«Korrupt sind nur die anderen»

Der saudische Kronprinz Muhammad bin Salman ist der mächtigste Herrscher der arabischen Welt. Was hat der 33-Jährige vor? Ein Gespräch mit dem Berliner Nahost-Experten Guido Steinberg.

Von Mona Fahmy, 31.08.2018

Teilen0 Beiträge
Kampagnen-Logo

Unabhängiger Journalismus lebt vom Einsatz vieler

Unterstützen auch Sie die Republik mit einem Abo: Einstiegsangebot nur bis 31. März 2024.

Wählen Sie Ihren Einstiegspreis
Ab CHF 120 für ein Jahr
Der autoritäre Reformer: Muhammad bin Salman auf einer Aufnahme von 2016. Luca Locatelli/Institute

Muhammad bin Salman hat alle Konkurrenten um den Thron in Saudiarabien ausgeschaltet. Der 33-jährige MBS, wie er genannt wird, ist unbestritten der neue starke Mann im Wüstenstaat. Er kontrolliert die Polizei, die Nationalgarde, die Armee. Dank ihm dürfen Frauen jetzt Auto fahren. Und die Konservativen haben an Einfluss eingebüsst. Doch Saudiarabien ist unter ihm auch autoritärer geworden.

Selbst harmlose Kritik an der Regierung kann dramatische Folgen haben. Im Januar 2016 – Bin Salman war damals stellvertretender Kronprinz und Verteidigungsminister – liess sie beispielsweise 47 angebliche Terroristen hinrichten. Darunter den schiitischen Prediger Nimr an-Nimr, der sich für die Gleichberechtigung der schiitischen Minderheit starkgemacht hatte. Es gab keinerlei Belege, dass er zu militanten Extremisten gehörte.

Bin Salmans Saudiarabien ist martialischer geworden. Zusammen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten hat bin Salman das Golfemirat Katar mit einem harschen Boykott belegt, im Jemen kämpft Riad einen Stellvertreterkrieg gegen die schiitischen Huthi-Rebellen. Und mit den neuen Verbündeten Israel und USA im Rücken schlägt bin Salman gegenüber dem Erzfeind Iran immer aggressivere Töne an.

Guido Steinberg, Islamwissenschaftler bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, erklärt im Interview, wie es zum Aufstieg von Muhammad bin Salman kam und was vom künftigen König Saudiarabiens zu erwarten ist.

Mehr zum Thema

Guido Steinberg hat für die Republik eine Analyse verfasst über die Hintergründe der Ereignisse in Saudiarabien und deren Bedeutung für die Zukunft einer ohnehin schon instabilen Region.

Herr Steinberg, Muhammad bin Salman ist schwerreich. 2015 kaufte er eine Jacht für 500 Millionen US-Dollar und das Château Louis XIV in Versailles für 300 Millionen Dollar – laut der «New York Times» über Offshore-Briefkastenfirmen. Gleichzeitig geht bin Salman in Saudiarabien mit aller Härte gegen angeblich korrupte reiche Saudis vor – und lässt sich als Saubermann feiern. Sieht er darin keinen Widerspruch?
Nein. Er hat sich in einem Interview mit CBS «60 Minute zu diesem Thema geäussert und gesagt, dass er nun einmal reich sei und er über seine privaten Ausgaben nicht sprechen möchte. Das zeigt, dass er wie viele Mitglieder der Herrscherfamilie den saudischen Staat und dessen Einnahmen als seinen legitimen Besitz ansieht. Korrupt sind nur die anderen.

Seit dem 21. Juni 2017 ist bin Salman Kronprinz Saudiarabiens. Wer ist dieser Mann? Was macht ihn aus?
Er ist ein junger Mann, der sich vorgenommen hat, den saudischen Staat in die Zeit nach dem Öl und in den Kampf gegen den Rivalen Iran zu führen. Er widmet sich seiner Mission auf autoritäre Weise, handelt oft unüberlegt, vielleicht auch schlecht informiert und ohne Rücksicht auf die Folgen. Er könnte das Land auf Jahrzehnte hinaus regieren, aber er vermittelt stets den Eindruck, in grosser Eile zu sein.

