Was diese Woche wichtig war

Italien brüskiert EU, #MeToo erfasst Asien – und Khashoggis letzte Zeilen

Woche 43/2018 – das Kurzbriefing aus der Republik-Redaktion.

Von Michael Kuratli, 26.10.2018

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Italien feilscht mit der EU ums Budget

Darum geht es: Die EU hat den Budgetentwurf der italienischen Regierung zurückgewiesen. Der Entwurf sei ein «besonders schwerwiegender Verstoss» gegen den Stabilitätspakt, dem sich alle EU-Staaten verpflichten. Insbesondere das eingeplante hohe Defizit von 2,4 Prozent des Bruttoinlandprodukts stösst der EU sauer auf. Es ist das erste Mal, dass die EU-Kommission die Massnahme einer Zurückweisung anwendet.

Bis jetzt läuft es nach Plan: Italiens Vizeministerpräsident Di Maio (l.), Salvini (M.) und Ministerpräsident Conte nach einer Pressekonferenz vergangenen Samstag. Michele Spatari/NurPhots/Getty Images

Warum das wichtig ist: Die Provokation durch die Italiener war geplant und soll eine «sanfte Revolution» auslösen, wie Ministerpräsident Giuseppe Conte in einer Stellungnahme sagte. Das vorgelegte Haushaltsbudget stellt bewusst den Spardruck der Eurostaaten infrage. Man wolle stattdessen investieren, um der Wirtschaft positive Signale zu senden. Die EU-Kommission wiederum reagierte wie erwartet und zeigte keine Kompromissbereitschaft. Italiens populistische Regierung rebelliert mit ihrem Vorgehen gegen die Vorgaben aus Brüssel, ähnlich, wie dies in der Krise die griechische mit Finanzminister Varoufakis getan hat. Zwar ist die finanzielle Lage der beiden Länder nicht direkt vergleichbar, doch dahinter steht dasselbe Prinzip: Ein wirtschaftlich schwaches Land will den Austeritätszwang der EU nicht akzeptieren und versucht zu verhandeln. Wählt es jedoch seinen eigenen Weg, droht die Bestrafung durch Brüssel – in diesem Fall hält die EU Geldstrafen als Sanktionen bereit.

Was als Nächstes geschieht: Italien hat drei Wochen Zeit, den Budgetentwurf zu überarbeiten. Aus Sicht der italienischen Regierung ist die Zeit der Verhandlungen angebrochen. Die anderen EU-Staaten werden Italien aber kaum entgegenkommen. Es wird sich zeigen, ob die Regierung Conte bereit ist, mit allfälligen Sanktionen zu leben. Wichtig wird auch sein, wie die Finanzwirtschaft auf die Unsicherheit reagiert. Laufen die Strafzinsen für italienische Staatsanleihen aus dem Ruder, schwächt das die Position des Landes.

Trump steigt aus internationalen Verträgen aus – wegen China

Darum geht es: Der US-Präsident kündigt in rascher Folge den Ausstieg aus diversen internationalen Abkommen an. Diese Woche an der Reihe: der Abrüstungsvertrag mit Russland und die Vereinbarung mit dem Weltpostverein. Hinter beiden Ankündigungen stehen Trumps Differenzen mit China.

Warum das wichtig ist: Donald Trump fühlt sich wie immer unfair behandelt. Und die Strategie des Businessman ist inzwischen bekannt: Gefällt ihm ein internationaler «Deal» nicht, lässt er ihn kurzerhand platzen – in der Hoffnung, einen besseren für sein Land auszuhandeln. Der US-Präsident verbindet mit seinen Vertragskündigungen gezielt politische Botschaften. Die Ankündigung, aus dem Abrüstungsvertrag bezüglich nuklearer Mittelstreckenraketen mit Russland auszusteigen, nutzte er, um vor allem China eine Warnung zu schicken. Zwar geht China der Vertrag zwischen den USA und Russland nichts an, Trump sieht durch die nukleare Beschränkung aber vor allem seine Handlungsfähigkeit im Pazifik eingeengt. Auch wenn die Möglichkeit, neue Atomwaffen zu entwickeln, angesichts der Lagerbestände ohnehin symbolisch ist.

Auch der angekündigte Austritt aus dem Weltpostverein ist eine Provokation an die Adresse Chinas. Trump kritisierte in der Ankündigung vor allem, dass amerikanische Anbieter gegenüber chinesischen unfair behandelt würden, da diese von Tarifvergünstigungen für Entwicklungsländer profitieren.

Was als Nächstes geschieht: Ob sich die USA wie beim Atomdeal mit dem Iran und beim Pariser Klimaabkommen tatsächlich aus den beiden Vereinbarungen zurückziehen werden, ist offen. Der Verdacht liegt nahe, dass Trump mit seinen öffentlichen Kritiken am internationalen Vertragsgerüst vor allem nach einer populären Botschaft für seine Wähler zu Hause sucht – auch im Hinblick auf die anstehenden Parlamentswahlen.

#MeToo schlägt in Asien ein

Darum geht es: Ein Jahr nach dem Auftakt zur #MeToo-Bewegung nimmt die Frauenrechtsbewegung in Asien an Fahrt auf. Die in den sozialen Medien laut gewordenen Anschuldigungen finden Nachhall in den nationalen Zeitungen. Nach dem Rücktritt eines Ministers in Indien protestieren nun auch Frauen in Nepal und Indonesien.

Indische Journalistinnen demonstrieren am 13. Oktober in Delhi gegen sexuelle Übergriffe am Arbeitsplatz. Mohd Zakir/Hindustan Times/Getty Images

Warum das wichtig ist: Für Mobashar Jawed Akbar ist sein Rücktritt kein Schuldeingeständnis. Er sehe es lediglich als angemessen an, seine Tätigkeit zu unterbrechen, um gegen seine ehemalige Angestellte, die Journalistin Priya Ramani, wegen Diffamierung zu klagen. Sie war es, die nach anonymen Berichten über sexuelle Belästigung in sozialen Medien seinen Namen nannte. Ihr folgten zwanzig weitere Frauen mit ähnlichen Anschuldigungen. Die Gesetzgebung in Indien erschwert es Frauen, offen gegen sexuelle Gewalt vorzugehen, da sie mit einer Diffamierungsklage der beschuldigten Männer rechnen müssen. Auch Anschuldigungen aus der indischen Filmindustrie finden nun Gehör in den Medien.

Die Dynamik schwappte unlängst auch auf andere Länder über. In Indonesien äussern sich Frauen vermehrt zu Übergriffen. Selbst im konservativen Nepal kochte der Diskurs letzte Woche hoch. Nach der Vergewaltigung und der Ermordung einer 13-Jährigen versammelten sich Tausende zu Protestmärschen. Im Gegensatz zum südlichen Nachbarland Indien klagen im Land am Himalaja allerdings nur wenige Frauen öffentlich mutmassliche Täter an. Die Angst vor sozialer Repression ist dort erheblich. Das Parlament erliess derweil ein Pornografieverbot mit der Begründung, dass sexuelle Darstellungen die Gewalt an Frauen befeuern würden.

Was als Nächstes geschieht: Mit Verzögerung ist die Debatte um systematische Gewalt an Frauen in Asien angekommen. Nach der ersten Welle des Aufschreis werden nun erste rechtliche Konsequenzen sichtbar. Die Klägerinnen werden wie im Westen mit massiver Gegenwehr rechnen können.

Urteile im An’Nur-Prozess

Darum geht es: Am Dienstag wurden die Urteile im An’Nur-Prozess gesprochen. Das Bezirksgericht in Winterthur befand acht von zehn Angeklagten im Umfeld der Moschee für schuldig. Das Gericht folgte mehrheitlich der Anklage und verhängte bedingte Geld- und Freiheitsstrafen.

