Welt in Serie

Nach dem Aufstand

Ein Freiheitskampf in der zweiten Staffel der TV-Serie «Westworld» mündet in Gewaltexzesse – und exzessive Gegengewalt. Was sagt uns eine Sci-Fi-Serie über den Zustand der zerrissenen amerikanischen Psyche?

Von Elisabeth Bronfen, 18.09.2018

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Ein Mann liegt regungslos am Strand. Die Wellen, die ihn umspülen, ziehen seine Brille zurück ins Meer. Wie ein Kriegsfilm beginnt die zweite Staffel der Serie «Westworld» des US-amerikanischen TV-Senders HBO. Erinnert wird an die fulminante Schlachtszene in Sam Fullers «The Big Red One» (1980), der im Zweiten Weltkrieg spielt. Dort wird die Zeit, welche die alliierten Truppen benötigen, um Omaha Beach zu erobern, einen Küstenabschnitt der Normandie, an der Armbanduhr eines verstorbenen GIs gemessen wie auch an der Farbe der Wellen, die über das Ziffernblatt fliessen. War das Wasser anfangs noch ganz klar, so ist es nach sechs Stunden blutig rot.

Doch die Figur, durch deren Augen ein Grossteil dieser zweiten Staffel von «Westworld» erzählt wird, ist kein Gefallener. Eingeleitet wird das Bild seines hingestreckten Körpers mit einer Serie von Schnappschüssen vergangener Ereignisse, die vor seinem inneren Auge abgelaufen sind – einige berührend, andere verstörend. Eine innere Stimme fragt: «Is this now?», und lässt den Mann aus seinem Traum aufwachen. Eine weitere Welle spült über seine Armbanduhr.

Langsam richtet Bernard sich auf und blinzelt in das gleissende Licht der Mittagssonne. Es handelt sich um den Leiter der Programmierabteilung des verwüsteten Themenparks Westworld, der von Delos Destinations betrieben wird. Um ihn herum findet statt, was wir ebenfalls aus dem klassischen Kriegskino kennen: jene mopping-up operation, mit der ein militärischer Einsatz dadurch vollendet wird, dass die noch verbleibenden feindlichen Truppen gefangen genommen oder getötet werden. Tatsächlich richtet eine der Soldatinnen, sowie Bernard sich zu bewegen beginnt, ihre Waffe auf ihn. Nur knapp kann Stubbs, weiterhin Sicherheitschef in Westworld, sie davon abhalten, den sichtlich verstörten Mann zu töten. Er bringt ihn stattdessen ins Hauptquartier zurück. Es gilt, nach dem Aufstand wieder Ordnung herzustellen.

Westworld liegt auf einer Insel und soll zahlenden Gästen Unterhaltung bieten. Mit den Hosts, androiden Robotern, die von «echten» Menschen nicht zu unterscheiden sind, können sie sich in Westerndekors Schiessereien liefern oder in Bordellen wilde Orgien feiern. Getötete Hosts können repariert und immer wieder neu programmiert werden. Theoretisch ist alles so eingerichtet, dass den Westworld-Besuchern dabei nichts geschehen kann. Doch dann kommt es zum Aufstand der Androiden.

Die erste Staffel endete, der Konvention des Cliffhangers entsprechend, nachdem die Androidin Dolores ihren Schöpfer Dr. Ford mit einem Schuss in den Hinterkopf hingerichtet hatte. Er selber hatte ihr diesen Akt einprogrammiert und zugleich all jene Androiden, die im Kühlhaus ausgelagert waren, reaktiviert. Er hatte zudem den Code radikal geändert, der alles reguliert, was im Themenpark Westworld geschieht. Nun konnten die Hosts sich nicht nur gegenseitig töten, sondern auch alle Gäste, die mit ihnen bislang ihren gewaltsamen Spass getrieben hatten. Wenn wir am Ende der zweiten Staffel wieder zu dem von Wellen umspielten Mann am Strand zurückkehren, hat diese Störung im System tatsächlich ein Ende gefunden.

Die eingebettete Geschichte – und auch das kennen wir aus dem Kriegskino – verändert unseren Blick auf Bernards Erwachen. Es sieht zwar so aus, als wären alle revoltierenden Hosts tot, wie auch jene abtrünnigen Angestellten der Firma Delos, denen es einzig um den Raub des Codes ging. Doch nicht nur die traumatisierten Gäste, die gerettet werden konnten, sitzen in den Schlauchboten, die sie ans Festland zurückbringen. Auch Dolores, der Anführerin des Widerstandes, gelingt die Überfahrt – allerdings transplantiert in den Körper ihrer getöteten Widersacherin Charlotte Hale (die geschäftsführende Direktorin des Vorstandes von Delos). Ihr gnadenloser Wille zum Überleben hält den Geist der Revolte aufrecht. Der neu errungene Friede ist fragil. Wie die Wellen, die immer wieder zum Strand zurückspülen, steht der Ausbruch von neuer Gewalt in Aussicht.