Abdalaziz ibn Saud: Der erste König Saudiarabiens und Grossvater von Muhammad bin Salman auf einer Aufnahme von 1935. Mondadori/Getty Images

Das «Wall Street Journal» schreibt, Muhammad bin Salman denke und funktioniere wie sein Grossvater Abdalaziz ibn Saud. Was bedeutet das?
Ibn Saud ist der Gründer des heutigen Saudiarabien. Er hat die von seinen Vorfahren schon einmal beherrschten Gebiete in drei Jahrzehnten zurückerobert und die Strukturen des neuen Staates geprägt. Vielleicht sieht sich bin Salman als Gründer eines neuen Saudiarabien, das aus der Abhängigkeit vom Öl ausbricht und zur Regionalmacht wird, die es mit dem starken Iran aufnehmen kann.

Der Kronprinz scheut nicht davor zurück, hart gegen die Elite seines Landes vorzugehen. So liess er im November 2017 reiche Geschäftsleute und Politiker und Dutzende Prinzen verhaften. Die Herren standen wegen Korruptionsverdachts im Luxushotel Ritz Carlton achtzig Tage unter Hausarrest.
Der wohl prominenteste Gefangene war Walid bin Talal Al Saud, ein Cousin des Kronprinzen und einer der wohlhabendsten Männer weltweit. Er ist beteiligt an Twitter, Apple, Citigroup und den Four-Seasons-Hotels. Die Inhaftierten wurden gezwungen, angeblich unrechtmässig erworbenes Geld dem Staat zu überschreiben. Zeugen berichteten von Folter und Gewalt. Und einer der Inhaftierten, ein Generalmajor der Nationalgarde, starb unter ungeklärten Umständen.

Die Inhaftierten haben Geld, und Geld bedeutet Macht. Bin Salman bezeichnete die Aktion im Interview mit CBS «60 Minutes» als «notwendig, um die Korrupten zu bestrafen». Wie konnte er die «Ritz Carlton»-Aktion durchführen, ohne dass es zu einem Aufstand kam?
Da zeigt sich die ungeheure Machtfülle des Kronprinzen und seines Vaters. Die Sicherheitskräfte und grosse Teile der Bevölkerung sind der Herrscherfamilie loyal ergeben. Muhammad bin Salman hat dies für seine Zwecke zu nutzen gewusst und zusammen mit seinem Vater seine Macht zielgerichtet ausgebaut. Die grosse «Korruptionsbekämpfungs-Massnahme» vom vergangenen Herbst ist das Ende einer Entwicklung. Der König und sein Sohn haben gezielt erst den Kronprinzen, dann den zweiten Kronprinzen und alle potenziell konkurrierenden Machtzentren ausgeschaltet. Am wichtigsten war im Sommer 2017 der erzwungene Rücktritt des damaligen Kronprinzen und Innenministers Muhammad bin Naif. Seither gibt es niemanden mehr innerhalb der Herrscherfamilie und auch innerhalb der Institutionen, der bin Salman gefährlich werden könnte.

Wieso nicht?
Ein Grund ist sicher, dass sein Vater und er die entschlossensten Mitglieder der Familie sind. Es gab mächtige Konkurrenten wie Muhammad bin Naif oder Miteb bin Abdullah, Sohn des verstorbenen Königs Abdullah und damaliger Chef der Nationalgarde. Beide kontrollierten wichtige Machtzentren, hatten aber nicht die Unterstützung des Königs. Sie waren nicht bereit, sich in einer Art und Weise zu wehren, die zu Konflikten unter den Sicherheitskräften hätte führen können. Der Aufstieg von bin Salman begann im Frühjahr 2015 mit der Ernennung zum Kronprinzen durch seinen Vater. Seine älteren und viel erfahreneren Cousins wehrten sich nicht. Sie begriffen wohl zu spät, dass sie es mit einem Kontrahenten zu tun haben, der bereit ist, über Leichen zu gehen. Notfalls auch über Leichen in der eigenen Familie.

