Was diese Woche wichtig war

Italien im Politkarussell, Bangladesh im Drogenkrieg – und die Grenzen der Demokratie

Woche 22/2018 – das Kurzbriefing aus der Republik-Redaktion.

Von Michael Kuratli, 01.06.2018

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Wir haben Sie letzte Woche an dieser Stelle in falscher Sicherheit gewiegt. Und das gleich zwei Mal. Zum einen ging die eigentlich schon gesetzte Regierung in Italien diese Woche doch noch bachab – und mit ihr die Börsenkurse. Bis sie am Donnerstagabend dann doch wieder zustande kam. Zum anderen schien der Trump-Kim-Gipfel letzte Woche noch unwiderruflich gekippt. Doch die Annäherung läuft bereits wieder munter – wie jene zweier Kleinkinder, die sich gerade noch zankten.

Die Welt, sie hält sich leider nicht an das Bild, das wir uns von ihr machen. Dafür versprechen wir Ihnen, dass der Rückblick von hier an abwärts für einmal hundert Prozent trumpfrei ist. In diesem Sinne: Voilà! Der neuste Stand des Irrtums.

Doch noch eine Regierungskoalition in Italien

Darum geht es: Es war eine Achterbahnfahrt in den vergangenen fünf Tagen. Der designierte Regierungschef Giuseppe Conte legte am Sonntag den Auftrag zur Regierungsbildung nieder. Dem vorangegangen war ein Streit über die Besetzung des Finanzministeriums. Die Gewinner der Wahlen, das Movimento 5 Stelle (M5S) und die Lega, hatten den eurokritischen Paolo Savona vorgeschlagen, den Staatspräsident Mattarella ablehnte. Dann kam es zu einem wüsten Hickhack, in dessen Verlauf Luigi Di Maio, der politische Chef des M5S, die Absetzung Mattarellas forderte. Der Staatspräsident beauftragte sodann den angesehenen Ökonomen Carlo Cottarelli, eine Technokratenregierung aufzubauen. Diese sollte die Geschäfte leiten, bis im Herbst Neuwahlen angesetzt würden. Am Donnerstag Abend dann eine erneute Volte: Lega, M5S und Staatspräsident Mattarella haben sich gefunden, es kommt nun doch zu einer Regierungskoalition der beiden Parteien. Ministerpräsident soll wie ursprünglich vorgeschlagen Giuseppe Conte werden. Finanzminister wird der Wirtschaftsprofessor Giovanni Tria. Di Maio und der Vorsitzende der Lega, Matteo Salvini, werden Vize-Ministerpräsidenten. Salvini wird zudem Innenminister, Di Maio Arbeits- und Sozialminister.

Warum das wichtig ist: Als Staatspräsident Mattarella am Sonntag sein Recht wahrnahm, einen Ministervorschlag abzulehnen, wurde er von Luigi Di Maio (M5S) als Landesverräter beschimpft und seine Amtsenthebung gefordert. Es drohte eine Verfassungskrise. Nun soll doch eine Regierung zustande kommen, was – nicht zuletzt an den internationalen Finanzmärkten – die Ungewissheit der kommenden Monate etwas lindern wird.

Was als Nächstes geschieht: Sie haben den Überblick über die Wendungen im italienischen Politdrama längst verloren? Sie sind nicht allein. Doch angenommen, dass dieses Mal die Regierungskoalition tatsächlich steht: Es wird besonders spannend sein, zu sehen, ob sich Lega-Chef Salvini in seiner Kritik gegenüber dem Euro und der EU auch wirklich gemässigt hat. Oder ob er bloss vorübergehend Kreide gefressen hat und in Berlin und Brüssel schon bald wieder für Kopfschmerzen sorgen wird.

Irland: Abtreibung wird legal

Freude und Erleichterung: Befürworterinnen und Befürworter des liberaleren Abtreibungsgesetzes vor dem Dublin Castle. Peter Morrison/AP/Keystone

Darum geht es: Letzten Freitag stimmten die Irinnen und Iren für eine Entschärfung ihres strengen Abtreibungsgesetzes. Bis auf eine Region war sich das Land einig, dass es Zeit für eine liberalere Gesetzgebung ist. Die Stimmbeteiligung war so hoch wie noch nie bei einem Referendum auf dem Inselstaat.

Warum das wichtig ist: Die irische Gesellschaft schneidet in beachtlichem Tempo alte Zöpfe ab. 2015 nahm eine ähnlich hohe Mehrheit von über sechzig Prozent die gleichgeschlechtliche Ehe an. Mit der aktuellen Abstimmung ist eine Reform im Parlament angestossen, die eine Fristenlösung von zwölf Wochen für Schwangere vorsieht. Man kann getrost von einem Aufbruch in die Zukunft sprechen. Schliesslich stimmten laut Auswertungen nur ältere Irinnen und Iren gegen eine Liberalisierung, während über achtzig Prozent der jüngeren Bevölkerung mehr Selbstbestimmung in der Abtreibungsfrage forderten.

Was als Nächstes geschieht: Irlands liberaler Aufbruch strahlt aus. Zumindest auf das britische Nordirland, wo nach der Abstimmung Protestierende eine ähnliche Entschärfung ihres eigenen Abtreibungsverbots fordern. Das nordirische Gesetz ist näher am strengen irischen als an dem des restlichen Vereinigten Königreichs. Ein Problem dabei: Nordirland hat zurzeit keine Regierung. Gravierende Entscheide jedweder Art sind deshalb vorerst wohl auf Eis gelegt.

