Was diese Woche wichtig war

Erdogan fest im Sattel, Fahrräder auf dem Schrottplatz und ein Gnu hinter Gittern

Woche 26/2018 – das Kurzbriefing aus der Republik-Redaktion.

Von Michael Kuratli, 29.06.2018

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Erdogan zementiert seine Macht

Darum geht es: In der Türkei wurde Recep Tayyip Erdogan wie erwartet wieder zum Präsidenten gewählt. Seine Partei, die AKP, verpasste das absolute Mehr im Parlament und ist auf die Unterstützung einer rechten Kleinpartei angewiesen.

Warum das wichtig ist: Mit dieser Wahl ist Erdogan am Ziel. Letztes Jahr stimmten die Türken darüber ab, ob sie für ihr Land ein Präsidialsystem wollen, und nun bestätigten sie den Mann im Amt, der dieses System für sich massgeschneidert hatte. Fünf weitere Jahre wird er die Türkei regieren – ohne Ministerpräsidentin, mit mehr Einflussnahme auf die Justiz und weniger Kontrolle durch das Parlament. Politische Gegner rücken den alten wie neuen Präsidenten in die Nähe eines Diktators, wie etwa der Chef der Oppositionspartei CHP: «Jemandem, der nicht an Demokratie glaubt, kann man nicht gratulieren.» Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) spricht von unfairen Wahlen mit ungleichen Chancen für die Herausforderer. Und die EU? Mit der Wahl werden die unterschiedlichen Ansprüche an die Türkei einmal mehr deutlich. Einerseits stoppt sie die Verhandlungen über eine Zollunion, andererseits will sie einen EU-Beitritt der Türkei nicht komplett ausschliessen. Europa braucht den Autokraten am Bosporus nicht zuletzt als Türsteher gegen Geflüchtete aus dem Nahen Osten.

Getragen vom Volk? Das Porträt Erdogans an einer Feier nach dem Wahlsieg vom 24. Juni. Oliver Weiken/DPA/Keystone

Was als Nächstes geschieht: Gleich nach der Wahl ging die Hetzjagd gegen Oppositionelle weiter. Mit der neuen Machtfülle des Präsidenten haben kritische Journalistinnen, Kurden und mutmassliche Anhängerinnen des islamischen Predigers Gülen, den Erdogan für den Putschversuch von 2016 verantwortlich macht – kurz: alle, die sich gegen ihn stellen –, eine schwere Zeit vor sich.

PS: Falls Sie es verpasst haben – das türkische Drama haben wir vergangene Woche in einer fünfteiligen Soap abgehandelt.


Oberstes Gericht stützt Trumps Einreisesperre

Darum geht es: Der Oberste Gerichtshof der USA entschied am Dienstag, Präsident Trumps «Travel Ban», die Einreisesperre für diverse, mehrheitlich muslimische Länder, aufrechtzuerhalten. Fünf von neun Richterinnen entschieden, dass der Präsident seine Kompetenzen nicht überschritten habe, und wiesen die Klagen bezüglich religiöser Diskriminierung ab.

Warum das wichtig ist: Man muss zwei Jahre zurückspulen, um zu verstehen, warum der knappe Entscheid des Gerichts auch einen Zeitenwechsel symbolisiert. 2016 weigerten sich die Republikaner im Senat stur, einen vom damaligen Präsidenten Obama vorgeschlagenen Richter als Ersatz für einen verstorbenen Antonin Scalia zu akzeptieren. Zehn Monate dauerte die Blockade, bis schliesslich Trump Obamas Amt übernahm und der konservative Neil Gorsuch in das ehrenwerte Gremium gewählt wurde. Mit Gorsuch kippte das Gleichgewicht wieder nach rechts, was sich in den bisherigen Entscheiden spiegelt. Etwa darin, dass das Gericht vor weniger als einem Monat entschied, einen Bäcker vom Vorwurf der Diskriminierung freizusprechen, der sich weigerte, für ein schwules Paar eine Hochzeitstorte zu backen – aus Gründen der Religionsfreiheit.

Oder eben darin, dass die konservative Mehrheit Trumps Einreiseverbot als rechtmässig beurteilt. Die Trump-Regierung begründet das Einreiseverbot damit, dass aus gewissen Ländern terroristische Gefahr drohe. Weil anfangs ausschliesslich muslimische Staaten betroffen waren, wurde die Sperre auch «Muslim Ban» genannt. Sie wurde schon zwei Mal erneuert und abgeändert. Tiefere gerichtliche Instanzen hatten die Blockade zuvor als verfassungswidrig beurteilt. Das Oberste Gericht kippte diese Entscheide nun.

Was als Nächstes geschieht: Für Menschen aus Syrien, dem Iran, Libyen, Somalia, dem Jemen, Nordkorea und Venezuela ist der Entscheid des Supreme Court eine schlechte Nachricht. Denn die dritte Version des «Travel Ban», die seit September gilt, hat keine zeitliche Beschränkung. Am Mittwoch wurde ausserdem bekannt, dass Richter Anthony Kennedy in Rente geht. Trump wird den Gemässigten mit einem Hardliner ersetzen wollen und dem Gericht damit auf Jahre hinaus eine starke konservative Mehrheit verpassen.