In Ihrer Republik-Analyse zu Muhammad bin Salman schreiben Sie, er möchte das liberale Saudiarabien der 1960er- und 1970er-Jahre wieder auferstehen lassen.
Es geht Muhammad bin Salman um die religiöse und religionspolitische Ausrichtung der Gesellschaft. Er nimmt damit eine Debatte auf, die es in Saudiarabien seit 2002 gibt. Viele Saudis beklagen sich, das Land sei vor der konservativen Wende von 1979 liberaler gewesen. Im Jahr 1979 hat die Herrscherfamilie entschieden, den Religionsgelehrten bei der Kontrolle der Bevölkerung mehr Vollmachten zu geben. Sie haben die Religionspolizei ausgebaut und die islamischen Universitäten teils neu gegründet, teils enorm ausgeweitet. Geldzahlungen an Islamisten weltweit haben zugenommen, zum Beispiel an die Mujahedin in Afghanistan in den 80er-Jahren. Die jüngeren, liberaleren Saudis machen diese Politik für viele Probleme der letzten Jahre verantwortlich. Das greift bin Salman in einer fast populistischen Art und Weise auf.

Eine gute Nachricht für saudische Frauen, denn seit Juni 2018 dürfen sie auch in ihrem Land Auto fahren. Doch kann man da schon von einer Reform sprechen?
Auf jeden Fall. Eine wichtige und überfällige Reform. Dazu kommen weitere gesellschaftliche Veränderungen wie die Zulassung von Kinos und Musikveranstaltungen. Saudiarabien wird dadurch liberaler, zumindest gesellschaftlich. Wobei man einschränkend sagen muss, dass es das einzige Land weltweit war, das ein Fahrverbot für Frauen kannte.

Juni 2018: Eine Saudi-Araberin hält am 24. Juni 2018 ihren Führerschein in die Kamera, das Fahrverbot für Frauen wurde endlich aufgehoben. Gehad Hamdy/DPA/Keystone
Posieren fürs Familienalbum: Seit April 2018 sind Kinos in Saudiarabien zugelassen. Sean Gallup/Getty Images

Und wer dagegen verstiess, musste mit happigen Strafen rechnen.
Die Strafen waren teils drakonisch. 2014 wurde die Aktivistin Loujain al-Hathloul zwei Monate inhaftiert, weil sie versucht hatte, mit dem Auto die Grenze zu den Vereinigten Arabischen Emiraten zu überqueren. Im Mai 2018 wurde sie mit weiteren Aktivistinnen und Aktivisten verhaftet und öffentlich des Verrats beschuldigt – mit steckbriefartig arrangierten Porträtfotos und bei Nennung der vollen Namen. Als amerikanische Soldaten 1990 in Saudiarabien aufmarschierten, um Saddam Husseins Truppen aus Kuwait zu vertreiben, demonstrierten Aktivistinnen mit einem Autokorso gegen das Fahrverbot. Sie wurden verhaftet, verloren ihre Arbeitsplätze und wurden mit einer Rufmordkampagne überzogen. Dafür waren Religionsgelehrte und konservative Elemente der saudischen Gesellschaft verantwortlich. Sie waren auch diesmal gegen eine Aufhebung des Fahrverbots.

Nun liessen sie aber die Frauen in Ruhe, die sich ans Steuer setzten. Warum?
Es gibt immer noch einen starken religiösen Teil der saudischen Gesellschaft, der selbst so kleine und eigentlich selbstverständliche Reformen für weit überzogen hält und glaubt, dies würde das Land vom wahren Pfade Gottes abbringen. Aber so wie es scheint, haben sie die Anweisung der Regierung, nicht dagegen zu protestieren. Und sie befolgen sie.

Bisher nahmen die Herrscher auf die Konservativen Rücksicht. Wird das unter bin Salman anders?
Vor noch wenigen Jahren hätten die saudiarabischen Herrscher aus Sorge vor Protesten der Konservativen vorsichtiger agiert. Der Staat ist aber autoritärer geworden. Es mag überraschen, aber ich habe Saudiarabien im Vergleich zu einigen seiner Nachbarstaaten oft als liberaleres Land erlebt, wenn es um freie Meinungsäusserung ging. Wenn man zum Staatsvolk gehört, also Sunnit ist und in Riad oder Jeddah wohnt, hatte man einen gewissen Bewegungsspielraum und durfte die Regierung kritisieren. Das galt besonders für die Konservativen. Dass sich das geändert hat, demonstrierte Muhammad bin Salman kurz nach Beginn der Krise mit Katar im Juni 2017, als Saudiarabien und andere Golfstaaten das Nachbarland mit einem Boykott belegten. Der Kronprinz liess mehrere Intellektuelle, Religionsgelehrte und andere Personen des öffentlichen Lebens verhaften, deren einziger Fehler darin bestanden zu haben scheint, seine Katar-Politik nicht vorbehaltlos unterstützt zu haben.

