Am Gericht

Anwalt, Lügner, Dieb

Er verspricht ihnen Liebe oder Freundschaft, erzählt von seinem aufregenden Berufsleben oder seinen Krankheiten – und nimmt ihnen ihr Geld ab. Jetzt will er endlich seine kriminelle Karriere beenden. Sagt er.

Von Sina Bühler, 20.06.2018

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Ort: Kreisgericht St. Gallen
Zeit: 25. Mai 2018, 8 Uhr
Fall-Nr: ST.2015.7064
Thema: Betrug

Er läuft in Fussfesseln auf der Strasse. Polierte braune Halbschuhe, Jeans, dunkelblaues Jackett, der Bauch wölbt sich unter dem weissen Hemd, dessen oberste Knöpfe offen sind. Im Vorbeigehen schaut er ins Schaufenster eines teuren Kleiderladens. Der Sicherheitsbeamte stupst ihn leicht an, sie gehen weiter, hinein ins Gericht. B. ist 54 Jahre alt, wirkt aber älter. Er hat kurz geschnittenes, grau meliertes Haar, fahle Haut und Mundwinkel, die schwer nach unten ziehen. Während er auf die Fragen des Gerichtspräsidenten Christoph Bossart antwortet, wird sein Gesicht freundlicher. Bereitwillig gibt er Auskunft, ist höflich, zuvorkommend und eloquent. Er sagt, er stehe bereits zum fünften oder sechsten Mal vor dem Richter, «immer wegen derselben Sache: Diebstahl und Betrug». Zuerst scheint es, als sage er das so, weil es ihm nicht mehr darauf ankommt, als sei das nun mal die Karriere seiner Wahl. Doch dann wird klar: Er ist so offen, weil er aussteigen will. Aus seinem Leben als Schwindler, der Frauen und Männer um den Finger wickelte, sie dazu brachte, ihm zu vertrauen, ihn zu lieben und ihm Geld zu geben.

Die Lügengeschichten passte er jeweils an: Für Freundin E., die auf seine Kontaktanzeige in der «Glückspost» geantwortet hatte, war er ein Schweizer Regierungsanwalt, auf Ermittlungsreise in Hongkong, und besass vier Wohnungen in Zürich und im Tessin. Er wohnte zwei Wochen lang bei E., klaute ihr Bargeld und Schmuck im Wert von 5600 Franken.

Für Freundin S., die er auf einer Online-Plattform kennengelernt hatte, litt er an Hautkrebs, zu dem später ein Gehirntumor kam, und arbeitete bei Siemens. Sie gab ihm wöchentlich 400 Franken und liess ihn bei sich wohnen. Weil das Portemonnaie weg war, die Mutter gestorben, die Konten gesperrt und die Krankenkasse seine Krebstherapie nicht zahlen wolle. Sie glaubte ihm. Er klaute ihren Schmuck, nahm Bank- und Kreditkarte aus ihrer Handtasche und bezog insgesamt 27’000 Franken.

Nur bei seinem Freund O., der ihm 2000 Franken auslieh und seinen Schlüssel gab – worauf er dessen Wohnung einer Unbekannten vermietete –, beschönigte er nicht viel: Sie hatten sich im Gefängnis kennengelernt. So nämlich sah die Realität aus: B. war ein verurteilter Betrüger in Haft. Die erste Frau traf er auf Hafturlaub, die zweite, nachdem er ausgebrochen war.

Jetzt soll endlich Schluss sein mit diesem Leben. Er stellte sich selber, wollte sich von Grund auf therapieren lassen. «Etwas unternehmen, damit ich nie mehr vor Gericht stehe. Ich bin 54, ich will nicht im Gefängnis sterben. Ich habe in der Therapie gelernt, dass man mit Ehrlichkeit weiter kommt.» Richter Bossart ist nicht überzeugt. «Was mir an Ihren Antworten nicht gefällt, ist, dass Sie jetzt nur von sich reden. Sie beginnen Beziehungen, bestehlen und betrügen. Aber von diesen Frauen reden Sie nicht.» «Doch, ich habe immer gesagt, es tue mir leid. Ich weiss jetzt, wie diese Frauen sich fühlen», korrigiert der Beschuldigte. Er sei nämlich im Gefängnis selber beklaut worden, das sei ihm eingefahren.

