Binswanger

Salvinis Billionen-Poker

Die italienische Regierung ist vereidigt. Es ist ein Sieg der Demokratie – und potenziell ein Desaster für den ganzen Kontinent.

Von Daniel Binswanger, 02.06.2018

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Jetzt könnte es ernst werden: Die neue italienische Regierung steht – mit nicht nur einem, sondern zwei Anti-Euro-Ökonomen im Kabinett. Zwar ist Paolo Savona nun nicht Finanzminister, sondern Minister für Europäische Angelegenheiten. Er wird weder dem Ecofin-Rat der EU-Finanzminister angehören, noch die Verantwortung für das italienische Staatsbudget innehaben. Darin einen Beweis für einen konzilianteren Kurs der neuen Regierung zu erblicken, wäre jedoch vermessen.

Die Umbesetzung dürfte vor allem den Zweck haben, Staatspräsident Sergio Mattarella zu erlauben, das Gesicht zu wahren. Noch am letzten Sonntag liess Mattarella die Regierungsbildung platzen, weil er in Savonas antideutschen Positionen eine Gefahr für die Zahlungsfähigkeit des italienischen Staats erblickte.

Vier Tage und ein Ressortwechsel sollen genügen, um diese Bedenken auszuräumen? Wohl kaum. Mattarella hat ganz einfach eingesehen, dass sein Amt ihm zwar die formale Macht, aber nicht die demokratische Legitimität gibt, eine Brüssel-feindliche Regierung zu verhindern. Es zeichnete sich ab, dass die Lega im Fall von Neuwahlen noch einmal dramatisch zulegen würde. Der Blockadeversuch des Präsidenten hat die Populisten gestärkt. Also hat er klein beigegeben.

Das Finanzministerium geht jetzt an Giovanni Tria. Er hat sich nicht so prominent als Deutschland-Basher profiliert wie Savona, aber er hat dessen scharfe Kritik an der europäischen Austeritätspolitik öffentlich verteidigt. Er könne Savona «vollständig zustimmen», schrieb Tria im Dezember 2016. Weshalb die Finanzmärkte an Tria mehr Freude haben sollen als an Savona, ist ein Rätsel.

Voraussichtlich werden sie auch keine Freude haben. Was wir in den nächsten Wochen erleben dürften, ist ein welthistorischer Milliarden- beziehungsweise Billionen-Poker mit ungewissem Ausgang. Vielleicht bluffen beide Seiten nur, und man wird sich so finden, wie sich bisher in der Eurozone Schuldner- und Gläubiger-Länder immer gefunden haben: mit knallharten Auflagen und einem Hilfsangebot, das die Probleme nicht löst, aber es erlaubt, irgendwie weiterzuwursteln. Vielleicht sind aber auch beide Seiten zum Äussersten bereit. Dann führt am italienischen Staatsbankrott kein Weg mehr vorbei – mit kaum abzuschätzenden Verwerfungen.

Die italienische Regierung wird die Drohkulisse einer Staatspleite aufbauen, um die Nordeuropäer und insbesondere Deutschland zu Konzessionen zu zwingen. Die Nordeuropäer werden darauf hoffen, dass die Zinsen der italienischen Staatsanleihen nach oben ausschlagen, die Kosten für den italienischen Staat hochschnellen lassen, die italienischen Banken, die ein grosses Volumen heimische Staatsanleihen in den Büchern haben, in Bedrängnis bringen und Italien zwingen, sich wieder zu mässigen.

Die Regierung in Rom hingegen wird darauf hoffen, dass man sich in Brüssel ernsthaft vor einem italienischen Staatsbankrott zu fürchten anfängt, dass man den um jeden Preis vermeiden will und man deshalb Italien unterstützen wird – selbst wenn das Land sich nicht mehr an den Stabilitätspakt halten und sich im grossen Stil weiter verschulden sollte. Was dieses «Game of Chicken» besonders explosiv macht, ist die Tatsache, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil der neuen Machthaber in Rom der Überzeugung ist, dass sich Italien in jedem Fall ausserhalb der Europäischen Währungsunion besser entwickeln würde als innerhalb. Es ist plausibel, dass die Lega gar nicht blufft, sondern Ernst machen will mit dem «Italexit».