Wie ernst ist es bin Salman überhaupt mit einer liberaleren Gesellschaft?
Bedenken Sie, dass Saudiarabien vor 1979 auch eine Monarchie war, in der die Religionsgelehrten sehr stark waren. Muhammad bin Salman will an der Grundstruktur nichts ändern. Saudiarabien bleibt ein autoritärer Staat, in dem religiöse Minderheiten grosse Probleme haben. Schiiten stellen grob geschätzt bis zu 15 Prozent der Bevölkerung, leben mehrheitlich in der Ostprovinz am Persischen Golf und werden religiös, sozial und politisch brutal diskriminiert. Und wir sollten keine Reformen beklatschen in einem Land, in dem nach wie vor keine Kirchen gebaut werden dürfen.

Wirtschaftlich will bin Salman das Land vom Öl unabhängiger machen.
Diese Abhängigkeit ist dramatisch, 90 Prozent der Einnahmen von Saudiarabien stammen aus dem Export von Öl. Die Folgen zeigten sich 2015, als der Preis für das Barrel auf rund 30 Dollar fiel und das saudiarabische Haushaltsdefizit auf fast 100 Milliarden Dollar stieg. Die Krise zwang die Regierung, öffentliche Aufträge zu stoppen, Subventionen für Benzin, Wasser und Strom abzubauen und erstmals eine Mehrwertsteuer zu erheben.

90 Prozent der Einnahmen von Saudiarabien stammen aus dem Export von Öl: Raffinerie in Dhahran. UIG/Getty Images
Muhammad bin Salman auf einer Pressekonferenz in Riad. Bandar Algaloud/Anadolu Agency/Getty Images

Wie stehen die Chancen für bin Salmans Wirtschaftsreformen?
Er will vorgehen wie die Regierung der Vereinigten Arabischen Emirate. Er will einen Staatsfonds anlegen, indem er Anteile der staatlichen Erdölgesellschaft Aramco verkauft, um das Geld für Investitionen zu nutzen und langfristige Einnahmen zu generieren. Zudem will er damit die Privatwirtschaft im Land fördern. Das ist bis jetzt nicht mehr als eine Absichtserklärung, denn die Teilprivatisierung von Aramco wurde schon mehrmals verschoben. Es steht in den Sternen, ob ein solches Privatisierungsprogramm, das auch noch die notwendigen Arbeitsplätze schaffen soll, durch staatlich gelenkte Massnahmen funktionieren kann.

Reiche Saudis bringen ihr Vermögen ins Ausland, ausländische Investoren zögern, ihr Geld in Saudiarabien anzulegen. Wie attraktiv ist das Land für Investoren?
Wir sehen zwei widerstreitende Entwicklungen. Saudiarabien ist zwar ein reiches Land mit Möglichkeiten. Mit der Verhaftung der Prinzen und der Geschäftsleute im Herbst 2017 hat Muhammad bin Salman aber Investoren verunsichert. Das war reine Willkür. Investoren und Geschäftsleute wollen Rechtssicherheit, doch dieses Vertrauen fehlt momentan.

Auch in der Aussenpolitik ist bin Salmans Saudiarabien lauter geworden. In einem Interview mit dem «Atlantic» sagte bin Salman, der oberste iranische Führer lasse «Hitler gut aussehen». Ist die Wahrscheinlichkeit eines Krieges mit dem Iran gestiegen?
Ja. Das sieht man daran, dass Saudiarabien im Jahr 2015 mit dem Kampf im Jemen zum ersten Mal seit 1934 einen grösseren Krieg begonnen hat. Dieser Konflikt ist ein Indiz dafür, dass die saudiarabische Aussenpolitik aggressiver geworden ist und auch Krieg als Mittel zur Problemlösung nicht ausschliesst. Möglicherweise ist der jemenitische Krieg für die saudiarabische Führung aber eine Warnung. Sie hat ihr Ziel nicht erreichen können und scheint keinen wirklich gangbaren Ausweg zu finden.

