Briefing aus Bern

AHV über alles, Bundesrat bleibt hart gegen die EU – und es gibt mehr Tote

Das Wichtigste aus dem Bundeshaus (19).

Von Elia Blülle, 05.07.2018

Journalismus, der Ihnen hilft, Entscheidungen zu treffen. Und der das Gemeinsame stärkt: die Freiheit, den Rechtsstaat, die Demokratie. Lernen Sie uns jetzt 21 Tage lang kostenlos und unverbindlich kennen:

Vor einer Woche mahnte Alain Berset: «Wenn nichts passiert, passiert etwas.» Wäre Berset nicht Bundesrat, er hätte seine Worte wohl deutlicher gewählt: Wir stecken in der Klemme!

Es geht um die Altersvorsorge. Sie braucht ein dringendes Update. Die Zahl derer, die in Rente gehen, soll steigen. Denn die Babyboomer-Generation geht in den Ruhestand. Mehr Pensionierte, weniger Beitragszahlende: Es fehlt schlicht Geld in der Kasse. Deshalb braucht es eine Reform.

Nachdem letztes Jahr die Schweizer Stimmbürgerinnen den ersten Vorschlag zur AHV-Reform an der Urne versenkt hatten, musste Berset letzte Woche einen neuen Entwurf präsentieren. Das Ziel des Bundesrates: Die Altersvorsorge bis 2030 zu stabilisieren, ohne die Renten zu senken.

Wie bereits beim ersten gescheiterten Versuch will Berset das Rentenalter für Frauen auf 65 erhöhen. Ein gewagter Schritt. Für viele Linke ist das Frauenrentenalter nicht verhandelbar. Stimmen sie deshalb erneut gegen die neue Reform, riskiert Berset die nächste Niederlage.

Um das zu verhindern, will der Bundesrat die Reform für diejenigen Frauen abfedern, die heute zwischen 52 und 60 Jahre alt sind. Sie sollen eine höhere Rente erhalten und bei einer Frühpensionierung mit weniger Einbussen rechnen müssen. Ob sich die Linken von solchen Kompensationen überzeugen lassen, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Erste Reaktionen der SP und von Gewerkschaften lassen vermuten, dass es noch mehr Zugeständnisse des Bundesrates braucht, damit sie das Rentenalter opfern.

Oder: Verknüpft der Nationalrat in der Herbstsession die Altersvorsorge mit der Steuervorlage, bekäme die AHV jährlich zusätzliche 2,1 Milliarden Franken. Der umstrittene Kuhhandel soll die neue Unternehmenssteuer sichern und zusätzliches Geld in die AHV einschiessen. Gut möglich, dass im Gegenzug zum Milliardengeschenk aus der Steuervorlage das Frauenrentenalter auf unbestimmte Zeit geschützt bliebe.

PS: Die Altersvorsorge ist ein Sozialwerk mit Tradition. Hart umkämpft, bepackt mit vielen Emotionen und Verletzungen. Was steckt dahinter? Republik-Autorin Olivia Kühne wagte den Erklärungsversuch.

Und hier kommt – in alter Frische – das Briefing aus Bern:

Doch eine rote Linie bei den flankierenden Massnahmen

Das müssen Sie wissen: Die Schweiz steckt gerade in den wichtigsten Verhandlungen der letzten Jahre. Sie will mit der Europäischen Union ein «institutionelles Rahmenabkommen» abschliessen. Darin soll das bilaterale Verhältnis neu geregelt werden. Dabei gibt es aber ein grosses Problem. Gemäss Bundesrat Ignazio Cassis stimmt die EU einem Rahmenabkommen nur dann zu, wenn die Schweiz ihre flankierenden Massnahmen aufweicht. Der Arbeiterschutz wurde 2004 eingeführt, nachdem die Schweiz das Abkommen zur Personenfreizügigkeit unterschrieben hatte. Die flankierenden Massnahmen stören die EU, weil die Schweiz sich dadurch einen Vorteil auf dem Arbeitsmarkt verschafft.

Das hat der Bundesrat entschieden: Der Bundesrat hat gestern bekannt gegeben, dass die Schweiz an ihren roten Linien bezüglich Personenfreizügigkeit festhält. Somit bleibt alles beim Alten – vorerst.

