Was diese Woche wichtig war

Gewalt in Chemnitz, Genozid in Burma – und ein fehlender Kosovo

Woche 35/2018 – das Kurzbriefing aus der Republik-Redaktion.

Von Michael Kuratli, 31.08.2018

Teilen0 Beiträge
Synthetische Stimme
0:00 / 9:03

Die Republik ist ein digitales Magazin für Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur – finanziert von seinen Leserinnen. Es ist komplett werbefrei und unabhängig. Lösen Sie jetzt ein Abo oder eine Mitgliedschaft!

Rechtsextreme Gewalt nach Tötungsdelikt in Sachsen

Darum geht es: In der sächsischen Stadt Chemnitz trafen bei einer gewalttätigen Demonstration AfD-Anhänger und Rechtsextreme auf Gegendemonstranten. Anlass war eine Messerattacke am Vortag auf drei Männer, von denen einer starb. Die beiden mutmasslichen Täter sind syrischer und irakischer Herkunft.

Warum das wichtig ist: Am Tag nach dem Tod des Opfers der Auseinandersetzung rief die lokale AfD zur spontanen Demonstration auf, dabei kam es zu rassistischer Gewalt. Rechtsextreme instrumentalisierten den tödlichen Vorfall für ihre Hetze. Ein AfD-Abgeordneter im Bundestag rief per Twitter zu Selbstjustiz auf. Ausländisch aussehende Menschen wurden auf der Strasse attackiert. Etwa 6000 rechtsgerichtete Demonstrierende versammelten sich am Montagabend vor dem Wahrzeichen Chemnitz’, dem Karl-Marx-Denkmal, unweit vom Tatort. Im gegenüberliegenden Stadtpark versammelten sich etwa 1500 Gegendemonstrierende. Bei der Konfrontation zwischen den Lagern gab es Verletzte. Die sächsische Landespolizei räumte danach ein, die Lage unterschätzt zu haben. Tage nach den Vorfällen und nach weiteren Demonstrationen in anderen Städten äusserte sich Kanzlerin Angela Merkel zu den Vorgängen. Sie verurteilte die Gewalt.

Was als Nächstes geschieht: Das Land Sachsen war zunächst von den Ereignissen überrumpelt, die Regierung besteht jedoch darauf, handlungsfähig zu sein. Der Antisemitismusbeauftragte des Bundes äusserte die Befürchtung, die rechte Gewalt könnte in Sachsen auf jüdische Einrichtungen und Personen überschwappen. Er forderte eine Antisemitismusbeauftragte für Sachsen.

NSA-Whistleblowerin zu drakonischer Strafe verurteilt

Darum geht es: Die Whistleblowerin in der Russlandaffäre, Reality Winner, wurde in den USA zu einer Haft von fast fünfeinhalb Jahren verurteilt. Die drakonische Strafe soll Bundesangestellte abschrecken, geheime Dokumente an die Öffentlichkeit zu bringen.

Warum das wichtig ist: Es war Winner zu verdanken, dass die amerikanische Öffentlichkeit von den russischen Cyberattacken kurz vor den US-Wahlen im Herbst 2016 erfuhr. Reality Winner war Analystin bei der National Security Agency (NSA) und spielte den Medien ein geheimes Dokument zu. Die Plattform «The Intercept» publizierte dieses anonym, schützte jedoch seine Quelle ungenügend. Kurz darauf wurde Winner verhaftet und unter dem Spionagegesetz angeklagt. Bei der Urteilsverkündung vor einer Woche wurde damit argumentiert, dass die Veröffentlichung «aussergewöhnlich starken Schaden an der nationalen Sicherheit der USA» verursacht habe. Dieser Vorwurf blieb allerdings unbewiesen. Neben dem harten Urteil werden die Haft- und Prozessbedingungen kritisiert. Das US-Spionagegesetz, das aus dem Ersten Weltkrieg stammt, gesteht der Angeklagten keine Pflichtverteidigung zu. Winner soll zudem über ihre Bewegungsfreiheit während des Prozesses im Unklaren gelassen worden sein und deshalb unter Druck von unschuldig auf schuldig plädiert haben.

Was als Nächstes geschieht: Bereits während Präsident Obamas Regierungszeit begann das Justizministerium, mithilfe des veralteten Spionagegesetzes Whistleblower zu bestrafen. Der amtierende Präsident Donald Trump kündigte an, in solchen Fällen noch härter durchzugreifen. Das Urteil ist wegweisend für die Praxis in ähnlichen Fällen.

Uno-Bericht zu Rohingya: Anzeichen von Genozid

Darum geht es: In Burma gibt es Anzeichen eines Völkermordes an der muslimischen Minderheit der Rohingya. Zu diesem Schluss kommen unabhängige Ermittlungen des Uno-Menschenrechtsrats.

