Rücken von einem Mann mit einem Chamisa Support-T-Shirt.
Hoffen auf einen Generationenwechsel: Anhänger des Oppositionsführers Nelson Chamisa an einer Wahlveranstaltung im Juli 2018. Zinyange Auntony/AFP Photo

«Es wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen»

Am 30. Juli wählt Zimbabwe einen neuen Präsidenten. Die aussichtsreichsten Kandidaten: ein Politiker der alten Garde aka «das Krokodil» und ein junger Charismatiker. Zimbabwe-Kenner Eldred Masunungure über ihre Chancen.

Von Michael Kuratli, 24.07.2018

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Der alte Mann sitzt an einem Tisch. Über ihm das Porträt seiner selbst als junger Revolutionär. Flankiert von Flaggen, Offizieren in Tarnanzügen und Ministern, spricht er in die Mikrofone. Vor ihm liegen einige Blätter Papier, beschrieben in grosser Schrift, die er mühsam fixiert. Angestrengt kämpft er sich durch die Zeilen, muss manchmal den Zeigefinger zu Hilfe nehmen. Der Mann verhaspelt sich, liest langsam, muss mehrmals ansetzen. Er bringt die Blätter durcheinander, ein Offizier hilft ihm, die Reihenfolge einzuhalten.

Zimbabwer erwarten am 19. November 2017 die Rücktrittserklärung ihres Präsidenten Robert Mugabe – und werden enttäuscht. Zwei Tage später ist der Mann – nach 37 Jahren an der Macht – trotzdem Geschichte. Ben Curtis/AP/Keystone

Der Mann ist Robert Gabriel Mugabe, Präsident von Zimbabwe. Er wirkt müde und so, als würde er nicht verstehen, was er liest. Es ist auch nicht wichtig: irgendetwas von Einigkeit, wirtschaftlichem Aufschwung – die Zimbabwer haben es schon zu oft gehört. Zwischendurch, unscheinbar, die Versicherung, dass seine Autorität als Regierungs- und Staatsoberhaupt unangetastet bleibt. An diesem Tag, dem 19. November 2017, hat das Land andere Worte von ihm erwartet. Es hat seinen Rücktritt erwartet. Doch es wird bitter enttäuscht.

«Entschuldigung», murmelt Mugabe noch, «an einigen Stellen …, ich hoffe, das können wir korrigieren.» Die Minister nicken wohlwollend, ehrerbietend reichen ihm die Militärs die Hand, weisen sanft zum Ausgang.

Zwei Tage später, nach dieser seiner letzten Rede, erreicht er ihn doch noch, den Ausgang. Mugabe hat sich – auf Druck des Militärs und der eigenen Partei – zum Rücktritt entschlossen. Der Vorsitzende des zimbabwischen Parlaments verliest die Nachricht. Die Versammelten brechen in Freudentänze aus, das Land zelebriert auf den Strassen das Ende einer Ära. Nach 37 Jahren an der Macht ist der 93-jährige Mugabe Geschichte.

Das Land hat lange, zu lange auf diese Veränderung gewartet.

Zimbabwe ist am Nullpunkt. Es fehlt an allem. Der einstige «fruit basket» des Kontinents ist auf Nothilfe angewiesen. Der Zimbabwe-Dollar hat sich in einer Hyperinflation in Luft aufgelöst. Die wertlosen 100-Billionen-Scheine wurden schon 2009 eingestampft, vor drei Jahren zog die Regierung alle Banknoten endgültig aus dem Verkehr. Seither gilt der US-Dollar als offizielle Währung, doch der ist rar. Zahlungen per Mobiltelefon haben Aufschwung, auch wenn die Gebühren hoch sind. Dennoch: Zimbabwe atmet Freiheit. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten.

Eldred V. Masunungure

Der Absolvent der University of Zimbabwe und der Dalhousie University (Kanada) lehrt am Department of Political and Administrative Studies der University of Zimbabwe. Seine aktuellen Forschungsinteressen umfassen politische Übergänge, Wahlen, Governance und Politikgestaltung. Er hat «Defying the Winds of Change: Zimbabwe’s 2008 Elections» herausgegeben und hat in vielen lokalen und internationalen Zeitschriften publiziert, darunter «African Affairs», «Journal of Democracy» und «Journal of International Affairs» (Columbia University).

