Fotobuch

Wärmebilder an Brennpunkten

Richard Mosse: «The Castle»

Wärmekameras werden meistens verwendet zur Feinderkennung. Ein irischer Fotograf jedoch nutzt sie, um die Lebensverhältnisse von Flüchtlingen auszuleuchten.

Von Daniel Binswanger, 02.11.2018

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«The Castle» ist eine Sammlung detailgenauer Dokumentarbilder von Flüchtlingslagern und Brennpunkten entlang der Migrationsrouten, die aus dem Nahen Osten und Zentralasien in die Europäische Union führen. Richard Mosse filmt von erhöhten Geländepunkten aus, um Lager zu zeigen, die gesperrt sind oder nicht abgebildet werden dürfen.

Er montiert eine thermografische Videokamera, die normalerweise zum Grenzschutz und zur Infiltrationsbekämpfung benutzt wird, an einen Teleskoparm. Aus dem so gewonnenen Bildmaterial komponiert er seine «Wärmebilder», die aus Hunderten, manchmal sogar Tausenden Einzelaufnahmen zusammengestellt sind. Dadurch entstehen thermische Panoramabilder in einer raumzeitlichen Kondensierung, die der Erfahrung von Flüchtlingen entspricht, die endlos auf Asyl warten und im Zwischenraum des Lagers gefangen bleiben.

Die Bilder dokumentieren die Zäune, Sicherheitsschleusen, Dixi-Toiletten, Lautsprecher, Menschenschlangen und Zeltreihen, welche die Lagerarchitektur beherrschen. Sie machen deutlich, wie jedes Lager mit seiner Umgebung und der dortigen Infrastruktur korrespondiert. Mal erscheint es marginalisiert, als Müllhalde, mal ist es vernachlässigt, versteckt, mal integriert, mal strikt geordnet und militarisiert.

Mosse konfrontiert die Betrachter mit der Situation der Flüchtlinge – und damit, was diese uns sagt über das Verhalten und die Politik der Asylländer. Die Hitze ist auf diesen Bildern sowohl ein Index wie auch Metapher. Wir werden animiert, über die Biopolitik der Flüchtlingsfrage nachzudenken.

Moria im Schnee I, Lesbos, Griechenland, Januar 2017 (Ausschnitt). Courtesy of the artist and Mack Books
Moria im Schnee I, Lesbos, Januar 2017 (das ganze Bild).
Landhockey-Stadion, Olympia-Anlage Hellinikon, Athen, Griechenland, Oktober 2016.
Flüchtlingslager in Yayladagi, Provinz Hatay, Türkei, Oktober 2017 (das ganze Bild).
Flüchtlingslager in Yayladagi, Türkei, Oktober 2017 (Ausschnitt).
Bekaa-Tal, Libanon, Juni 2017.
Der Hafen von Piräus, Athen, Griechenland, August 2016.
Transitlager Adaševci, Serbien (nahe der Grenze zu Kroatien), Juli 2017.
Flüchtlingsnotlager am ehemaligen Berliner Flughafen Tempelhof, Deutschland, September 2016.
Bis 2008 war der Flughafen Tempelhof in Betrieb, seither wird er zeitweise für Notunterkünfte für Flüchtlinge genutzt, August 2018. Courtesy of the artist and Mack Books

Zum Fotografen

Richard Mosse, 38, ist ein irischer Fotograf. Mit dem Projekt «The Enclave» (Die Enklave) vertrat er 2013 Irland an der 55. Biennale in Venedig, im Jahr darauf gewann er mit dieser Ausstellung den Fotografie-Preis der Deutschen Börse. Für seine Arbeiten erhielt er zahlreiche weitere internationale Auszeichnungen.

Zum Buch

Richard Mosse, «The Castle», Mack Books London 2018 (demnächst erhältlich).

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