Es gibt dafür auch gute Gründe. Über die letzten 20 Jahre ist Italiens Bruttoinlandprodukt (BIP) praktisch nicht gestiegen. Das reale Pro-Kopf-BIP ist seit 2008 um rund 10 Prozent gesunken. Die Arbeitslosigkeit bleibt viel zu hoch. Natürlich kann man geltend machen, dass diese Stagnation viele Ursachen hat, für die nicht der Euro, sondern die italienische Wirtschaft und ihre Strukturschwächen verantwortlich sind. Insbesondere die Produktivitätsentwicklung ist in Italien ausnehmend schlecht und war es auch schon in den 90er-Jahren. Aber insgesamt hat die Wirtschaftsentwicklung in Italien seit den 60er-Jahren mit derjenigen anderer europäischer Länder mithalten können – bis zur Finanzkrise 2008. Dass der Euro gar keine Rolle spielen soll für den dramatischen Abstieg der italienischen Wirtschaft, ist deshalb wenig plausibel.

Italien hat in den letzten Jahren zudem relativ brav sämtliche von der EU geforderten Strukturreformen durchgezogen – die Rentenreform, die Arbeitsmarktreform, die Stabilisierung der Staatsschulden – und hat sich trotzdem von der Finanzkrise bis heute nicht erholt. Dass die Wähler nach einem radikalen Wechsel rufen, ist deshalb nicht überraschend – auch wenn die Turbulenzen eines Euro-Austritts und eines Staatsbankrotts die italienische Wirtschaft massiv zurückwerfen würden und auch wenn nicht erwiesen ist, dass das Land mit einer eigenen Währung sich wieder deutlich besser entwickeln würde.

EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger hat am letzten Dienstag einen Skandal ausgelöst, als er in einem Interview mit der Deutschen Welle zum Besten gab, er hoffe, die Finanzmärkte würden die italienischen Wähler zur Vernunft bringen. Er hätte besser geschwiegen. Aber was er auf den Punkt gebracht hat, ist nichts anderes als die Eurozonen-Politik der deutschen Regierung.

Dies zeigte sich von Beginn der Euro-Krise weg und wurde von Angela Merkel schon im Oktober 2010 in Deauville bei einem bilateralen Gipfel mit dem damaligen französischen Präsidenten Sarkozy zur offiziellen Doktrin erhoben. Sarkozy und Merkel einigten sich darauf, dass insolvent gewordenen Euroländern (damals Griechenland) zwar geholfen werden kann, aber nur wenn die privaten Gläubiger eine Schulden-Restrukturierung, das heisst einen Verzicht auf einen Teil ihrer Forderungen akzeptieren. Merkel versprach sich davon eine disziplinierende Wirkung. Wenn die Märkte wissen, dass sie bei einer Staatspleite nicht ungeschoren davonkommen, werden sie über steigende Zinssätze die Staaten sofort bestrafen, falls diese anfangen, zu viele Schulden zu machen. Das Kalkül ist nachvollziehbar: Es ist besser, wenn die Finanzmärkte und nicht die deutsche Regierung bei den anderen Euroländern Budgetdisziplin durchsetzen.

Das Problem ist allerdings, dass dieses Kalkül nicht ganz ehrlich ist. Deutschland hätte sich auch starkmachen können für einen Bail-out, der die Privatgläubiger nicht schädigt. Die «Nervosität der Märkte» ist von Brüssel und Berlin gewollt. Sie wurde mitverursacht durch eine politische Entscheidung der Gläubigerländer.

Hier sind wir beim Kern der Italienkrise. Das Land ist in einem schrecklichen Zustand, es müssen sehr schwerwiegende Entscheide getroffen werden – aber nun plötzlich nicht mehr in Rom, sondern in Brüssel. Der demokratische Prozess soll sekundär werden und zurücktreten, sobald die europäischen Technokraten ihre Dogmen durchsetzen. Die demokratisch legitimierten Politiker sind nicht mehr deckungsgleich mit den Machthabern, die tatsächlich die Entscheide treffen.

Dieses Auseinanderdriften von demokratischer Legitimität und faktischer Macht mag in Schönwetter-Lagen verkraftbar sein. In einer Krisensituation jedoch wird das Demokratie-Defizit irgendwann zerstörerisch. Es führt dazu, dass die demokratische Mehrheit sich gegen die Technokraten, gegen die fremden Machteliten, gegen Brüssel stellt. Genau das ist jetzt in Italien geschehen.

Und jetzt? Es ist möglich, dass die Trägheitskräfte noch einmal stärker sind und dass die neue Regierung eine Staatspleite doch nicht riskieren will. Es besteht immer noch die Hoffnung, dass die momentan eher positive Konjunkturentwicklung für eine gewisse Entspannung sorgt. Es ist aber genauso gut möglich, dass beide Parteien auf Konfrontationskurs gehen und die Dynamik unkontrollierbar wird. Dass es ernst wird.

Illustration Alex Solman

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