Herr Masunungure, Mugabes Abgang wurde gefeiert. Wie ist das Leben in Post-Mugabe-Zimbabwe?
Hauptmerkmal von Mugabes Herrschaft – vor allem nach 2000 – war das Schrumpfen der demokratischen und politischen Arena. Das hat sich dramatisch verändert. Wenn es irgendetwas zu feiern gibt in Zimbabwe, dann ist es die Freiheit, die Stimme zu erheben, sich zu versammeln – Bürgerrechte, die uns vorher verwehrt waren. Auf der anderen Seite sind die wirtschaftlichen Aussichten, gelinde gesagt, nicht sehr rosig. Wenn sich da etwas entwickelt hat, dann sind es die Preise von Konsumgütern. Schätzungen gehen von einer Steigerung von 30 bis 35 Prozent aus.

Die wirtschaftliche Situation hat sich seit Mugabes Sturz verschlechtert?
Es geht seit Jahren nur noch abwärts. Die Geldkrise belastet das Land insbesondere seit 2016, es gibt kein Licht am Ende des Tunnels. Das ist der Hauptgrund für die pessimistische Grundstimmung. In der Wahrnehmung der Bevölkerung hat sich seit dem Umsturz letzten November nichts geändert. Im Gegenteil, die Preise steigen wie gesagt ungebremst an.

Die Wirtschaft ist demnach das Hauptthema im Wahlkampf?
Ja, und aus berechtigten Gründen. Schätzungen setzen die Arbeitslosigkeit auf 90 bis 95 Prozent an. Die entscheidende Frage ist, wie die Kandidaten das Thema in Angriff nehmen. Und das Hauptanliegen aller Parteien ist es, Stellen zu schaffen. Nelson Chamisa, der aussichtsreichste Kandidat der Opposition, hat die Arbeitslosigkeit in den Fokus genommen, Präsident Mnangagwa ist auf Tournee, um Investoren zu gewinnen.

Und was ist die Haltung des Herausforderers Chamisa in der Sache?
Wenn man das Manifest der Opposition, der MDC Alliance, und jenes der Regierungspartei Zanu-PF vergleicht, sieht man viele Überschneidungen. Chamisa hat die Regierungspartei zwar beschuldigt, das Konzept der Opposition zu kopieren. Dennoch würde ich keinen Sprung in ökonomischer Sicht erwarten, auch wenn Nelson Chamisa an die Macht kommt.

Die Aufstellung zur Wahl

Robert Mugabe hinterlässt einen zu Boden gewirtschafteten Staat – und eine übermächtige Partei, die untrennbar damit verbunden zu sein scheint. Der neue Präsident des Landes und Vorsitzender der Zanu-PF, Emmerson Mnangagwa, genannt «das Krokodil», hält die Zügel seit dem Abgang des Diktators in der Hand. Niemand traut dem Frieden. Schliesslich ist Mnangagwa kein Unbekannter. Er diente unter Mugabe als Minister in verschiedenen Rollen und wird auch mit diversen Gräueln, unter anderem dem Gukurahundi-Massaker an der Volksgruppe der Ndebele Mitte der 80er-Jahre, in Verbindung gebracht.

Doch nun gibt sich Mnangagwa offen und staatsmännisch. Er weiss, dass seine Macht alles andere als zementiert ist. Er setzt Präsidenten- und Parlamentswahlen an, lädt internationale Beobachter ein, lässt die Opposition ungestört Wahlkampf veranstalten. Im Juni 2018 wurde bei einer Wahlveranstaltung ein Anschlag auf Mnangagwa verübt. Er überlebte unbeschadet, doch die Angst vor der Repression als Reaktion auf die Anschläge geht wieder um.