Drogenkrieg Bangladesh

Darum geht es: Im Land, wo Padma und Brahmaputra in den Golf von Bengalen fliessen, spielt sich zurzeit ein Drogenkrieg ab. Seit Mitte Mai schlägt die Polizei unerbittlich zu. Bis Anfang dieser Woche fanden gegen 100 Menschen den Tod, und 7000 wurden bei Polizeiaktionen festgenommen.

Warum das wichtig ist: Bangladesh kämpft mit wachsendem Drogenhandel, hauptsächlich mit einer Pille namens Yaba, einer Mischung aus Koffein und Methamphetamin. Die Regierung gibt an, das Problem habe sich mit der Flucht der Rohingya aus dem benachbarten Burma verschärft. Viele perspektivenlose Junge werden als Drogenkuriere eingesetzt, Bandenkriege häufen sich. Die Droge wird nicht im Land selbst hergestellt, sondern aus Labors in Westburma geschmuggelt – zum Teil auch mit der Hilfe burmesischer Soldaten.

Was als Nächstes geschieht: Die Heftigkeit des Vorgehens unter Premierministerin Sheikh Hasina erinnert an den zwei Jahre andauernden Drogenkrieg Präsident Rodrigo Dutertes auf den Philippinen. Yaba im Wert von 600 Millionen US-Dollar könnte dieses Jahr Bangladesh erreichen. Die Situation wird sich angesichts der anhaltenden Krisensituation der Geflüchteten voraussichtlich nicht entschärfen.

#MeToo – Weinstein stellt sich der Polizei

Darum geht es: Harvey Weinstein – von über siebzig Frauen der sexuellen Belästigung und teilweise auch der Vergewaltigung beschuldigt – stellte sich letzten Freitag in New York der Polizei. Am selben Tag nahm er an einer Gerichtsverhandlung von drei Anklagen gegen ihn teil.

Warum das wichtig ist: Es war Anfang vergangenen Oktober, als Betroffene sich erstmals öffentlich zu Übergriffen durch den Hollywoodproduzenten Weinstein äusserten und damit die #MeToo-Debatte lostraten. Unter dem Hashtag berichteten fortan Tausende Frauen weltweit über sexuelle Übergriffe. Die Prozesse stehen symbolisch für einen Gesinnungswandel in der amerikanischen und europäischen Öffentlichkeit bezüglich sexueller Gewalt.

Was als Nächstes geschieht: Weinstein wird auf unschuldig plädieren. Seine nächste Anhörung wird am 30. Juli stattfinden. Derweil bleibt er auf Kaution frei. Die Debatte um sexuelle Übergriffe ist aber längst nicht abgeschlossen. Jüngst wurde auch der Schauspieler Morgan Freeman beschuldigt.

Zürcher SP steht weiterhin zu Mario Fehr

Darum geht es: Der streitbare Regierungsrat Mario Fehr wurde am Dienstag von den Delegierten seiner Partei, der SP, für die Wahl 2019 erneut nominiert.

Mit zuversichtlichem Blick in die Zukunft: Mario-Fehr-Illustration aus dem Republik-Artikel. Aline Zalko

Warum das wichtig ist: Fehr, Sicherheitsdirektor des Kantons Zürich, macht seit Jahren Schlagzeilen. Und zwar solche, die vielen in seiner Partei nicht gefallen. Sei es seine strikte Asylpolitik, seine Haltung im Streit um das neue Polizei- und Justizzentrum (PJZ) oder … am besten lesen Sie es selbst bei den Kollegen Hanimann und Rüegg im Republik-Artikel nach. Nichtsdestoweniger entschieden die Delegierten der Zürcher Sozialdemokratinnen vergangenen Dienstag, Fehrs Kandidatur noch einmal zu stützen. Dabei zeigte sich vor allem eins: Der Stadt-Land-Graben ist auch zwischen den Genossinnen und Genossen tief. Gerade weil die SP «ein bisschen bünzlig» sei, argumentierte die Präsidentin einer Landsektion, wachse man auf dem Land. Man brauche Fehr. Die Städter gingen derweil hart mit ihrem ungeliebten Regierungsrat ins Gericht. Auf eine klare Mehrheit brachte er es denn auch nicht. 103 Ja-Stimmen standen 73 Nein-Voten gegenüber. Die andere Nominierte, Jacqueline Fehr, brachte es zum Vergleich auf 167 zu 8 Stimmen.

Was als Nächstes geschieht: Der Wahlkampf steht an. Fehr sagte, es werde «wahrscheinlich der letzte» sein. Voraussichtlich wird er als Bisheriger nicht gross um seine Wiederwahl bangen müssen. Bis dahin wird er versuchen, ein konzilianter Kandidat zu sein, um das knapp gewonnene Vertrauen seiner Partei nicht gleich wieder zu zerstören.

Zum Schluss: Grenoble und die Demokratie (ein Nachzug)

Am vergangenen Tag der Arbeit publizierten wir einen Artikel von Adrienne Fichter über die direktdemokratischen Ambitionen Grenobles. Den Artikel übersetzte Swissinfo auch auf Französisch. Nun hat die Geschichte eine neue Wendung – und ein vorläufiges Ende – genommen. Das Verwaltungsgericht des Departements Isère erklärte die Volksbefragungen als unrechtmässig. Der Entscheid ist ein harter Schlag für den Bürgermeister Eric Piolle, der die Bürgerbefragungen als Schlüsselelement seiner Reformbemühungen in der Stadt gesehen hat. Er nannte die Entscheidung, das «innovative Instrument» zu attackieren, eine «Schwäche in der Beziehung zu den Bürgern» und will den Entscheid weiterziehen.

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