Das Leben spielt

Ein Doppeladler fliegt durchs Kino

Von Adelina Gashi, 24.10.2018

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Fadil prügelt auf seinen Chef Nikola ein, bis dieser zu Boden geht, das weisse Hemd blutgetränkt.

«Bravo», schreit daraufhin einer aus der hinteren Reihe. Leute klatschen. Allerdings nicht wegen der überragenden Darbietung des Schauspielers auf der Leinwand. Sondern aus einem anderen Grund.

Fadil ist Kosovare. Sein Chef Nikola ist Serbe. Gezeigt wird: «Nëntor i ftohtë», ein Film des kosovarischen Regisseurs Ismet Sijarina, der am Zürcher Filmfestival den Publikumspreis erhielt.

Kino, das heisst normalerweise: gebannte Stille, vielleicht etwas Popcorn-Geraschel. Hier gibt es: wütende Zwischenrufe, weinende Zuschauer. Die Szenen hungernder Familien; die Bilder verzweifelter Mütter, die erfahren, dass ihre Söhne im Krieg gefallen sind: Sie gehen ihnen nahe.

Sie reissen reale Wunden auf. «Cold November», wie der Film auf Englisch heisst, spielt während des Jugoslawienkrieges zu Beginn der 1990er-Jahre. Ein Familienvater muss sich entscheiden: Soll er, wie seine Arbeitskollegen, seinem serbischen Chef kündigen? Oder soll er bleiben, damit seine Familie weiter ein Dach über dem Kopf und warmes Essen auf dem Tisch hat?

Der Kino-Event mutet wie ein Familienfest an. Händeschütteln, Küsschen links, Küsschen rechts. Mütter und Väter sind gekommen, ihre jugendlichen Kinder, Grosseltern, Verwandte, Bekannte. Doch im Filmpodium an der Zürcher Nüschelerstrasse geht es nicht ums Feiern.

Sondern um Erinnerungen. Jugoslawiens Präsident Slobodan Milosevic hatte dem Kosovo den Status als autonome Provinz entzogen. Albanerinnen verloren ihre Anstellung, nicht konforme Vereine und Parteien wurden verboten. Albanische Politiker riefen zum Widerstand auf, boykottierten den Staat.

Wie dies den Alltag im Kosovo bestimmte, zeigt Sijarinas auf autobiografischen Erfahrungen beruhender Film auf. Seine Haltung ist: Nichts ist schwarz oder weiss; niemand war gut oder böse. Milosevics Politik fügte vielen Menschen Leid zu – Albanern und auch Serben, die dort wohnten. Der voll besetzte Saal versucht, die Botschaft gefasst aufzunehmen.

Doch als Fadil auf seinen nationalistischen Chef eindrischt, entladen sich die Emotionen. Die Wut, die Trauer, der Kampf um Ehre und Überleben: Vieles hallt auch zwanzig Jahre später nach.

Nach dem Abspann wird es still, ein letztes Mal wird applaudiert. Vor dem Kino bilden sich Menschentrauben. Eine ältere Dame wischt sich mit einem Taschentuch übers Gesicht. Eine andere sagt zu ihr: «Schön, dass man unsere Geschichte noch nicht ganz vergessen hat.»

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