Die Opposition muss sich derweil erst neu formieren. Deren Anführer, der langjährige Widersacher Mugabes, Morgan Tsvangirai, starb kurz nach dem Militärputsch. Um seine Nachfolge wurde innerhalb des Movement for Democratic Change – Tsvangirai (MDC-T) gestritten, doch letztlich setzte sich der 40-jährige Nelson Chamisa durch. Er gilt als aussichtsreichster Kandidat der über hundert registrierten Parteien und Kleinstparteien. Er führt die Allianz zwischen MDC-T und weiteren Splittergruppen des Movement an.

Zimbabwe wählt am 30. Juli einen neuen Präsidenten sowie Senat und Nationalversammlung, die beiden Kammern des Parlaments.

Was erwartet Zimbabwe, wenn die Zanu-PF mit Präsident Emmerson Mnangagwa die Wahl gewinnen sollte?
Auf persönlicher Ebene hat er beharrlich versucht, sein Image neu zu definieren. Mnangagwa versucht, sich von Mugabe abzugrenzen, aber auch von seinem alten Selbst. Schliesslich wurde er als brutaler Vollstrecker von Mugabes Befehlen wahrgenommen. Nun beschreibt er sich selbst als «weich wie Wolle» und als gottesfürchtigen Menschen, zitiert in seiner Kampagne aus der Bibel. Er führt eine Charme-Offensive, sowohl für das heimische als auch das internationale Publikum. In der Schweiz – am WEF in Davos – war er ja auch und hausierte mit dem, was er «neue Befreiung» nennt. In der Zeit seit November versuchte er, die Wirtschaft zu liberalisieren und ausländische Investoren anzulocken. «Zimbabwe is open for business» ist sein Motto. Doch gegen die Korruption im Land hat Mnangagwa bislang wenig getan.

Der Herausforderer: Nelson Chamisa ist erst 40 Jahre alt, ein erfahrener Politiker und charismatischer Redner. Jekesai Njikizana/AFP Photo

Die Zanu-PF, die Partei Mugabes, und der Staat sind seit der Unabhängigkeit vor bald vierzig Jahren miteinander verbunden. Ist eine andere Zukunft überhaupt denkbar?
Die Symbiose zwischen Partei und Staat ist eine historische Realität, die vor die Unabhängigkeit zurückgeht. Damals bestand sie zwischen der Rhodesian Front von Ian Smith und dem rhodesischen Staat. Das ist ein strukturelles Erbe, das den Kampf für die Unabhängigkeit überdauert hat und bis heute existiert. Selbst die MDC Alliance wird im Fall eines Wahlsiegs versuchen, diese Symbiose neu zu schaffen. Dieses Verhältnis zwischen Staat und Partei ist in der Geschichte des Landes verankert.

Mugabe und die Zanu-PF haben Zimbabwe an den Rand des Abgrunds gebracht. Wie ist es überhaupt möglich, dass diese Partei noch existiert und sogar die Wahlen gewinnen könnte?
Die Regierungspartei ist stark mit dem Unabhängigkeitskampf verbunden. Vor allem ältere Menschen, die den Freiheitskampf miterlebt haben, haben eine emotionale Verbundenheit dazu – und damit zur Bewegung, die diesen bewaffneten Kampf gewonnen hat. Die Parteiloyalität hängt auch stark mit Mugabes Landreform ab dem Jahr 2000 zusammen. Aus wirtschaftlicher Sicht war sie verheerend und löste eine Kaskade des Abstiegs aus. Aber man sollte die andere Seite nicht aus den Augen verlieren: Das Land wurde proportional an Menschen verteilt, die zuvor kein Zuhause hatten oder schlechte Böden bewirtschafteten. Diese Menschen haben profitiert, und die meisten von ihnen unterstützen die Zanu-PF. Sie haben ein Sicherheitsgefühl und einen Besitz gewonnen, auch wenn sie ihn nicht produktiv nutzen. Diese Menschen – und ihre Kinder – sind der Partei in alle Ewigkeit dankbar.

