Briefing aus Bern

Bundesrätinnen gesucht, die Jugend rebelliert – und hat die SP ein Frauenproblem?

Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (27).

Von Elia Blülle und Dennis Bühler, 04.10.2018

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Zugegeben, die Schweizer Politik ist zuweilen sterbenslangweilig und oft schaurig ineffizient. Geschäfte werden so lange zwischen den beiden Parlaments­kammern hin und her geschoben, bis jedes Komma an der richtigen Stelle steht. Trotz monate­langer Verhandlungen sind am Ende aber meistens doch nicht alle zufrieden: Es gibt ein Referendum, und die ganzen Grundsatz­diskussionen beginnen wieder von vorn.

So auch wieder geschehen in der Herbstsession, die am vergangenen Freitag zu Ende ging. Zwei dringende Geschäfte hat das Parlament verabschiedet: die Unternehmens­steuer­reform und die Übernahme der EU-Waffen­richtlinien. Am Ziel ist man dennoch nicht. Diverse Parteien und Organisationen wollen die beiden Vorlagen mit Referenden stoppen. Das Stimmvolk soll das letzte Wort sprechen – obwohl sich die Schweiz bei beiden Gesetzen keine Verzögerungen mehr erlauben darf.

Auch wenn das Parlament mit diesen beiden Geschäften zwei wichtige Gesetze verabschiedet hat, wird die Herbst­session vor allem wegen zwei Bundes­räten in Erinnerung bleiben: Erst gab FDP-Wirtschafts­minister Johann Schneider-Ammann seinen Rücktritt bekannt, 48 Stunden später tat es ihm CVP-Umwelt­ministerin Doris Leuthard gleich.

Wer wird sie beerben? Seit einer Woche wird eifrig spekuliert. Während im Freisinn alle Welt mit der St. Galler Ständerätin Karin Keller-Sutter rechnet, ist das Feld bei den Christ­demokraten weit offen. Gestellt wird auch die Geschlechter­frage: Sollen Schneider-Ammann und Leuthard bei der Ersatzwahl am 5. Dezember mit zwei Frauen ersetzt werden?

Die Antwort ist einfach: Ja. Schliesslich bleibt das starke Geschlecht selbst dann in der Unterzahl, wenn beide Sitze mit Frauen besetzt werden. Wird nur eine Frau gewählt oder regiert Justiz­ministerin Simonetta Sommaruga künftig gar als einzige Frau, wäre das für ein Land, das sich gerne als fortschrittlich bezeichnet, ein Armuts­zeugnis.

Die Bundesrats­wahlen werden uns noch rund zwei Monate beschäftigen. Was in der vergangenen Woche wichtig war, lesen Sie nun aber erst einmal im aktuellen Briefing aus Bern.

Die SP stimmt für Steuerreform – die Jungen opponieren

Das müssen Sie wissen: Das Parlament hat die Unternehmens­steuer- und die Renten­reform miteinander verknüpft. Ein Kuhhandel, der den beiden dringlichen Vorlagen endlich zum Durchbruch verhelfen soll. Auch wenn sich die SP-Bundeshaus­fraktion während der Herbst­session gross­mehrheitlich für den Kompromiss ausgesprochen hat: Bei vielen Sozial­demokraten stiess er auf vehemente Kritik. Um herauszufinden, ob die Partei den Kuhhandel weiterhin unterstützen soll, hat die Partei am Wochenende eine ausser­ordentliche Delegierten­versammlung abgehalten.

So hat die SP entschieden: Sie will den Kuhhandel nach wie vor. Zwei Drittel der Stimmenden unterstützten die Reform. Damit gewannen innerhalb der SP für einmal die Pragmatiker. Und nicht die Gegner der Vorlage, die moniert hatten, dass Reichen mit dem Deal erneut Steuerdeals gewährt würden.

So geht es weiter: Letzte Woche hat das Parlament der Unternehmens­steuerreform endgültig zugestimmt – zum Ärger der Jungparteien. Der Nachwuchs der Grünen, der SP, der GLP und der SVP hat angekündigt, das Referendum zu ergreifen. So wollen die Jung­politikerinnen eine Volks­abstimmung erzwingen.

Mehr dazu: Wie ist die neue Steuerreform zustande gekommen und wieso braucht es überhaupt ein solches Gesetz? Diese Fragen beantwortet Wirtschaftsredaktor Simon Schmid in seinem Artikel «Gestörte Harmonie».


Geschiedene Väter freuen sich über Gerichtsurteil

Das müssen Sie wissen: Lässt sich ein Ehepaar mit Nachwuchs scheiden, muss der Elternteil, der nicht für die Betreuung der Kinder zuständig ist, Alimente bezahlen. Bis anhin galt die sogenannte 10/16-Regel. Sie besagte, dass der betreuende Elternteil erst wieder eine Teilzeit­arbeit aufnehmen muss, wenn das jüngste Kind 10 Jahre alt wird. Eine Vollzeit­stelle war zumutbar, sobald das jüngste Kind das 16. Lebens­jahr erreicht hat. Diese Regel hat das Bundes­gericht nun abgeschafft.

So hat das Bundesgericht entschieden: Wer die Kinder betreut, muss neu mindestens 50 Prozent arbeiten, sobald das jüngste Kind eingeschult wird. Ab der Sekundar­stufe ist sogar ein Pensum von 80 Prozent zumutbar. Diese neue Regelung führt dazu, dass der erwerbstätige Elternteil – meistens die Väter – weniger Alimente bezahlen muss.

Darum hat das Bundes­gericht so entschieden: Die alte Regel sei dem Kindeswohl verpflichtet gewesen, schreibt das Bundesgericht. Neu würden Fremd- und Eigen­betreuung des Kindes grundsätzlich gleich gewertet. Das heisst: Den Kindern wird nun zugemutet, dass sie an zwei Tagen in einem Hort fremdbetreut werden.


Die SP nominiert einen Mann für den Ständerat

Das müssen Sie wissen: Im Ständerat sind nur 15 Prozent der Sitze von Frauen besetzt. Gut möglich, dass sich die Quote in der nächsten Legislatur sogar noch einmal verschlechtert, treten im Herbst 2019 doch drei der sieben Stände­rätinnen zurück. Darunter auch die Sozial­demokratin Pascale Bruderer. Nun hat die Aargauer SP bestimmt, wen sie ins Rennen um ihre Nachfolge schickt: Nationalrat Cédric Wermuth. Einen Mann.

Das ist passiert: Für die Nachfolge von Pascale Bruderer haben sich partei­intern Cédric Wermuth und National­rätin Yvonne Feri beworben. Obwohl der ehemalige Juso-Präsident Wermuth im konservativen Aargau bloss geringe Wahl­chancen haben wird, hat sich die SP-Sektion für seine Nomination entschieden. Dass sich die SP trotz der sehr tiefen Frauenquote im Ständerat für einen männlichen Kandidaten entschieden hat, nervt viele Genossinnen und sorgt bei den politischen Gegnern für Spott.

Allerdings: Die SP stellt heute mehr als die Hälfte der Frauen im Ständerat. In der grossen Kammer sind sogar 58 Prozent der SP-Fraktion weiblich. Und eine der beiden Bundes­rätinnen ist ebenfalls Sozialdemokratin. Die Partei hat also kein Frauen­problem – im Gegensatz zu den anderen Parteien.

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