Briefing aus Bern

Geschlechtsanpassung, viel Geld für Olympia – und der Start der Session

Das Wichtigste aus dem Bundeshaus (14).

Von Elia Blülle (Text), 31.05.2018

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Liebe alle,

In der bestmöglichen aller Welten wäre es egal, welches Geschlecht eine Person zwischen den Beinen trägt – zumindest rechtlich. Doch von dieser Welt ist die Schweiz weit entfernt. Beim Militärdienst, beim Elternurlaub oder beim Pensionsalter ist entscheidend, ob eine Person weiblich oder männlich ist. Ein Dazwischen gibt es nicht. Wechsel sind nicht vorgesehen.

Das ist vor allem für diejenigen Menschen ein Problem, die sich mit ihrem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht nicht identifizieren. Transmenschen müssen heute eine Anpassung ihres zivilstandesamtlichen Geschlechts vor Gericht beantragen. Damit verbunden sind hohe Kosten und Anhörungen.

Der Bundesrat will das ändern. Er hat letzte Woche entschieden, dass Transmenschen künftig ihr zivilstandesamtliches Geschlecht mit einer einfachen Erklärung angleichen können. Die neue Lösung soll die Selbstbestimmung der Betroffenen stärken und bürokratische Schikanen beseitigen.

Das ist ein grosser Schritt für den Bundesrat – aber nur ein kleiner für Transmenschen. Sie sind nur bedingt zufrieden mit dem Gesetzesentwurf. Das Transgender Network Switzerland kritisiert, dass non-binäre Menschen – also Personen, die sich weder mit dem weiblichen noch mit dem männlichen Geschlecht identifizieren – weiterhin ausgegrenzt würden. Zudem lehnt der Verband ab, dass der Entwurf des Bundesrates striktere Regelungen für Minderjährige plant: Zukünftig soll eine Angleichung nur noch mit der Zustimmung der Eltern möglich sein.

Als Nächstes geht der Entwurf in die Vernehmlassung, in der sich Kantone, Parteien und diverse Organisationen dazu äussern. Danach überarbeitet der Bundesrat das Gesetz noch einmal und schickt es ins Parlament. Es wird entscheiden, ob und wie die zivilstandesamtliche Geschlechtsanpassung möglich sein soll.

Die Debatte um die erleichterte Geschlechtsanpassung ist die Weiterführung einer gesellschaftspolitischen Diskussion, die uns in den nächsten Jahrzehnten stark beschäftigen wird: Wie viele Geschlechter soll es geben? Was heisst das für unsere Sprache? Wer soll entscheiden, welches Geschlecht eine Person hat? Spielt das überhaupt eine Rolle?

Diese Debatte interessiert auch unsere Redaktion. Welche Fragen finden Sie spannend? Ideen nehmen wir gerne entgegen.

Und hier geht es weiter mit der Sommersession und dem Briefing aus Bern.

Die wichtigsten Entscheide aus der Sommersession

Mit der Analyse zur Gleichheit: Der Ständerat will Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeiterinnen verpflichten, die Löhne der Belegschaft zu prüfen. Die Lohnanalyse soll allfällige Honorarunterschiede zwischen Mann und Frau aufzeigen und die Unternehmen zum Handeln animieren. Sanktionen sind nicht vorgesehen. Das stört vor allem die linke Ratsseite. Sie forderte ein Gesetz mit «mehr Zähnen». Zudem kritisiert sie, dass weniger als 1 Prozent aller Unternehmen vom neuen Reglement betroffen sind. Als Nächstes behandelt der Nationalrat das Gesetz.

Moscheen und das ausländische Geld: Der Ständerat will es Moscheen nicht verbieten, Gelder aus dem Ausland anzunehmen. Ein solches Verbot hat im Frühling eine knappe Mehrheit des Nationalrats gefordert, nachdem bekannt geworden war, dass die türkische Regierung Moscheen in der Schweiz finanziert. Die kleine Kammer hat die Motion nun abgelehnt, mit der Begründung, dass ein solches Gesetz das Grundrecht auf Religionsfreiheit verletze. Damit ist der Vorschlag vom Tisch.