Wie wichtig ist die Teilung zwischen Stadt und Land im Wahlkampf?
Es ist die wichtigste Trennlinie im Land. Zimbabwe ist polarisiert durch die Geografie. Das spiegelt sich scharf in der politischen Ausrichtung. Wir haben Untersuchungen durchgeführt, die zeigen, dass die geografische Herkunft der stärkste Faktor dafür ist, welche Partei ein Mensch am 30. Juli wählen wird. Andere Faktoren wie Bildung und Geschlecht und in begrenztem Masse auch das Alter spielen ebenfalls eine Rolle. Aber der entscheidende Faktor ist, ob jemand in der Stadt oder auf dem Land lebt.

Der Amtsinhaber: Emmerson Mnangagwa ist 75 Jahre alt, ein langjähriger Weggefährte Robert Mugabes und trägt den Spitznamen «Krokodil». Tsvangirayi Mukwazhi/AP/Keystone

Wie spielt die ethnische Zugehörigkeit da hinein?
Ethnizität ist nicht etwas, das die politischen Parteien und Anführer im Wahlkampf benutzen. Es ist nicht wie in Kenia, wo die Volksgruppen klar für ihre Partei und ihre Führer stimmen. Der ethnische Hintergrund wird aber von allen Parteien verstanden und zeichnet sich in der jeweiligen Führung ab. Wenn etwa der Parteipräsident Shona ist, ist seine Stellvertretung höchstwahrscheinlich Ndebele oder umgekehrt. Der Vorwurf wird manchmal erhoben, eine Partei sei Kalanga oder Manyika, Ndebele oder Shona, aber es ist ein überschätzter Faktor im Wahlverhalten der Menschen.

Vorbehalte gegen die Redlichkeit der Wahlprozedur wurden bereits laut. Sind faire Wahlen überhaupt möglich?
Unsere Geschichte zeigt ein düsteres Bild. Es gab durchgehend Streit bezüglich der Redlichkeit während Wahlkämpfen und wegen umstrittener Wahlergebnisse. Die Parlamentswahl von 2000 war hinsichtlich der Gewalt und Einschüchterung von politischen Gegnern die extremste. Wenn man also zurückschaut, ist man nicht beeindruckt von der Arbeit der Zimbabwe Electoral Commission, welche die Wahlen durchführt. Die meisten Menschen trauen der Behörde nicht zu, dass sie unabhängig von der Regierungspartei und den Sicherheitsdiensten ist. Es gibt also für die Opposition Grund zur Annahme, dass die Kommission einen Sieg der regierenden Partei und ihres Kandidaten Mnangagwa aussprechen wird. Trotzdem würde ich sagen, dass sich die diesjährigen Wahlen qualitativ von früheren unterscheiden. Die politische Arena hat sich ausgedehnt: Politische Gegner müssen keine Repression befürchten, sogar nach dem Anschlag auf Mnangagwa vor wenigen Wochen. Der Backlash, den sich die Zimbabwerinnen von früher gewohnt waren, ist ausgeblieben. Die Wahlen werden nicht komplett frei und fair sein, aber ich denke, sie werden frei und fair genug sein – sowohl für die internationale Gemeinschaft als auch für die heimischen Akteure.

Nelson Chamisa ist ein junger Kandidat. Zimbabwes Bevölkerung ist sehr jung. Hilft das der Opposition?
Chamisa hat eine erfolgreiche Kampagne geführt. Der Abstand zu Mnangagwa verringert sich. Er hat die Bevölkerung elektrisiert. Es wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen: Bei den 18- bis 35-Jährigen ist die Unterstützung für Chamisa stark, in den älteren Generationen kleiner. Der springende Punkt wird die Wahlbeteiligung sein. Es kommt darauf an, wie gut die Parteien ihre Basis aktivieren können. Chamisa ist die treibende Kraft in der Oppositions-Allianz. Doch er ist ein Einzelspieler. Andere leitende Personen halten sich zurück, und das könnte für das Resultat entscheidend sein. Bei der Zanu-PF ist das Gegenteil der Fall: Die Partei ist bei ihrer Basis stark verankert.

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