kleine Panzermodelle auf einer Vitrine
Wollen sie bloss spielen? Panzermodell bei General Dynamics in Kreuzlingen. Samuel Zuder/laif

Mit Kanonen auf Werte schiessen

Bei der Schweizer Rüstungslobby herrscht Zufriedenheit. Der Bundesrat killt einen Verordnungsartikel. Die rote Linie für Waffenlieferungen in Konfliktregionen verblasst immer mehr. Was heisst das für die Zukunft?

Von Michael Rüegg, 21.06.2018

Teilen0 Beiträge

Journalismus, der Ihnen hilft, Entscheidungen zu treffen. Und der das Gemeinsame stärkt: die Freiheit, den Rechtsstaat, die Demokratie. Lernen Sie uns jetzt 21 Tage lang kostenlos und unverbindlich kennen:

«Beispielsweise glaube ich», sagte Didier Burkhalter, «dass man Waffenexporte in Konfliktregionen grundsätzlich ablehnen muss.» Das war im Frühling 2017, der scheidende FDP-Bundesrat sprach am Westschweizer Fernsehen über die Gründe seines Rücktritts. Auf Nachfrage des Moderators nannte Burkhalter die Waffenexporte als Beispiel: Seine Grundwerte würden sich nicht mehr mit denjenigen des Kollegiums decken.

Nun sind Didier Burkhalter und seine Grundwerte im Bundesrat nicht mehr vertreten. Sein Nachfolger ist der Tessiner Ignazio Cassis. Und der Wind bläst aus einer anderen Richtung.

Vergangenen Freitag haben Burkhalters ehemalige Regierungskollegen einen umstrittenen Entscheid getroffen: Die Schweiz soll neu auch Rüstungsmaterial in Länder exportieren können, in denen interne Konflikte herrschen. Allerdings mit einer Einschränkung: nur dann, «wenn kein Grund zur Annahme besteht, dass das auszuführende Kriegsmaterial im internen bewaffneten Konflikt eingesetzt wird».

Die Schweizer Rüstungsindustrie leidet seit längerem an einem Problem: Die Armee ist nicht mehr so kauffreudig wie früher. Überhaupt hat das Land gemessen an der inländischen Nachfrage eine viel zu aufgeblähte Rüstungsindustrie. Ohne Bestellungen aus dem Ausland ist sie nicht überlebensfähig – dabei beträgt ihr Anteil am Schweizer Exportvolumen weniger als 0,2 Prozent. Das Land exportiert mehr Tabak als Waffen.

Besorgt durch die sinkenden Umsätze macht die Rüstungsindustrie seit Jahren Druck auf die Politik. Bereits vor zwei Jahren forderten vier Mitglieder des Parlaments und zwei Swissmem-Funktionäre in einem Brief eine Lockerung der Exportpraxis. Die rund 7500 Jobs in der Branche stünden auf den Spiel. Der Bundesrat müsse die Exportregeln für Waffen ändern, der Rest Europas schaue schliesslich auch nicht so genau hin.

Im September 2017 doppelten 13 Rüstungsfirmen in einem gemeinsamen Schreiben nach: Sie verlangten von der Sicherheitspolitischen Kommission des Ständerats, dass die Einschränkungen für die Ausfuhr von Kriegsmaterial gelockert werden.

Dabei waren die Regeln für Waffenexporte bereits 2014 aufgeweicht worden. Auch damals war die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerats das Einfallstor für die Interessen der Rüstungsindustrie. Seither dürfen Waffen und Munition auch an Staaten geliefert werden, die systematisch und schwerwiegend Menschenrechte verletzen. Der Bundesrat schränkte mit einer vermeintlich sauberen Lösung ein: Bewilligt werden Verkäufe nur dann, wenn das Risiko als gering eingeschätzt wird, dass mit dem Schweizer Kriegsmaterial direkt Menschenrechtsverletzungen begangen werden. Die Regierung hat offenbar hellseherische Fähigkeiten: Sie sieht das Schicksal einer jeden Maschinenpistole voraus.

Der Einfluss der Ständeräte auf den Bundesrat zeigt nun abermals Wirkung. Der Lockerung zweiter Schritt erfolgte vergangenen Freitag: Künftig dürfen Rüstungsfirmen laut Bundesrat auch in Länder liefern, in denen bewaffnete Konflikte herrschen. Wiederum mit einer Einschränkung: Sofern die gelieferten Waffen nicht direkt in diesen Konflikten zum Einsatz gelangen. Bürgerkriegsstaaten dürfen also künftig zwei Sorten von Waffen besitzen. Diejenigen, die das Regime gegen die Opposition einsetzen kann, und diejenigen aus der Schweiz, die... nun ja, halt irgendwo herumstehen.

Es war die Drohkulisse der damaligen Initiative für ein Verbot der Kriegsmaterialausfuhr, die den Bundesrat 2008 dazu gebracht hatte, seine Exportpraxis zu verschärfen. Doch selbst unter den strengeren Regeln kam es in der Vergangenheit immer wieder zu Skandalen mit Schweizer Waffen.

1. Libysche Rebellen schiessen mit Schweizer Munition

Im Sommer 2011 enthüllte die «Rundschau», dass libysche Aufständische im Kampf gegen das Regime von Muammar al-Ghadhafi mit Patronen der bundeseigenen Rüstungsfirma Ruag Ammotec schossen. Die Munition war nach Katar geliefert worden, wie aus der Beschriftung der Transportkisten hervorging. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) hatte den Verkauf 2009 bewilligt. Das Emirat am Golf verstiess damit gegen eine Nichtausfuhrerklärung, wie es später einräumte. Nach zwei Kontrollbesuchen durch das Seco herrschte Einigkeit. Seither exportiert die Schweiz wieder Waffen an den Golf. 2017 betrug der Umsatz mit Katar knapp 230'000 Franken.

2. Saudis schlagen Aufstand in Bahrain nieder

Als der Arabische Frühling 2011 auch Bahrain erreichte, eilte die Nationalgarde des Nachbarn Saudiarabien zu Hilfe und schlug einen Aufstand in der Hauptstadt Manama nieder – gemäss Medienberichten auch mithilfe von Schweizer Gewehren und Schützenpanzern. Die Schweiz hatte im Vorfeld mehrmals Waffen und anderes Kriegsmaterial geliefert – sowohl nach Bahrain als auch nach Saudiarabien.

3. Ruag-Granaten im syrischen Bürgerkrieg

Im Syrien-Konflikt setzten Rebellengruppen Handgranaten des bundeseigenen Herstellers Ruag ein. Ursprünglich wurde vermutet, dass sie aus den Vereinigten Arabischen Emiraten ins Kriegsgebiet gelangt sind. Später zeigten Recherchen der SRF-Sendung «Rundschau», dass es sich bei den Granaten um ein Geschenk an Jordanien handelte. Von dort sollen sie via Türkei in den Norden Syriens gelangt sein.

4. Pilatus-Flugzeuge für Afghanistan

Für Gesprächsstoff sorgte 2015 ein Deal: Die USA rüsteten fünf Pilatus-Flugzeuge zu Aufklärungsfliegern um – und lieferten sie nach Afghanistan. Die Schweiz interessierte das nicht. Bei den PC-12-Fliegern handelt es sich offiziell um Zivilflugzeuge, unabhängig davon, wofür sie eingesetzt werden. Eine Ausfuhrbewilligung sei nicht nötig, sagte das Seco damals, schliesslich sei es ein Drittstaat gewesen, der die Flugzeuge für militärische Zwecke umgerüstet hatte.

5. Piranha-Panzer bei Boko Haram

Manche Rüstungsgüter haben ein langes Leben. Sie überstehen konfliktfreie Jahre und Jahrzehnte und wechseln gelegentlich den Besitzer. So geschehen 2016, als Bilder von Mowag-Piranha-I-Panzern des Herstellers General Dynamics aus Kreuzlingen in der Weltpresse auftauchten. Mit Soldaten der Terrormiliz Boko Haram, die drauf posierten. Die militärisch organisierte Sekte erbeutete sie offenbar von der nigerianischen Armee. Die Schweiz hatte drei Jahrzehnte zuvor über hundert Stück nach Nigeria verkauft.

