Binswanger

Supranationalfeiertag

Wir erleben einen weiteren August der Hitzerekorde. Was bedeutet das für unser Verständnis von nationaler Politik?

Von Daniel Binswanger, 04.08.2018

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Die Rede, die Blaskapelle, die Bratwürste: Egal, ob man es pittoresk oder verknöchert findet, das Skript der 1.-August-Feiern ist landauf, landab dasselbe. Vor allem: Von Jahr zu Jahr muss es konstant und immer gleich bleiben. Jetzt aber ist dennoch ein neues Element dazugekommen: die angebräunte, versengte, vollkommen ausgetrocknete Wiese, auf der die Festveranstaltung stattfindet. Sie wird allmählich zum gesetzten 1.-August-Dekor. Alles auf neuer Grundlage sozusagen. Und sie verändert den symbolischen Charakter des Nationalfeiertags gewaltig.

Der Klimawandel macht aus dem traditionellen Festakt der Willensnation ein bedrückendes Emblem der politischen Impotenz. Der 1. August der Feuerverbote, Hitzerekorde und gelegentlichen Schlammlawinen rückt unfreiwillig eine unübersehbare Tatsache in den Fokus: Was immer die Herren und Damen hinter den Rednerpulten zu sagen haben, wozu immer die Willensnation sich dieses Jahr hochzurappeln versucht, es ist von begrenzter Tragweite.

Plastischer kann es gar nicht mehr werden. Darüber, ob die Versteppung des Rütlis weiter voranschreiten wird und ob all die anderen Festwiesen im Land ständig noch brauner, noch dürrer und noch staubiger werden sollen, entscheidet letztlich weder die Schweizer Nation noch das lokale Politpersonal, sondern die Weltgemeinschaft.

Man darf die helvetische Konföderation gerne herzhaft feiern, ihre autonome Gestaltungsmacht zu überschätzen, wäre jedoch fatal. Die unerbittliche Globalisierung der Zivilisationsprobleme schreitet voran, in der Wirtschaftspolitik, der Migrationspolitik – und am allergreifbarsten in der Klimapolitik. Es ist kein Zufall, dass ein neuer Hypernationalismus – sei es in der «America first»- oder in der «Switzerland first»-Variante – sich nicht anders zu helfen weiss als mit der aggressiven und immer groteskeren Leugnung des Klimawandels. Dass es existenzielle Herausforderungen geben soll, die nur auf supranationaler Ebene bewältigt werden können, ist für Vertreter einer bestimmten Geisteshaltung eine Provokation, die ganz einfach nicht sein darf.

Dass das Problem die nationalstaatlichen Handlungsmöglichkeiten jedoch übersteigt, steht ausser Zweifel: Der Anteil der Schweizer Emissionen am globalen CO2-Ausstoss ist auf unter 0,1 Prozent gesunken. Die Schweiz gehört zu den europäischen Ländern mit dem höchsten bisherigen Durchschnittstemperaturanstieg und bekommt die Folgen der Klimaerwärmung massiv zu spüren. Aber ihre internen Möglichkeiten, die Treibhausgasemissionen zu senken, sind im Weltmassstab betrachtet beinahe irrelevant. Selbst wenn wir unseren CO2-Fussabdruck über Nacht auf null senken könnten, läge der Effekt im Promillebereich.

Man darf darauf wetten, dass diese Tatsache in den nächsten Monaten wieder häufig aufs Tapet gebracht wird. Das neue CO2-Gesetz, mit dem die schädlichen Emissionen gemäss Pariser Klimaabkommen bis ins Jahr 2030 gegenüber 1990 um 50 Prozent reduziert werden sollen, wird in den eidgenössischen Räten behandelt. Die SVP plädiert mehr oder weniger explizit fürs klimapolitische Trittbrettfahren. Warum soll die Schweiz sich anstrengen und die heimische Wirtschaft und die Konsumenten mit Kosten belasten, wenn wir doch viel besser warten würden, bis Umweltsünder wie die USA und China das Problem, für das sie zu grossen Teilen verantwortlich sind, auch eigenständig lösen? Trumps Austritt aus dem Klimaabkommen scheint den rechtsbürgerlichen Skeptikern recht zu geben. Wenn die grossen Länder bei den Emissionsreduktionen nicht mitmachen, werden die Anstrengungen der kleinen tatsächlich relativ sinnlos bleiben.

Dennoch wäre Trittbrettfahren vollkommen verantwortungslos. Die Klimapolitik hat sich nicht nur an Emissionsmengen und quantitativen Auswirkungen zu orientieren, sondern auch am politischen Prozess. Welchen Beitrag kann die Schweiz dazu leisten, damit international koordiniertes, supranationales Handeln wirkungsvoll werden kann? Das muss die Leitfrage der helvetischen Klimapolitik sein. Wenn die Eidgenossenschaft – eines der wohlhabendsten Länder der Welt – sich allen Ernstes auf den Standpunkt stellt, dass sie sich konsequenten Klimaschutz wirtschaftlich nicht leisten will, untergräbt sie die Bemühungen um kollektives Handeln auf gravierende Weise.

Das Tauziehen um das CO2-Gesetz wird ohnehin kein erhebendes Spektakel werden. Der WWF warnt, dass das neue Gesetz schon in seiner heute von der Landesregierung vorgeschlagenen Form viel zu lax dafür sei, die im Pariser Abkommen festgeschriebenen Ziele auch tatsächlich zu erreichen. Economiesuisse hingegen will die Abgabebefreiung für energieintensive Betriebe ausbauen. Auf den Sommer der grossen Dürre wird der Winter des grossen Herunterhandelns der CO2-Abgaben folgen. Verstehe das, wer will.

Die Schweizer Tropennächte weisen jedoch auf ein Paradox hin, das weit über die Klimapolitik hinausgeht: Innenpolitik, Heimatschutz, nachhaltige Konservierung des nationalen Lebensraums lassen sich immer stärker nur noch auf supranationaler Ebene garantieren. Sie wollen die Heimat bewahren? Sie wollen, dass es auch im Jahr 2100 in den Alpen noch ein paar Gletscher gibt? Wenigstens ein paar? Dann seien Sie konsequenter Kosmopolit. Eine andere Option haben wir ganz einfach nicht.

Debatte: Diskutieren Sie mit Daniel Binswanger

Stimmen Sie mit seinen Einschätzungen überein, oder erscheinen Ihnen seine Argumente nicht schlüssig? Sind bestimmte Ausgangshypothesen falsch? Entbrennt in Ihnen heftiger Widerspruch? Und welche Themen vermissen Sie in seiner Kolumne? Hier geht es zur Debatte.

Illustration: Alex Solman

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