Der von Dolores angeführte Aufstand der Androiden wird als Rückblende erzählt. Es ist eine vornehmlich aus der Perspektive Bernards fragmentarisch zusammengesetzte Rekonstruktion. Wie die Welt um ihn herum liegen die Erinnerungen dieses Überlebenden in Trümmern. Die beiden Autoren der Serie, Lisa Joy und Jonathan Nolan, verweisen auf das Vorbild des Film noir. Eine Gattung, die oft das Schicksal eines traumatisierten Kriegsveteranen in den Fokus nimmt, der sich an das erinnern muss, was er zwanghaft zu vergessen sucht.

Im Zentrum steht für Nolan und Joy die philosophische Frage, ob die Hosts, die im digitalen System von Delos Destinations als reines Bewusstsein existieren, zwischen Traum und der Realität ihrer Erinnerungen unterscheiden können und somit zwischen Schicksal und Selbstbestimmung. Doch das Narrativ wird bestimmt vom entschlossenen Aufbegehren der Hosts sowie von der rücksichtslosen Repression, die dieses auslöst. Es lässt sich deshalb mutmassen: Dieser Bürgerkrieg, der durch die Linse seiner eigenen schrecklichen Konsequenzen rekonstruiert wird, bietet auch einen Kommentar zum Befinden des amerikanischen Bewusstseins. Einmal mehr sind die USA eine in sich gespaltene Nation.

Von rechts wie von links hat man sich im realen Amerika einen Aufstand gegen jene money people gewünscht, für die in «Westworld» Charlotte Hale und ihr Team bei Delos stehen. Wie die Hosts des Themenparks wollen auch diejenigen, die kulturell an den Rand gedrängt oder wirtschaftlich abgehängt sind, dem nebulösen Gefühl Ausdruck verleihen, etwas sei mit dieser Welt nicht in Ordnung. Es geht nicht um eindeutige Korrespondenzen, aber «Westworld», als Seismograf kultureller Stimmungen interpretiert, lässt eine für die Jetztzeit brisante Gleichung erkennen: Bringt der von einem utopischen Begehren getriebene Bürgerkrieg – auch für die Zuschauer – eine ungeheure Lust an der Zerstörung symbolischer Instanzen mit sich, löst dieser zwingend auch eine Gegenwelle der Gewalt aus, welche die Hegemonie der Mächtigen verteidigt. Was euphorisiert, ist die Verletzlichkeit des Aufstandes.

Dabei frisst die Revolution à l’américaine nicht nur ihre eigenen Kinder. Sie ist auch Teil einer seriellen Politik, in der die Befreiung, die der Widerstand verspricht, stets mit dessen Kosten verrechnet wird. War eine Regeneration durch Gewalt immer Teil der Logik des Kriegskinos, so auch die Eindämmung dieser erneuernden Kraft.

Was also lässt sich, vom fatalen Ausgang her gedacht, in «Westworld» über Hoffnungen entdecken, die in den Ausnahmezustand gesetzt werden? An erster Stelle sicherlich jener Exzess der Gewalt, der auf einige meiner Freunde so abschreckend wirkt, dass sie diese Serie nicht sehen wollen. Zwar vertritt Dolores ein höheres Ziel, dessen Mantra lautet: «This world doesn’t belong to them, it belongs to us.» In der bedingungslosen Wut, mit der sie ihre Selbstjustiz vorantreibt, ist sie zugleich den enthemmten Heldinnen der frühneuzeitlichen Rachetragödie nachempfunden. Die Gewalt, die sie als die einzig mögliche Antwort auf Unterdrückung versteht, entlarvt jene Blindheit, mit der allein ein Freiheitsprojekt verfolgt werden kann. Auf die Kosten darf keine Rücksicht genommen werden.

Die Ironie besteht darin, dass diese emotionale Automatisierung Dolores zugleich jene Humanität kostet, an der die Differenz zwischen den Gästen und den androiden Hosts gemessen wird. Nicht obwohl, sondern weil uns die blinde Sturheit der Aufbegehrenden ergreifen soll, wird diese als Blendung zugleich enttarnt. Entdecken lässt sich darin ein Blick auf die affektive Kraft des Populismus durch die Linse der realen Zerstörung, die auf dessen Traum folgt.