Was bezweckt Riad im Jemen?
Die saudische Regierung will, dass die schiitischen Huthi die Macht in Sanaa abgeben. Damit will sie verhindern, dass ein Verbündeter des Irans die saudiarabische Südgrenze kontrolliert. Doch Riads Behauptung, die Huthi würden ein enges Verhältnis zum Iran pflegen, stimmt nicht. Es ist in den letzten Jahren zwar enger geworden, weil die Huthi stark abhängig sind von iranischen Waffen und Ausrüstung. Allerdings hat Saudiarabien den Prozess selbst befördert. Die Huthi müssen sich immer enger an den Iran anbinden, weil sie von den Saudis bekämpft werden. Das ist eine absurde Situation. Und gleichzeitig sehr traurig, weil dabei so viele Menschen sterben.

Der Stellvertreterkrieg zwischen Saudiarabien und Iran: Zerstörtes Haus in der jemenitischen Stadt Sanaa. Mohammed Hamoud/Getty Images
Sind sich einig im Streit gegen den Iran: Muhammad bin Salman und Donald Trump. Mark Wilson/Zuma Press/Imago

Zwischen Saudiarabien und dem Iran schwelt ein Konfessionskonflikt, und die beiden Staaten konkurrieren um die Vormacht in der Region. Bisher war Saudiarabien im Umgang mit der iranischen Führung zurückhaltend. Doch bin Salman droht Teheran nun offen. Woher kommt seine Selbstsicherheit?
Das hat einiges mit seiner Jugend zu tun. Er ist fest entschlossen, dass er sämtliche Probleme, die Saudiarabien hat, lösen kann und muss. Aus seiner Sicht ist der Iran expansionistisch und versucht, Saudiarabien einzukreisen und an Atomwaffen zu kommen. Deswegen müssen wir auch befürchten, dass sich die Lehren des Jemen-Kriegs nicht positiv auf seine Iranpolitik auswirken. Die saudische Regierung, aber auch die Führung der Vereinigten Arabischen Emirate versuchen, ein Bündnis gegen den Iran zu schmieden, unter Teilnahme Israels und der Trump-Regierung. Der grösste Erfolg aus ihrer Sicht war die Aufkündigung des Atomabkommens durch Washington. Es bedarf nur eines Fehlers der Iraner, etwa eine Wiederaufnahme der Urananreicherung, um einen Waffengang zu provozieren.

Donald Trump scheint, anders als sein Vorgänger Obama, kein Interesse daran zu haben, bin Salmans Saudiarabien zu bremsen.
Alle, die einen Krieg gegen den Iran oder einen Regimewechsel in Teheran planen, haben mit Trump einen mächtigen Unterstützer. Die Amtsübergabe in Washington hat die Situation vollkommen verändert. Unter Obama wäre eine direkte militärische Konfrontation zwischen dem Iran und Saudiarabien unmöglich gewesen. Immerhin stehen US-Truppen zwischen den Kontrahenten, und die militärischen Fähigkeiten Saudiarabiens sind – genauso wie jene des Iran – begrenzt. Sollten die USA aber Saudiarabien offen unterstützen und Israel seine Luftwaffe einsetzen, ist ein Krieg gegen Teheran nicht mehr so realitätsfern.

Bin Salman hat sich mit der israelischen Regierung von Benjamin Netanyahu angefreundet. In der arabischen Volksseele ist Israel kaum das Land, mit dem man Freundschaft schliesst, solange es keine Lösung für die Palästinenser gibt.
Das ist auch in Saudiarabien so. Solange der israelisch-palästinensische Konflikt nicht in eine neue Phase gerät, beispielsweise Verhandlungen beginnen, wird es auch für Riad schwierig, sich weiter an Israel anzunähern. Aber bin Salman ist pragmatisch: Für ihn ist der Iran der viel wichtigere Feind. Die Palästinenser interessieren ihn nicht besonders. Liberale Saudis teilen die Bedrohungswahrnehmung des Kronprinzen. Sie sind bereit, sich Israel anzunähern, solange es die eigene Position gegenüber dem Iran stärkt.

Wie geht es mit Saudiarabien weiter?
Saudiarabien wird noch autoritärer werden als heute. Bin Salman wird viel Geld in die Überwachung der eigenen Bevölkerung investieren. Das Land wird die Führungsmacht der arabischen Welt bleiben. Riad wird weiterhin aggressiv gegen iranische Einflussnahmen vorgehen. Die Gefahr, dass Saudiarabien in eine kriegerische Auseinandersetzung mit dem Iran verwickelt wird, ist aus meiner Sicht sehr hoch.

Zur Person

Guido Steinberg ist Wissenschaftler der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika an der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Seine Forschungsgebiete sind die Arabische Halbinsel, Kurden im Nahen Osten, der Nahe/Mittlere Osten, Islamismus und Terrorismus.

Mit Saudiarabien beschäftigt sich Steinberg seit zwanzig Jahren. Er promovierte 2000 mit einer Dissertation zum Thema «Religion und Staat in Saudi-Arabien. Die wahhabitischen Gelehrten 1902–1952». Im Jahr 2004 schrieb er das Buch «Saudi-Arabien: Politik, Geschichte, Religion». Er veröffentlichte zahlreiche Artikel, unter anderem einen Text über den Krieg Saudiarabiens im Jemen.

Die wichtigsten Namen und Begriffe:

Muhammad bin Salman: seit Juni 2017 Kronprinz Saudiarabiens. Lieblingssohn von König Salman.

König Salman: amtierender König Saudiarabiens. 82. Sohn von Abdalaziz ibn Saud. Salman selber hat 12 Söhne und eine Tochter.

Abdalaziz ibn Saud: Gründete 1932 das Königreich Saudiarabien und regierte bis zu seinem Tod 1953.

König Abdullah: War von August 2005 bis zu seinem Tod im Januar 2015 König Saudiarabiens. Er hatte zur Verbesserung der Beziehungen mit dem Iran beigetragen.

Miteb bin Abdullah: Sohn König Abdullahs und ehemaliger Minister der Nationalgarde bis zum 4. November 2017. Wurde im «Ritz Carlton» festgehalten und erst gegen Zahlung von 1 Milliarde Dollar freigelassen.

Walid bin Talal Al Saud: Enkel von Abdalaziz ibn Saud und laut «Forbes» 2017 auf Platz 45 der reichsten Männer der Welt mit einem Vermögen von über 18 Milliarden Dollar. Wurde im November 2017 im «Ritz Carlton» inhaftiert und nach drei Monaten freigelassen. Fiel im Jahr 2018 von der «Forbes»-Liste der Reichsten.

Muhammad bin Naif: Kronprinz vor Muhammad bin Salman. Trat unter Druck zugunsten von bin Salman zurück.

Nimr an-Nimr: schiitischer Prediger und Kritiker der saudischen Regierung. Forderte freie Wahlen. Er wurde im Januar 2016 wegen Aufruhr hingerichtet.

Loujain al-Hathloul: Aktivistin für Frauenrechte. Versuchte 2014 mit dem Auto über die Grenze in die Vereinigten Arabischen Emirate zu fahren. Ist seit zwei Monaten wegen Ungehorsams inhaftiert.

Wahhabismus: radikale Strömung des Islam und Staatsdoktrin Saudiarabiens. Alles ist verboten, was nur schon zu einer verbotenen Tat nach dem Koran führen könnte.

Sunniten: grösste Glaubensrichtung des Islam. Als der Prophet Mohammed starb, wählten die Sunniten vier seiner Vertrauten als Kalifen zu seinen Nachfolgern.

Schiiten: kleinere Glaubensrichtung des Islam. In Südasien verbreitet, vor allem im Iran, Irak, Jemen und Libanon. Glaubten nach dem Tod des Propheten, dass sein Vetter und Schwiegersohn Ali ibn Abu Talib sein Nachfolger werden müsste und nur dessen Nachfahren legitimiert seien.

Huthi: schiitische Bürgerkriegspartei im Jemen. Seit 2015 an der Macht, bekämpft von Saudiarabien.

Kampagnen-Logo

Unabhängiger Journalismus lebt vom Einsatz vieler

Artikel wie diesen gibt es nur, wenn genügend Menschen die Republik mit einem Abo unterstützen. Kommen Sie bis zum 31. März an Bord!

Wählen Sie Ihren Einstiegspreis
Ab CHF 120 für ein Jahr