Warum das wichtig ist: Die Moschee in Winterthur war Schauplatz diverser Skandale. Mehrere radikalisierte Muslime verbreiteten dort salafistisches Gedankengut, weibelten für den Islamischen Staat und brachten mehrere Menschen dazu, in den Jihad zu ziehen. 2017 lief der Mietvertrag der Moschee aus, und sie musste schliessen. Doch um all das ging es im aktuellen Prozess nicht. Dieser drehte sich um zwei Männer, die im November 2016 in der Moschee angegriffen wurden. Die Opfer hatten im islamistischen Umfeld recherchiert und Informationen an Medienschaffende weitergeleitet. Als sie die Moschee betraten, wurden sie von anwesenden Gläubigen erkannt und in der Folge bedrängt, geschlagen und genötigt. Der libysche Imam soll die Opfer zu belastenden Aussagen gezwungen haben, bevor ein weiterer Beteiligter die Polizei einschaltete. Das Gericht sah die Tatbestände Nötigung und Freiheitsberaubung für gegeben an. Die Staatsanwaltschaft betonte, dass Selbstjustiz in der Schweiz nicht toleriert werde.

Was als Nächstes geschieht: Zwei Angeklagte, ein Mazedonier und ein Afghane, werden des Landes verwiesen, sofern das Urteil rechtskräftig wird. Beim libyschen Imam verzichtet das Bezirksgericht auf eine Ausweisung, da seine Familie in der Schweiz lebt.

Zum Schluss: Khashoggis letzte Kolumne (nur kurz)

Nach wochenlangen Verschleierungsversuchen ist es offiziell: Der Journalist Jamal Khashoggi wurde von saudischen Agenten im Konsulat des Landes in Istanbul getötet. Weltweit machen sich Regierungen deshalb Gedanken über ihre Zusammenarbeit mit dem Regime von Kronprinz Muhammad bin Salman. Auch die Schweiz, wie Sie im Briefing aus Bern nachlesen können. Der türkische Präsident Erdogan versucht derweil, den Skandal medial für seine eigenen Zwecke zu missbrauchen. Doch das Lesenswerteste zur Sache hat Khashoggi selbst geschrieben – in seiner letzten Kolumne für die «Washington Post» klagt er die Unfreiheit in der arabischen Welt an und plädiert für kritische internationale Medien.

Top-Storys: Das Beste der anderen

Bomben vor den Wahlen: Die US-amerikanische Öffentlichkeit schreckte auf. Hausgebastelte Rohrbomben landeten in den Briefkästen von Bill und Hillary Clinton, vom Philanthropen George Soros und von weiteren liberalen Exponenten. Weshalb Donald Trump mit seinen Attacken auf seine Gegner daran schuld ist, hat Jana Anzlinger für die «Süddeutsche Zeitung» auf den Punkt gebracht.

Tron: Der Tod eines Hackers vor zwanzig Jahren in Berlin war der Ursprung eines wild wuchernden Mythos. Wunderbar nacherzählt hat ihn Detlef Borchers für «Heise online».

Saudi-Mob auf Twitter: Die brutale Ermordung Khashoggis durch saudische Agenten förderte auch zutage, wie das Regime systematisch gegen kritische Stimmen auf Social Media vorgeht. Wie die Beratungsfirma McKinsey darin verwickelt wurde, erklärt die «New York Times».

Rechte Medien: Extreme Politik schwappt wieder in den braunsten Formen über Europa. Ein internationales Rechercheprojekt des «Falters» zeigt, wie die Rechten ihren Propagandakrieg führen – nach dem Vorbild der rechtsextremen Freiheitlichen in Österreich.

Vulva: Wer dieses Wort aus schierer Ahnungslosigkeit noch immer mit einem feuerspeienden Berg in Verbindung bringt, sollte dringend die ausführliche Kulturgeschichte der weiblichen Genitalien im «Zeit-Magazin» lesen.

Kritik an FDP-Bundesratskandidat: Nach Pierre Maudet droht der nächste Bundesratsanwärter der Liberalen in Ungnade zu fallen. Betroffen ist der Schaffhauser Regierungsrat Christian Amsler. In Amslers fragwürdiges Verhalten bei der kantonalen Schulzahnklinik reingebohrt hat sich die «Weltwoche».

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