Das Leben spielt

Adieu, Meggie

Von Mark Dittli, 11.09.2018

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Ich konnte mich auf sie verlassen. Sie war immer für mich da, wenn ich nicht mehr wusste, wohin. An verregneten Wochenenden, grauen Herbststunden, in der toten Zeit nach Weihnachten, an kalten Samstagen im Februar. Sie war da, fast zwei Jahrzehnte lang.

Ich stellte sie meinen Nichten vor, meinen Neffen. Meinem Patenkind. Und später meinen eigenen zwei Kindern.

Nun ist sie weg. In einigen dürren Zeilen lese ich, dass sie alt war und in die Pflege musste. Und: dass sie nicht zurückkehren wird.

Erst jetzt erfahre ich ihren Namen: Meggie.

Meggie war keine Schönheit. Sie hatte die Ausmasse eines Familienwagens, Klauen so gross wie eine Heckenschere und einen schokoladebraunen, dicken, speckigen Pelz.

Aber eben: Man konnte sich auf sie verlassen. Sie stand immer da, mitten in der Haupthalle des Zoologischen Museums der Universität Zürich. Und die Kinder mochten sie. Immer. Weil sie sie berühren konnten, weil sie sich vor ihr fotografieren lassen konnten, weil sie sich vorstellen konnten, wie diese Viecher einst, vor zwei, drei Millionen Jahren, über die Erde streiften.

Meggie war ein prähistorisches Riesenfaultier. Genauer gesagt: die Nachbildung eines Megatherium americanum.

Wir wussten nicht, dass es eine Dame ist. Wir nannten das Tier Sid.

Gewiss, das Museum zeigt noch einige hundert weitere ausgestopfte Tiere, Wildschweinferkel zum Beispiel, jeden Nager, den man sich vorstellen kann, Insekten, Lurche, exotische Tiere, ein Eisbär. Sogar eine japanische Spinnenkrabbe, die so fies aussieht, dass sie garantiert jedes zweite Kind in die Träume verfolgt.

Aber Sid, beziehungsweise: Meggie, war nicht hinter Glas. Sie war dick und warm und wuschelig und freundlich.

Nun aber ist Meggie weg. Sie war alt, fast zwanzig Jahre, und musste dringend restauriert werden, schreibt das Zoologische Museum. Doch dass sie nicht zurückkehren wird, liegt nicht an ihrem Alter. Sondern an der Wissenschaft. Die stellt nämlich in Zweifel, ob die Art Megatherium americanum tatsächlich so ausgesehen hat wie Meggie.

Wahrscheinlich hatte das Tier gar keine Haare. Es lebte in den temperierten Pamparegionen Südamerikas, wo ein dicker Pelz die massigen Viecher zu Tode erhitzt hätte. Die Forschung geht heute davon aus, dass die Tiere eine Haut wie Elefanten und Nashörner besassen.

Das will das Zoologische Museum den kleinen Besucherinnen offenbar nicht zumuten. «Da es wissenschaftlich umstritten ist, ob Riesenfaultiere der Art Megatherium americanum überhaupt ein Fell besassen, und unser Modell mit einer elefantenähnlichen Haut eher gewöhnungsbedürftig aussehen würde, haben wir uns dafür entschieden, Meggie nicht ins Museum zurückkehren zu lassen», steht auf einer Plakatwand am Ort, wo einst Meggie stand.

So also enden erfolgreiche Karrieren in der Paläozoologie: Jemand findet heraus, dass du in Wahrheit nackt warst, und – zack! – wirst du durch irgendein Dinosaurierskelett ersetzt.

Adieu daher, liebe Meggie. Danke, dass du immer für mich da warst.

Du liegst jetzt wohl in irgendeinem dunklen Keller, neben dem grauen Hammerhai aus Plastik, der, so glaube ich mich zu erinnern, vor fünfunddreissig Jahren über dem Eingang des Museums hing.

Ganz beseitigt sind die Spuren von Meggie allerdings nicht. Hinter Glas zeigt das Museum die lebensechte Nachbildung eines Kothaufens des Riesenfaultiers. Ein brauner Klumpen, gross wie ein Fussball.

Offenbar ist sich die Wissenschaft sicher genug, dass er tatsächlich so ausgesehen hat.

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