Als er sein psychiatrisches Gutachten sah, sei er richtig erschrocken, erzählt B. dem Gericht. Allerdings weniger, weil er darin sein Problem erkannte. Im Gegenteil: «Es gibt wirklich viel, was nicht stimmt. Sogar das Gute hat er noch schlecht geschrieben.» Der Psychiater attestiert ihm eine leichte bis mittelgradige Persönlichkeitsstörung. Er könne sich zwar sozial verhalten, meistens wolle er das aber nicht. B. sei kaum behandelbar, und wenn doch, dann würde eine Therapie deutlich mehr als zehn Jahre dauern. Im Gutachten steht auch, B. habe ein gutes Gespür für geeignete, gutmütige Opfer, die er kaltblütig ausnehmen könne.

Der Verteidiger Daniel Walder lässt sich fast eine Stunde Zeit, um dem Gericht den «Menschen B., nicht den Täter» näherzubringen. Während seines Plädoyers wechselt er immer wieder das Standbein, was den antiken Parkettboden des Gerichtsaals zum Knarren bringt. Er könne versichern, dass dieser Mann seine Lektion gelernt habe. Er hätte längst Hilfe benötigt. Er sei auch deswegen aus der Haft geflüchtet, weil er nie therapiert worden sei. «Aufgrund dieser Situation konnte er seinen Lebensunterhalt auch nicht legal und moralisch einwandfrei verdienen.»

Die Frauen hätten ausserdem grundlegendste Vorsichtsmassnahmen einfach missachtet.

S. beispielsweise, die nie einen Beleg sehen wollte, nie ihre Bankauszüge kontrollierte, obwohl sie ihm erlaubte, ihre Bankkarte zu nutzen. «Bei einer Internet-Bekanntschaft!» Jetzt lacht der Verteidiger glucksend, er schaut seitwärts zu seinem Mandanten und stellt dessen «Vertrauensverhältnis» mit der Frau infrage. Den Betrug mit der Kreditkarte der Frau schildert der Verteidiger gar positiv: «Er hat damit gezockt, in der Hoffnung, seine Schulden begleichen zu können.» Tatsächlich hat er fast 2000 Franken verspielt. Jetzt läuft der Anwalt zur Hochform auf, hebt theatralisch die Arme – als «gewerbsmässig» dürfe ein Gericht diesen Betrug nicht taxieren. Seine Stimme wird nun leiser und tiefer, während er die Delikte aufzählt, die er gelten liesse: Diebstahl, Urkundenfälschung, mehrfacher betrügerischer Missbrauch einer Fernmeldeanlage, mehrfache geringfügige Sachentziehung. «18 Monate sind das Höchste», sagt er.

Zwanzig Sekunden wendet er noch für die Lebensgeschichte von B. auf: «Aufgewachsen bei den Grosseltern, Eltern liessen sich scheiden, als er vier Jahre alt war, Heimaufenthalte. Entwurzelung, sucht die Nähe zu Menschen und die Liebe, gleichzeitig nährt er sich davon.»

Vorher hatte schon Staatsanwältin Kathrin Nüssli gesprochen – schnell, kurz und sehr technisch. Sie verlangte drei Jahre Freiheitsstrafe und dazu eine ambulante Massnahme. Es ist das erste Mal, dass eine Therapie zu klappen scheint, mehrere sind schon angeordnet worden, alle scheiterten. Bisher habe B. schon neun Freiheitsstrafen von total sechseinhalb Jahren absitzen müssen. Nach zwölf Minuten war sie fertig, auf eine Duplik verzichtete sie.

Neunzig Minuten nach dem Ende der Verhandlung wird die zehnte Freiheitsstrafe ausgesprochen: drei Jahre, von denen B. noch knapp zwei absitzen muss. In der Strafanstalt Saxerriet soll er eine ambulante Massnahme besuchen. Richter Bossart begründet das Urteil mündlich. B. sei ein gerissener Geschichtenerzähler und habe das Vertrauensverhältnis der Frauen ausgenützt, indem er diesen eine ernsthafte Liebesbeziehung vorgespielt habe. Dass sie darauf hereingefallen seien, sei nicht deren Fehler: «Das muss man eben am Anfang, Vertrauen in eine Beziehung investieren.» Des mehrfachen Betrugs seines Knastkollegen wird er aber freigesprochen. Den Frauen muss er hingegen 5000 beziehungsweise 51’000 Franken zurückzahlen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Illustration Friederike Hantel

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