Die Zeit des Ausnahmezustandes im Themenpark Westworld ist zugleich eine, in der es auf allen Seiten keine Einheit gibt. Widersetzen die einen sich im Namen eines grösseren politischen Projektes, setzen andere sich für ihre Eigeninteressen ein oder, im Fall der belagerten Gäste, schlicht für ihr eigenes Überleben.

Im Kontext eines Bürgerkrieges, dessen Polarisierung zugleich interne Spaltungen zur Folge hat, kämpft jeder inbrünstig gegen jeden. Unter den Mitarbeitern von Delos Destinations gibt es ebenso wenig Loyalität wie unter den in den Strudel des Kampfes hineingezogenen Gästen. Dass zwei skrupellose Femmes fatales – Dolores und Charlotte – die Anführerinnen sind, mag begeistern, bietet deren Bemächtigung doch ein fiktionales Korrektiv zur jetzigen dominant männlichen Macht in Washington.

Zugleich hat aber auch deren uns begeisternde Wut ihre Kosten. Es gibt keinen Platz für Besonnenheit. Dass Bernard am Strand liegend seine Brille verliert, ist bezeichnend. Auch sein Versuch, zwischen den Fronten zu vermitteln, wird als die gefährliche Sentimentalität eines Moderaten entlarvt. Seine wohlgemeinte Intervention hat die sinnlose Zerstörung jener Hosts zur Folge, die er eigentlich retten wollte. Macht eine auf die Spitze getriebene Polarisierung jeden in dieser Welt des Kampfes zum Gegenspieler des anderen, kann es kein Vertrauen und keine Kompromisse geben.

Hier trifft sich politische Verschwörung mit dem Genuss, den Verschwörungstheorien bieten. Der charismatische Schöpfer Dr. Ford entpuppt sich als einzige verlässliche Instanz paternaler Autorität. Er hat nicht nur die Verschwörung gegen Delos Destinations angezettelt, weil diese ihn abzusetzen drohte, sondern auch sein Fortleben im System nach seinem leiblichen Tod sichergestellt. Nun hält er weiterhin die Fäden in der Hand. Dr. Ford greift in das kriegerische Geschehen ein, um den von ihm entfachten Aufstand zu stützen. Er nutzt zugleich die Macht, die er allein über das System hat, um seinen Lieblingsgestalten Dolores und Bernard ein Entkommen aus Westworld zu ermöglichen.

Im Bild des gütigen Herrschers, der trotz seiner Megalomanie seine Faszinationskraft nie verliert, lässt sich ebenfalls ein Kommentar zur Jetztzeit entdecken: nicht nur die Sehnsucht nach einer allmächtigen Führerfigur, sondern auch die Fantasie, jemand hätte insgeheim doch alles weiterhin im Griff. Wenn die revoltierenden Hosts nicht selbstbestimmt, sondern von ihm geleitet handeln, so ist ausser ihm auch niemand verantwortlich.

Die Frage des Sieges ist nietzscheanisch gedacht, besagt doch die amerikanische Logik der second chance, dass es die Katastrophe braucht, damit es zu einem Neuanfang kommen kann. Der Aufstand der Hosts ist gescheitert, die Macht der money people ist nicht gebrochen. Der gewaltlüsterne Besitzer des Parks hat überlebt. Es gilt, wieder Normalität herzustellen. Ein von Ausbrüchen der Gewalt punktiertes Alltagsgeschäft steht auch deshalb in Aussicht, weil die Serie weitergehen muss. Ist Stubbs derjenige, der Bernard vor einer fahrlässigen Hinrichtung rettet, so ist auch er es, der die zu Charlotte transformierte Dolores ziehen lässt. Er habe, behauptet er, Dr. Ford immer die Treue gehalten. Dieser Moment der Gnade kündigt auch ein neues Aufbegehren an.

Halten sich im amerikanischen Projekt eine utopische Freiheitsvision und entfesselte Zerstörungslust die Waage, läuft die Geschichte stets auf Wellen der Überwältigung und einen Rückschlag dagegen hinaus. Das Serienformat ist deren mediale Entsprechung. Es beginnt immer wieder, allerdings nicht ganz von vorne. Die geringe Chance besteht, es könnte beim nächsten Mal anders ausgehen. Dieser grausame Optimismus ermöglicht – und fordert – ein Durchhaltevermögen, an dem sich die Verzweiflung und die Hoffnung, die momentan an die amerikanische Politik gleichsam herangetragen werden, messen lassen.

Illustration: Michela Buttignol

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