O-Bike auf dem Schrottplatz

Darum geht es: Der Veloverleih aus Singapur zieht sich in Europa selbst aus dem Verkehr. Auch aus der Pionierstadt Zürich verschwinden die gelben Räder.

Warum das wichtig ist: Eines Tages vor knapp einem Jahr waren sie plötzlich überall: die klobigen, gelb-silbernen Fahrräder der Singapurer Firma O-Bike. Zürich war Teststadt, und in ihr entbrannte ein Streit über die Nutzung des öffentlichen Raums durch private Unternehmen. Vandalismus gegen die Räder wurde zu einer Art Volkssport, wie Instagram-Bilder zeigen. Die Räder verschwanden auch in anderen Städten, sogar in der Heimatstadt Singapur. Auch andere Anbieter von Leihrädern beschweren sich über Vandalismus in europäischen Städten und wollen sich zurückziehen. Schliesslich machte O-Bike jüngst auch mit Berichten über Sicherheitslecks bei Benutzerdaten negative Schlagzeilen. Woran also scheiterte das Leihrad-Konzept? Einerseits daran, dass Stadtbewohnerinnen in Europa mit den Leihsystemen nicht richtig warm wurden. Und andererseits daran, dass das Unternehmen zu viele Fehler begangen hat. Dabei ist die Präsenz der Leihrad-Unternehmen in europäischen Städten nur der schmale Schatten einer Materialschlacht, die in China tobt, wie unser Chefredaktor Mark Dittli beschrieben hat.

Die Fahrt ist zu Ende: Die Veloverleihfirma Obike zieht sich aus Europa zurück. Werner Gadliger/Keystone

Was als Nächstes geschieht: Vereinzelte Anbieter wie Limebike werden sich wohl in Europa halten können. Der Markt scheint sich jedoch zu konsolidieren. Der Trend geht dahin, dass Städte selber Fahrräder anbieten, als Erweiterung des Service public – so geschehen auch schon in Zürich.


Knatsch um ein Wappentier

Darum geht es: Im WM-Vorrundenspiel Schweiz - Serbien provozierte die Doppeladler-Geste der Nati-Spieler Xhaka, Shaqiri und Lichtsteiner die Gegner – und eine Diskussion um Identität in den Schweizer Medien. Die Fifa bestrafte die Spieler mit Geldbussen, da politische Gesten auf dem Rasen verboten sind.

Warum das wichtig ist: Wenn Sie Fussball bescheuert finden, werden Sie uns an dieser Stelle verfluchen. Warum soll das jetzt wichtig gewesen sein? Doch die Diskussion, die die Geste auslöste, geht weit über den Sport hinaus. Der Hintergrund: Serbien trat gegen die Schweiz an, in der Schweizer Nati spielen Männer kosovoalbanischer Abstammung. Nach einem Krieg erlangte Kosovo 2008 Unabhängigkeit von Serbien. Auf beiden Seiten sind viele der dabei entstandenen Wunden noch nicht geheilt. Der Doppeladler ist das Symbol Albaniens. Die Geste war eine Provokation, genauso wie die Pfeifkonzerte serbischer Fans, wenn jeweils ein kosovostämmiger Spieler am Ball war. Störender als die Abstrafung durch die Fifa war aber die Diskussion darüber, ob die Spieler ihr Herz am rechten Fleck hättenob sie also überhaupt richtige Schweizer seien. Sie zeigt, wie ungeniessbar Nationalstolz wird – wenn man nicht akzeptieren kann, dass in der Brust eines Schweizers ausländischer Herkunft mitunter ein Herz schlägt, das nicht einfach nur Rot-Weiss trägt. Die Diskussionen darüber, wofür welche Herzen zu schlagen haben, gingen der einen oder anderen jedenfalls an die Nieren.

Was als Nächstes geschieht: Nichts. Hoffentlich. Fussball wird sich weiter unpolitisch geben – ausser auf den Tribünen, wo die Mächtigen der Welt sich zuprosten. Die Fussball-WM in Russland wird vorübergehen. Putin wird sich gedankenverloren lächelnd noch lange an die Komplimente für seine schöne Weltmeisterschaft erinnern. Russlands Provinzstädte dürften unter den Schuldenbergen ihrer Monsterstadien kollabieren. Und wenn die Schweiz eines Tages keine so guten Spieler mehr hat, wird jemand schön wehmütig über die WM 2018 schreiben, wie Nicoletta Cimmino für uns über ihre Erinnerung an jene von 1982.


Zum Schluss: Ein Gnu hinter Gittern (ein Nachtrag)

Unlängst weilte er in der Schweiz, zum «Handshake» mit Bundesrat Berset: der Präsident der rumänischen Abgeordnetenkammer, Liviu Dragnea. Benjamin von Wyl stellte den Gastgebern für die Republik unangenehme Fragen. Denn gerade, als er in der Schweiz weilte, befanden Richter über die Zukunft Dragneas in einem von drei Verfahren, die derzeit gegen ihn laufen. Nun wurde das «Alpha-Gnu» der rumänischen Sozialdemokraten zu dreieinhalb Jahren Haft wegen Amtsmissbrauchs verurteilt. Wenn die zweite Kammer des Obersten Gerichts das Urteil bestätigt, muss das Gnu ohne Bewährung hinter Gitter.

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