Herd und Hof

Von den Verlockungen der Haltbarmachung

Von Michael Rüegg, 03.10.2018

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Im Herbst wird geerntet. Gemüse und Früchte in allen Farben und Formen überfluten selbst die früher im Vergleich zum Ausland armselig wirkenden Deutschschweizer Marktstände. Vor der Erfindung der Tiefkühltruhe und der Pulversuppe hat der Mensch im Herbst eingemacht, was er über den Winter verzehren wollte.

Einige der besten Speisen der Welt verdanken wir einzig dem menschlichen Haltbarmachungstrieb: Käse und Joghurt sind haltbar gemachte Milch, Jamón Ibérico ist haltbar gemachte Sau, Lachs räuchert man nicht zum Spass, aus garstigen Quitten wird köstliches Gelee. Und wie man Enten zerkleinert und daraus einen Brotaufstrich macht, weiss niemand so gut wie die Franzosen. Dazu ein Glas haltbar gemachter Traubenmost. Unzählige Lebensmittel sind verarbeitet spannender denn als Ausgangsprodukt.

Für chaotische Köche, die Rezepte hassen und sich einzig von Instinkt und Gaumen treiben lassen, ist Haltbarmachen hingegen der Horror. Denn zu wenig Zucker, und die Marmelade schimmelt. Zu viel Salz, und das Gemüse wird ungeniessbar. Man muss sich an strenge Vorgaben halten. Seit Jahren stehe ich vor den entsprechenden Rezeptbüchern. Doch ich kann nicht. Zu viele Vorgaben, zu wenig Freiraum.

Vor zwei Jahren zwang ich mich dann doch dazu, Butternusskürbis ein­zu­legen. Ich stellte einen Sud her, in dem – meine Erinnerung ist etwas vage – neben Essig und Weisswein auch Zucker, Salz, Ingwer, Peperoncini, Zitro­nen­gras und Pfefferkörner ihren Weg fanden. Die Kürbiswürfel kochte ich kurz mit, dann goss ich alles in sterilisierte Gläser. (Das Sterilisieren allein ist derart langweilig, dass einem bereits zu Beginn die Lust aufs Einmachen verlässt.)

Am nächsten Tag kostete ich den Kürbis und fand ihn ekelerregend.

Nach ein paar Monaten holte ich die Gläser von zuhinterst im Kühlschrank wieder hervor. Ich wollte den Inhalt wegkippen. Bevor ich zur Tat schritt, probierte ich einen der Kürbiswürfel. Er war köstlich.

So viele schöne Dinge, die man einmachen könnte. Nur fehlt mir der Sinn nach langfristiger Planung. Und doch: Wenn ich die Marktstände entlang­schlendere, denke ich an selbst gemachtes Sauerkraut, das so viel besser ist als jedes gekaufte. An Würste. An Mirabellenkonfitüre, Apfelmus, den Rum­topf im Keller meiner Eltern. Aber ich kann nicht. Es geht einfach nicht. Ich bin nicht der Richtige.

Neulich war ich zu Besuch bei einer Freundin. Im Wohnzimmer standen ein Dutzend Gläser mit eingelegten Eierschwämmchen, gewürzt mit Zwiebel­ringen, Paprika und Kräutern. «Wir fanden zehn Kilo davon im Wald. Wusstest du, dass man die nicht einfrieren kann? Also haben wir sie eingemacht.»

Ich müsste stolz sein auf meine Freundin. Sie kann nämlich nicht mal Reis zubereiten. Aber stattdessen hasse ich sie ein klein wenig dafür, dass sie mühelos schafft, woran ich bereits in der Konzeptionsphase scheitere.

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