6. Kampfflieger und Haubitzen im Jemen-Konflikt

Saudische Kämpfer im Jemen-Konflikt mit einem schweren Maschinengewehr. Nariman El-Mofty/AP Photo/Keystone

2016 bewilligte der Bundesrat die Ausfuhr von Kriegsmaterial nach Ägypten, Bahrain und Saudiarabien und in die Vereinigten Arabischen Emirate. Allerdings nur solches, bei dem kein Grund zur Annahme bestehe, dass es im Jemen-Konflikt zum Einsatz gelange. Doch Bahrain setzt im Jemen F-5-Kampfflugzeuge ein, für die die Schweiz Ersatzteile lieferte, ebenso wie Panzerhaubitzen. Auch die Emirate verschoben noch vor dem Bundesratsentscheid F-5-Jäger und Panzerhaubitzen in den Jemen. Dem zuständigen Seco lagen entsprechende Hinweise vor, das Staatssekretariat befand aber, es bestünden keine konkreten Indizien.

Die Schwierigkeit der doppelten Verwendung

Der Export von Waffen und Munition ist nicht der einzige Problempunkt. Weitaus schwieriger ist die Beurteilung von Gütern, die einen «dual use» aufweisen, einen zweifachen Gebrauch. Also Waren, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke eingesetzt werden können.

So konnte eine Schweizer Firma mit Bewilligung des Seco im November 2014 fünf Tonnen Isopropanol nach Syrien liefern. Carla Del Ponte, ehemalige Schweizer Bundesanwältin und UNO-Sonderberichterstatterin für Menschenrechtsverletzungen in Syrien, äusserte im Gespräch mit der Republik den dringenden Verdacht, dass die Chemikalie für die Produktion des Nervengases Sarin verwendet wurde. Das Giftgas soll gegen die syrische Zivilbevölkerung eingesetzt worden sein.

Die Krux: Isopropanol fehlte bislang auf der Liste der Dual-use-Produkte. Zwar sind auch für Güter mit zweifacher Verwendungsmöglichkeit Exportbewilligungen nötig, doch die Grenzen verlaufen mitunter fliessend.

Als ob das nicht kompliziert genug wäre, kennt die Schweiz auch noch sogenannte besondere militärische Güter. Dazu zählen etwa Trainingsflugzeuge oder Schiesssimulatoren. Während die meisten anderen Staaten darin Kriegsmaterial erkennen, zieht es die Schweiz vor, derartige Güter schwächer zu regulieren. Profitiert davon haben in jüngerer Vergangenheit vor allem Staaten im Nahen Osten – und ihre Schweizer Lieferanten.

Zufriedene Waffenhersteller

Die Rüstungslobby dürfte zufrieden sein. Ihr Wehklagen ist in Bern erhört worden. Die Umsätze können wieder steigen – wenn auch auf Kosten der Grundwerte.

Noch ist nicht klar, wo der Bundesrat mit seinen beschlossenen Änderungen eine rote Linie ziehen würde. Lewin Lempert, Sekretär der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA), nennt als kritisches Beispiel die Türkei. Gemäss Schätzungen fordert die 2015 begonnene Offensive gegen kurdische Unabhängigkeitskämpfer der PKK jedes Jahr eine vierstellige Zahl von Todesopfern. Bislang hat der Bund Kriegsmaterialexporte in die Türkei nur zurückhaltend bewilligt, im Jahr 2017 für 644'000 Franken. Ändert sich das künftig?

Letztes Jahr erteilte das Seco einer türkischen Bestellung von gepanzerten Eagle-Fahrzeugen der Kreuzlinger Marke Mowag eine Abfuhr. Die Grundlage für den ablehnenden Entscheid: der Verordnungsartikel, den der Bundesrat letzten Freitag gekillt hat.

Rund 27’000 Menschen machen die Republik heute schon möglich. Lernen Sie uns jetzt auch kennen – 21 Tage lang, kostenlos und unverbindlich: