Lob der Nutzlosigkeit, 23.10.18 von Daniel Strassberg
Dass Schönheit nutzlos sein soll, kann nur einem rein materialistisch denkenden Menschen einfallen. Ich erfreue mich am Schönen, ist das kein Nutzen? Auch die Schönheit fragwürdiger Errungenschaften wie ein Morgan, alte amerikanische Strassenkreuzer oder die Concorde kann doch Freude bereiten...
Nützlichkeit und Schönheit sind keine Gegensätze. Das zeigen doch die nützlichen und meist schönen Erscheinungen der Natur. Von uns Menschen erfordert schöne Gestaltung meist einen zusätzlichen Aufwand (das kann ja auch einfach mehr Zeit sein) und es ist eine Kunst, Nützlichkeit und Schönheit mit möglichst geringem Mehraufwand zu verbinden.
Wir essen längst nicht mehr, weil wir Hunger haben? Das dürfte für die meisten Menschen nicht zutreffen.
Sie schreiben, Kultur sei nichts anderes als das Versprechen gesteigerter zukünftiger Lust durch momentanen Befriedigungsverzicht. Nur für den Genuss, der über die Not des Lebens hinausgeht, seien wir bereit, auf unmittelbare Bedürfnisbefriedigung zu verzichten. Beides stimmt nicht:
Die Bereitschaft, trotz Durstes fragwürdiges Wasser in einer PET-Flasche 6 Stunden an die Sonne zu stellen, damit die Bakterien abgetötet werden und ich keinen Durchfall kriege, hat nichts mit Genuss, sondern mit Vernunft zu tun. Und wenn Tiere ihre momentanen Bedürfnisse zurückstellen (Balzverhalten, soziales Verhalten wie Wache-stehen oder Flugposition im Schwarm), ist das zwar vorteilhaft, aber nicht unbedingt mit Genuss verbunden.
Kultur ist doch auch, wenn ich einen Grashalm abreisse und ihn zu einer Schlaufe forme. Einfach so, ohne Verzicht auf momentane Befriedigung und ohne gesteigerte zukünftige Lust, weil es mir gefällt, schöpferisch zu sein. Oder wenn ich beim Telefonieren vor mich hinkritzle. Oder wie würden Sie das bezeichnen?