So geht es weiter: Während des Sommers will der Bundesrat die Einschätzungen der Kantone und der Sozialpartner einholen. Spätestens Anfang September entscheidet der Bundesrat über das weitere Vorgehen.


Verschriebene Programmier-Lektionen

Das müssen Sie wissen: Die Sprachen des 21. Jahrhunderts sind digital. Deshalb wird Informatik an den Schweizer Gymnasien ein obligatorisches Schulfach. Das hat der Bundesrat vergangene Woche entschieden. Neben Englisch und Französisch sollen Gymnasiastinnen bald auch Programmiersprachen wie Python und HTML lernen.

Darum ist das wichtig: Bisher war Informatik an den Schweizer Gymnasien nur ein freiwilliges Ergänzungsfach. In naturwissenschaftlichen und technischen Disziplinen ist Programmieren aber längst genauso wichtig wie die Mathematik oder die Physik.

Darum ist das ein Problem: Informatiker sind begehrt. Viele Unternehmen haben Probleme, gute Fachkräfte zu finden. Nun mischen auch die Schulen auf diesem Arbeitsmarkt mit. Bis 2022 braucht es in der Schweiz etwa 300 neue Informatiklehrerinnen, um die Vorgabe des Bundesrates zu erfüllen. Das ist keine leichte Aufgabe.

Sie möchten sich selbst im Programmieren versuchen? Unsere Autorinnen Hanna Wick und Thomas Preusse haben getüftelt, und das ist das Ergebnis: «Talk to the Machine».


Mit Taktik gegen das Burkaverbot

Das müssen Sie wissen: Nachdem Nationalrat Walter Wobmann 2009 bereits ein Verbot von Minaretten durchgeboxt hat, attackiert er nun ein nächstes islamisches Reizsymbol – die Burka. Ein Komitee um den SVP-Politiker will verbieten, dass Muslime ihr Gesicht im öffentlichen Raum verhüllen. Deshalb reichte er im vergangenen Herbst eine Initiative ein.

Das sagt der Bundesrat: Gegenvorschlag. Er lehnt die Initiative ab und nimmt dem Komitee den Wind aus den Segeln. Mit einer abgeschwächten Variante will er den Stimmbürgerinnen eine Alternative bieten: Das Tragen eines Gesichtsschleiers soll in bestimmten Behörden nicht erlaubt sein. Wer zum Beispiel das Sozialamt besucht, dürfte künftig keine Gesichtsverhüllung tragen, also weder Burka noch Strumpf über dem Kopf noch Fasnachtsmaske. Zudem darf gemäss dem Gegenvorschlag niemand zum Tragen eines Gesichtsschleiers gezwungen werden.

So geht es weiter: Bevor die Stimmbürgerinnen an der Urne entscheiden, wird als Nächstes das Parlament über den Gegenvorschlag und die Initiative befinden. Das Komitee ist nicht glücklich über den Gegenvorschlag. Es schreibt, dass der ein symbolisches, taktisches Manöver sei, um die Initiative auszubremsen.


Zahlen der Woche: Mehr Tote wegen Wintergrippe

2017 sind in der Schweiz insgesamt 67’000 Menschen gestorben. Das sind 2000 Personen mehr als im Jahr zuvor. Der Grund: Eine harte Wintergrippe hat viele ältere Menschen getroffen. Die erfreuliche Nachricht: 2017 sind in der Schweiz 87’400 Kinder auf die Welt gekommen.


PS: Damit verabschiedet sich das «Briefing aus Bern» in die Sommerferien, und sobald Bundesbern wieder erwacht, melden wir uns in der oben bereits genannten Frische zurück.

Debatte zum Briefing aus Bern

Wo sollen wir nachhaken? Welche Geschichten zur Schweizer Politik interessieren Sie? Wie beurteilen Sie unsere Arbeit? Hier geht es zur Debatte.

Rund 27’000 Menschen machen die Republik heute schon möglich. Lernen Sie uns jetzt auch kennen – 21 Tage lang, kostenlos und unverbindlich: