der texanischen Grenzstadt El Paso, tourte monatelang durch die entlegensten Winkel des Riesenstaates und sammelte Spenden wie kein anderer. Lange lag O’Rourke in der Wahlnacht vorne. Erst im Schlussspurt überholte ihn Cruz mit den Stimmen kleiner, aber umso zahlreicherer ländlicher Bezirke.

Gleichwohl markiert Beto O’Rourkes Resultat ein politisches Erdbeben im durch und durch republikanischen lone star state. Oder wie die Nachrichtenagentur Reuters zu Beginn der Auszählung verlauten liess: Beto O’Rourke sei «der Gewinner, auch wenn er verlieren sollte». Viele sehen den charismatischen Texaner bereits auf dem demokratischen Ticket für die Präsidentschaftswahl 2020.

Schmerzhaft für die Demokraten war auch die Senatswahl in North Dakota, Indiana, Missouri und (bis zur Stunde) Florida: In allen vier Bundesstaaten verloren demokratische Amtsinhaber ihre Sitze an republikanische Herausforderer.

Gewinne können die Demokraten hingegen nach Stand der Auszählungen am Mittwochmorgen bei den ebenfalls in vielen Staaten stattfindenden Gouverneurswahlen verbuchen. Und dies, obwohl sie einige der viel beachteten Rennen verloren. In Florida schaffte es Andrew Gillum nicht, der erste schwarze Gouverneur des sunshine state zu werden. Ähnlich erging es Stacey Abrams in Georgia, die den Einzug der ersten schwarzen Frau in die Gouverneursvilla klar verpasste. Beide hatten sich im Vorfeld nicht über zu wenig mediales Interesse beklagen können. Immerhin verbuchte die Partei in Colorado mit Jared Polis den Sieg des ersten offen schwulen Gouverneurs. In Vermont blieb Transfrau Christine Hallquist gegen den republikanischen Amtsinhaber Phil Scott hingegen Aussenseiterin. (Update von Mittwoch, 13.30 Uhr: Abrams hat gegen Ende der Auszählung aufgeholt, liegt aber noch immer hinter ihrem Herausforderer. Bis zur Stunde hat sie ihre Niederlage nicht anerkannt.)

Trump vor der Glotze

So richtig glücklich dürfte Donald Trump im Weissen Haus am Wahltag trotz des guten Abschneidens seiner Partei in den Senatswahlen nicht gewesen sein. Der Präsident hatte seine Agenda von Terminen befreit, was laut einer «New York Times»-Korrespondentin im Weissen Haus bedeutet, dass er mit dem Handy vor dem Fernseher sitzt. Einige der Kandidaten, die Trump persönlich stark gepusht hat, sind abgeserbelt – etwa der Herausforderer für den Senatssitz in West Virginia. Dass seine Partei zudem entlang der mexikanischen Grenze tendenziell schlechter abschnitt als im heartland, ist nicht einfach nur der anteilmässig grösseren Latino-Bevölkerung zuzuschreiben. Die Angst vor Zuwanderung lässt sich auch in den USA in denjenigen Gegenden am besten schüren, in die sich nur wenige Migrantinnen verirren.

Auch wenn die grosse Machtverschiebung nicht stattfand: Die gestrige Wahl ist ein Denkzettel an den Präsidenten. Er hat einen grossen Teil der Wählerschaft in den Vorstädten verloren. Menschen, die vor zwei Jahren noch an ihn glaubten, haben sich abgewendet.

Doch die eigentliche Herausforderung für Trump wird die neue demokratische Führung in der grossen Parlamentskammer sein.

Unbequeme zwei Jahre für Trump

Denn künftig haben die Demokraten die Zügel in der Hand, um eine sehr aktive und für Trump lästige Oppositionspolitik zu betreiben. Wegen der Mehrheit können die Demokraten nun Regierungsmitarbeiter vorladen und unter Eid aussagen lassen. Sie können Dokumente verlangen und könnten ein Amtsenthebungsverfahren gegen Trump anstrengen. Eine gemütliche zweite Halbzeit für den Präsidenten sieht also anders aus. Ein Kommentator sagte in der Wahlnacht auf CNN: «Wenn der Präsident die Medien mühsam findet, dann wartet mal, bis er einen demokratischen Kongress kennenlernt.»

Die neue Mehrheit in der grossen Kammer stellt die Demokraten aber auch vor Herausforderungen. Ihr Sieg ist das Resultat einer grossen Mobilisierung, vor allem jüngerer Amerikaner. Die Wählerinnen haben der Partei einen Auftrag erteilt, nämlich Trumps Politik zu korrigieren. Schafft die Partei das nicht, droht die Enttäuschung. Zudem steht Urgestein Nancy Pelosi in den Startlöchern, wiederum auf den Stuhl des speakers zu klettern. Doch Pelosi steht fürs Establishment. Und das könnte vielen der neu gewählten, prononciert linken und «Regenbogen»-Kandidatinnen, also den jüngeren Frauen und Minderheitsangehörigen, sauer aufstossen. In ihrer Siegesrede schaffte es Pelosi jedenfalls nicht, so etwas wie einen Geist des Aufbruchs zu versprühen. Stattdessen kamen Plattitüden.

Wer die vergangenen zwei Jahre mit Besorgnis über den Atlantik geschaut hat, kann wieder etwas ruhiger schlafen. Die amerikanische Demokratie hat fürs Erste die Kurve gekriegt. Es bleibt zu hoffen, dass Trump im Repräsentantenhaus einen würdigen Gegner erhält.

Wer allerdings Wunder erwartet, könnte enttäuscht werden. Denn die problematischen politischen Strukturen bleiben bestehen. Noch immer sind viele der Wahlkreise in den Bundesstaaten so zusammengebastelt, dass sie einer von beiden Partei einen Vorteil bescheren – gerrymandering heisst diese Praxis. Im Vorfeld der Wahl war nun Pennsylvania gezwungen, seine Wahlkreisgrenzen neu zu ziehen. Das Ergebnis der gestrigen Wahl: eine ausgewogene Verteilung zwischen Demokraten und Republikanern.

Und eine kleine Sensation zum Schluss: Im 5. Wahlbezirk des ländlichen Oklahoma hat eine gewisse Kendra Horn ganz überraschend den bisherigen Republikaner Steve Russell geschlagen. Der Sitz war im Vorfeld eindeutig den Republikanern zugeschrieben worden. Mitten in der rot gefärbten Landschaft des Mittleren Westens liegt nun eine kleine blaue Insel. Warum, weiss niemand.

Unterstützen Sie unabhängigen Journalismus mit einem Monatsabonnement oder einer Jahresmitgliedschaft!