Was diese Woche wichtig war

Brasiliens Geschichte brennt, China umgarnt Afrika – und die Top-Storys der Woche

Woche 36/2018 – das Kurzbriefing aus der Republik-Redaktion.

Von Michael Kuratli, 07.09.2018

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Brasiliens Nationalmuseum ausgebrannt – und Ex-Präsident Lula darf nicht antreten

Darum geht es: In Rio de Janeiro brannte das Nationalmuseum Brasiliens fast komplett aus. Rund 20 Millionen Exponate sind zerstört.

Warum das wichtig ist: 200 Jahre Geschichte wurden in einer Nacht ausgelöscht. Darunter ein 12’000-jähriger menschlicher Schädel, der älteste bekannte Teil eines Skelettes Südamerikas. Das Museum galt als das wichtigste historische Gedächtnis und Forschungszentrum des Kontinents. Die Sicherheitsdefizite im Haus waren bekannt. Angestellte bemängelten die Sparmassnahmen der vergangenen Jahre und den fehlenden Unterhalt. Im Gebäude fehlten Rauchmelder. Der unlängst gefasste Plan, den Brandschutz zu verbessern, kam offensichtlich zu spät. Nach dem Brand versammelten sich vor dem Gebäude Demonstrierende. Viele sehen das zerstörte Museum als Symbol für die Korruption, die wirtschaftliche Malaise und die vernachlässigte Infrastruktur im Land.

Brasiliens Nationalmuseum: Der Meteorit ist eines der wenigen Artefakte, die den verheerenden Brand überstanden haben. Leo Correa/AP Photo/Keystone

In derselben Woche entschied das oberste Wahlgericht des Landes, dass der ehemalige Präsident Luis Inácio «Lula» da Silva zur Wahl im Oktober nicht antreten darf. Fast die Hälfte der Wahlberechtigten gaben an, sie hätten ihre Stimme Lula gegeben. Der «Arbeiterpräsident» war wegen Korruption verurteilt worden. Der Prozess gegen ihn war ein Puzzlestein in einem gigantischen Korruptionsskandal um den Erdölkonzern Petrobras, in den fast alle Parteien involviert sind. Dilma Rousseff, Lulas Nachfolgerin und Verwaltungsratsvorsitzende von Petrobras, war 2016 in einem umstrittenen Verfahren ihres Amtes enthoben worden. Persönliche Bereicherung wurde ihr nicht vorgeworfen.

Was als Nächstes geschieht: Lulas Mann fürs Vizepräsidium, Fernando Haddad, dürfte nun als Präsidentschaftskandidat nachrücken. Allerdings gab die Staatsanwaltschaft unlängst bekannt, auch gegen ihn in einem Korruptionsfall zu ermitteln. Der Verlust des Nationalmuseums ist der Tiefpunkt im fortschreitenden Niedergang des Landes. Ob die Wut der Bevölkerung die Politik aufzurütteln vermag, ist zu bezweifeln.

Venezuelas Krise treibt Bevölkerung ins Exil

Darum geht es: Tausende Venezolanerinnen überqueren derzeit täglich die Grenze zu den Nachbarländern, weil die Grundversorgung im Heimatland zusammenbricht. Gegen 2,3 Millionen Menschen haben Venezuela bereits den Rücken gekehrt. In der ecuadorianischen Hauptstadt Quito trafen sich vergangene Woche Delegierte aus zwölf lateinamerikanischen Staaten, um über die Flüchtlingskrise zu beraten.

Fast 2,3 Millionen Menschen sind wegen der Staatskrise aus Venezuela geflohen. Diese Frau ist an der Grenze zwischen Ecuador und Peru gestrandet. Luis Robayo/AFP/Getty Images

Warum das wichtig ist: Südamerika erlebt die grösste Migrationskrise in der Geschichte des Kontinents. Kolumbien trägt dabei die grösste Last. Fast 900’000 Geflüchtete befinden sich zurzeit im Land, meist nahe der Grenze. Wurden sie zunächst bereitwillig aufgenommen und ohne Kontrollen ins Land gelassen, spitzte sich die Lage in den letzten Wochen zu. Viele Geflohene haben keine Dokumente und sind damit in den Aufnahmeländern schutzlos. Kolumbien bat schliesslich um internationale Hilfe bei der Bewältigung der Krise. Zusammen mit dem Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR registrierte das Land fast eine halbe Million Geflüchtete, um ihnen mit einem offiziellen Status unter anderem den Zugang zu medizinischer Versorgung zu erleichtern. Vergangene Woche erklärten die zwölf in Quito versammelten Staaten die «brüderliche Aufnahme der Migranten in ihren Kommunen». Sie wollen einen Plan zur Bewältigung der Migrationskrise entwickeln und forderten den venezolanischen Präsidenten Nicolás Maduro dazu auf, seine Bürger zu deren Schutz mit Reisedokumenten auszustatten. Venezuela fehlte bei dem Treffen. Maduro selbst negierte derweil die Krise und rief seine Bevölkerung zur Rückkehr ins Land auf.

Was als Nächstes geschieht: Die Stimmung in den Aufnahmeländern Kolumbien, Ecuador, aber auch Brasilien kippte bereits stellenweise, da die lokalen Behörden wegen des Ansturms und der ungenügenden Versorgung überfordert sind. Brasilien erwägt eine Begrenzung der Einwanderung. Eine Entspannung der Lage in Venezuela wird nicht erwartet.

China baut intensiv auf Afrika

Darum geht es: China forciert sein wirtschaftliches Engagement in Afrika. Mit unzähligen Infrastrukturprojekten bindet das Land diverse afrikanische Staaten näher an seine Wirtschaft – und rückt sie damit in seinen politischen Einflussbereich.

Warum das wichtig ist: 60 Milliarden US-Dollar will China in Afrika aufwerfen, um Bahn- und Strassenprojekte, Stromleitungen, Häfen und ganze Städte zu realisieren. An einem Afrika-Gipfel in Peking kündigte Staatspräsident Xi Jinping die Pläne an. Das Reich der Mitte investiert bereits seit Jahren in mehreren Ländern Afrikas. Bei den angekündigten Plänen handelt es sich deshalb lediglich um eine Intensivierung des bisherigen Engagements. Für die Länder sind die Investitionen aber nicht nur ein Geldsegen. China verfolgt damit auch eine politische Anbindung des Kontinents an seine Interessen. Das könnte für die Länder teuer werden, etwa wenn sie die Kredite für chinesische Investitionen nicht zurückzahlen können. China ist inzwischen mit einem Stützpunkt in Djibouti auch militärisch auf dem Kontinent präsent. Mit den Investitionen entstünden neokoloniale Strukturen, wie ARD-China-Korrespondent Axel Dorloff gegenüber SRF ausführte.

Was als Nächstes geschieht: Der Westen hat die wirtschaftliche Deutungshoheit über Afrika längst verloren. Mit dem starken Auftreten Chinas wird sich in Zukunft auch die politische Orientierung verschieben. Auch wenn China am vergangenen Gipfel einer politischen Einmischung in die Angelegenheiten der einzelnen Länder abgeschworen hat.

Chemnitz demonstriert Stärke gegen rechts

Darum geht es: Vergangenen Montag besuchten 65’000 Menschen Gratiskonzerte in Chemnitz, die sich dagegen richteten, dass rechtsradikale Kräfte den Tod eines Mannes vor zwei Wochen für ihre Zwecke vereinnahmten. Die Polizei fahndet derweil nach dem dritten Verdächtigen der Messerattacke.

#wirsindmehr: Aus Protest gegen die fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Chemnitz gaben am 3. September K.I.Z, Kraftklub, Feine Sahne Fischfilet, Die Toten Hosen, Trettmann, Casper und Marteria ein Gratiskonzert. Dominik Butzmann/Laif/Keystone

Warum das wichtig ist: Chemnitz zeigte sich in den letzten Wochen nicht von seiner schönsten Seite. Daniel H.s Tod bei einer Messerstecherei wurde von einem rechtsextremen Mob zum Anlass genommen, prügelnd durch die Strassen zu ziehen und ausländisch aussehende Menschen anzugreifen. Die Demonstrationen ähnlicher Kreise im Stadtzentrum riefen eine grosse Gegenreaktion hervor. Viele Bands, darunter Die Toten Hosen und Kraftklub, mobilisierten danach unter dem Hashtag #wirsindmehr für ein Gratiskonzert. Die AfD-Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch bezeichnete die Konzertbesucher in einem Tweet umgehend als «abscheulich» und als «Merkels Untertanen».