Schutz in der Fremde: Rohingya in Kutupalong, Bangladesh, das mit fast einer Million Menschen als eines der grössten Flüchtlingslager der Welt gilt. Altaf Qadri/ AP Photo/Keystone

Warum das wichtig ist: Burma und der Westen waren guter Hoffnung, als die jahrelang unterdrückte Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi vor bald drei Jahren in die Regierung gewählt wurde. Doch als der Konflikt mit der muslimischen Minderheit im buddhistisch geprägten Land vor rund zwei Jahren eskalierte, war bereits wieder Schluss damit. Hunderttausende Rohingya sind von der Armee aus ihren Dörfern im Süden vertrieben worden und flohen ins benachbarte Bangladesh. Massaker und Massenvergewaltigungen sollten die Rohingya von Aufständen abbringen. In ihrem Bericht klagen die Ermittler vor allem die Generäle des in Burma noch immer dominierenden Militärs an. Sie fordern eine Anklage vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Das Problem: Burma anerkennt den Gerichtshof nicht. Ein möglicher Umweg führt über Bangladesh, das als eines der wenigen Länder in Südostasien das Gericht anerkennt. Eine Peinlichkeit hatte sich auch das Schweizer Aussendepartement (EDA) geleistet: Die eskalierende Gewalt im Land hatte die Diplomaten des Bundes nicht davon abgehalten, den burmesischen General Soe Win vergangenes Jahr in Bern zu empfangen. Ihm wird im Bericht der Uno mit fünf anderen die Hauptschuld an den Massakern angelastet.

Was als Nächstes geschieht: Burma wies den Uno-Bericht zurück. Ungeachtet dessen wird sich die geforderte Anklage am Internationalen Gerichtshof schwierig gestalten. Zwar sprachen sich mehrere Länder im Sicherheitsrat dafür aus, Burma zur Rechenschaft zu ziehen, Russland und China forderten jedoch einen «Dialog».

John McCains letzter Seitenhieb gegen Trump

Darum geht es: Der langjährige US-Senator John McCain ist vergangene Woche an Krebs gestorben. Er war im republikanischen Lager ein dezidierter Widersacher Präsident Trumps.

John McCain (1936–2018). J. Scott Applewhite/AP Photo/Keystone

Warum das wichtig ist: Er war Kriegsveteran, seit 1979 Kongressmitglied, Präsidentschaftskandidat, Vertreter einer internationalistischen Aussenpolitik der USA und einer der einflussreichsten Politiker des Landes. Sein letzter Appell, den die Öffentlichkeit nach seinem Tod erreichte, war auch eine Breitseite gegen den amtierenden Präsidenten. Die USA würden schwächer, «wenn wir uns hinter Mauern verstecken, anstatt sie niederzureissen», liess der Verstorbene ausrichten. Die Nachrichten überschatteten just Trumps Erfolge bei den Verhandlungen um das nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta mit Mexiko. Trump reagierte gereizt, als McCains Ableben mehr mediale Aufmerksamkeit als die präsidialen Verhandlungsfortschritte auslöste. Nach Kritik aus der Öffentlichkeit und des Washingtoner Politik-Establishments würdigte der Präsident seinen Widersacher McCain dann doch noch. Am Samstag findet die Abdankungsfeier statt. McCain orchestrierte sie selbst – und machte sie zum Politikum: So lässt er einen russischen Dissidenten seinen Sarg tragen. Eine klare Botschaft an seinen Gegner Putin. Ausserdem wünschte er sich, dass die Ex-Präsidenten George W. Bush und Barack Obama Reden halten. Nicht aber Trump. Er ist explizit nicht eingeladen.

Was als Nächstes geschieht: Auf McCains Senatorensitz wird laut Gesetz ein Mitglied der republikanischen Partei nachrücken. Wer das sein wird, ist zurzeit noch unklar. Ernennen wird die Nachfolge der Gouverneur von Arizona. Klar ist, dass sie die Lücke, die der prominente Politiker im gemässigten Lager der Partei hinterlässt, nicht wird füllen können und der Trump-Flügel kurzfristig erstarken könnte.

Zum Schluss: Ceci n’est pas un Kosovo (nur kurz)

Die Erinnerung an die hitzige Doppeladler-Diskussion der vergangenen Fussball-WM bringt derzeit Genfer Lehrerinnen ins Schwitzen. Schliesslich müssen sie ihren Schützlingen mit kosovarischem Hintergrund erklären, weshalb die Heimat ihrer Eltern auf der Wandkarte im Klassenzimmer nur als Provinz Serbiens eingezeichnet ist. Böse Absicht stecke nicht dahinter, beteuert das Bildungsdepartement des Kantons. Man habe lediglich den Kartenanbieter gewechselt, weil man ein plastifiziertes Modell bevorzugte. Die Schuld liegt also bei der französischen Michelin, die die veraltete Karte produziert hatte. Hätte man derweil auf gutschweizerische Kartografie gesetzt, wäre der Fehler nicht passiert. Es sei bedenklich, dass man den «Schwerpunkt auf die Verpackung und nicht auf den Inhalt» gesetzt habe, sagte der Genfer Grossrat Jean Romain zur Affäre. Bleibt zu hoffen, dass es beim restlichen Schulstoff umgekehrt ist.

Was diese Woche wichtig war

Wir beobachten für Sie das Weltgeschehen, filtern das Wichtigste heraus, ordnen es ein – und schicken es Ihnen jeden Freitag ansprechend verpackt in Ihre Inbox.

Unterstützen Sie unabhängigen Journalismus mit einem Monatsabonnement oder einer Jahresmitgliedschaft!