Ihr seid nicht mehr. Ihr seid Merkels Untertanen, ihr seid abscheulich- und ihr tanzt auf Gräbern. #wirsindmehr

Bundeskanzlerin Angela Merkel selbst oder andere Vertreter der Bundesregierung blieben dem Konzert fern.

Was als Nächstes geschieht: In Chemnitz wollen linke Gruppierungen wie «Chemnitz nazifrei» den Platz mit dem Karl-Marx-Monument «dauerhaft positiv besetzen». Auch die Stadtverwaltung plant eine Aufklärungskampagne, etwa mit einem Bürgerdialog zum Thema Zuwanderung. Zu diesem wurde auch Merkel eingeladen.

Indien kippt koloniales Homosexualitätsverbot

Darum geht es: Das oberste Gericht Indiens hat am Donnerstag entschieden, die umstrittene Sektion 377 aus der Verfassung zu streichen. Damit wird Homosexualität im Land legalisiert und ein koloniales Erbe abgestreift. Aktivistinnen und Aktivisten feierten im ganzen Land.

Warum das wichtig ist: Fast 160 Jahre lang wurde Homosexualität in Indien kriminalisiert. Eingeführt hatten das viktorianisch strenge Verbot die britischen Kolonialherren. Anwälte in verschiedenen Fällen, die eine Abschaffung des Verbots behandelten, argumentierten denn auch immer wieder mit der indischen Geschichte. Tempelskulpturen und die Veden, die älteste Textsammlung des Kontinents, zeigten und beschrieben etwa den Geschlechtsverkehr unter Frauen. Das Gericht hatte schon in einem Urteil von 2009 die Sektion 377 als verfassungswidrig infrage gestellt, das Urteil später aber revidiert – und damit Homosexualität rekriminalisiert. Das Urteil vom Donnerstag entstand aufgrund einer Petition, die Aktivisten bei der Regierung eingereicht hatten. Diese schob die Entscheidung dem obersten Gericht zu und signalisierte damit, dass sie die Abschaffung der Passage nicht blockieren würde. «Wir haben die Briten ein zweites Mal rausgeworfen», kommentierte der indische Autor und Schwulenaktivist Harish Iyer den Entscheid.

Was als Nächstes geschieht: Das Urteil ist eine Befreiung für Schwule und Lesben im ganzen Land. Dennoch ist die indische Gesellschaft von einer breiten Akzeptanz von Homosexualität weit entfernt. «Dies ist das Ende des Anfangs», sagte Iyer, «es ist der Anfang von vielen Schlachten, die wir noch zu schlagen haben.»

Top-Storys: Was die Republik diese Woche gelesen hat

Klimawandel: Wie stark sich Ihr Wohnort seit Ihrer Geburt erhitzt hat und was Sie noch zu erwarten haben, hat die «New York Times» multimedial visualisiert.

Trump: Zu spät hat der amerikanische Präsident gemerkt, dass er vielleicht doch besser mit dem Journalisten Bob Woodward hätte sprechen sollen. Donald Trump rief ihn erst an, nachdem dieser sein Manuskript bereits beendet hatte. Hören Sie bei der «Washington Post» in die Aufnahme des Gesprächs zwischen den beiden Männern rein.

Daten: Fast alles, was es derzeit zum Thema Datenschutz zu wissen gibt und was die Losungen der Stunde sind, können Sie im 8-Punkte-Post von Netzpolitik.org nachlesen.

China in Afrika: Die Antwort auf die Frage, warum das Reich der Mitte seine Militärbasis in Djibouti angesiedelt hat, gibt es nirgends ausführlicher und visuell packender nachzulesen als im Multimedia-Stück der «South China Morning Post».

Glenn Greenwald: Erinnern Sie sich an den Überwachungsskandal der NSA, den Edward Snowden losgetreten hat? Greenwald war der Journalist an seiner Seite. Wie es dem Widersacher des Washingtoner Establishments seither ergangen ist, erzählt das wunderbare Porträt im «New Yorker».

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