Eine Prise mehr Transparenz: Der Nationalrat will, dass Parlamentarierinnen im Register der Interessenbindungen künftig auch ihren Arbeitgeber angeben müssen. Er folgt damit dem Ständerat. Abgelehnt hat die grosse Kammer einen Zusatz, der die Parlamentsmitglieder dazu verpflichtet hätte, mitzuteilen, ob ein Mandat vergütet wird oder nicht. Der Ständerat hat diesem in einer zweiten Beratungsrunde am Mittwoch zugestimmt. Gut möglich, dass sich der Nationalrat dadurch noch einmal umstimmen lässt. Die Anti-Korruptions-Organisation Transparency International kritisiert die neue Lobbyregelung. Die Anpassungen seien sehr bescheiden und würden die eigentlichen Probleme der Transparenz nicht lösen. Auch die Republik hat darüber geschrieben. In diesem Text fordert unsere Autorin Sylke Gruhnwald neue Regeln für die Lobbyistinnen im Bundeshaus.

SVP-Initiative – abgewatscht, aber noch nicht abgelehnt: Die SVP will Schweizer Recht über Völkerrecht stellen. Davon ausgenommen ist das zwingende Völkerrecht, welches zum Beispiel Folter verbietet. Dass die sogenannte Selbstbestimmungsinitiative keine Chance haben wird, war bereits vor der Diskussion klar. Trotzdem stritten sich Gegner und Befürworter während zweieinhalb Stunden. Ein abschliessendes Ergebnis gibt es noch nicht. Die Debatte wird nächste Woche weitergeführt. Einzige Überraschung: CVP-Präsident Gerhard Pfister zog seinen Gegenvorschlag zurück. Er wollte die Schubert-Praxis in der Verfassung verankern, die einen grundsätzlichen Vorrang des Völkerrechts vorsieht, aber gewisse Ausnahmen zulässt.


Bundesrat unterstützt Olympia 2026 mit einer Milliarde

Das müssen Sie wissen: Am 10. Juni entscheiden die Walliserinnen und Walliser, ob sie eine Olympiakandidatur ihrer Kantonshauptstadt Sion für das Jahr 2026 unterstützen wollen. Im Moment sieht es schlecht aus für das Vorhaben. Erste Umfragen gehen davon aus, dass 58 Prozent die Kandidatur ablehnen werden. Letzte Woche hat der Bundesrat aber noch einmal ein Argument für eine Walliser Kandidatur geliefert. Kommen die Olympischen Spiele zustande, will der Bundesrat diese mit knapp 1 Milliarde Franken unterstützen. Eine Defizitgarantie gegenüber dem Internationalen Olympischen Komitee lehnt er ab.

Das sagen die Gegner: Sie stellen vor allem den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Nutzen der Spiele infrage. Zudem kritisieren sie die undurchsichtige Rolle des Internationalen Olympischen Komitees, das in der Vergangenheit immer wieder mit Korruptionsfällen auf sich aufmerksam gemacht hat. Kritisiert wird auch, dass der Bundesrat dem Parlament keine referendumsfähige Vorlage unterbreitet. Stimmt die Bundesversammlung der Bundesmilliarde zu, kann das Volk nicht votieren.

So geht es weiter: Lehnen die Walliserinnen am 10. Juni die finanzielle Beteiligung ihres Kantons an den Olympischen Spielen ab, ist das Projekt Olympia 2026 gestorben. Stimmen sie zu, werden die Stadt Sion und der Kanton die Kandidatur vorbereiten. Damit ist die Bundesmilliarde aber noch nicht gesichert. Im Frühling hat der Nationalrat überraschend gefordert, dass das Volk über die Beteiligung des Bundes abstimmen soll. Stimmt der Ständerat diesem Begehren auch zu, steht der nächste Volksentscheid an.

Vorschau: Die Republik war im Wallis und hat sich umgehört. Nächste Woche berichten wir, was der Kanton von der Olympiakandidatur hält.


Zahl der Woche: Ein Quäntchen weniger Arbeit

2017 hat die Schweizer Bevölkerung 7,8 Milliarden Stunden gearbeitet – 0,4 Prozent weniger als im Vorjahr. Das hat vor allem damit zu tun, dass viele gesetzliche Feiertage auf Werktage fielen. Die tatsächliche wöchentliche Arbeitszeit ist im Schnitt nur um 0,2 Prozent gesunken, auf 41 Stunden und 7 Minuten. Das ist eine Viertelstunde weniger als im Vorjahr. Damit ist die Schweiz im europäischen Vergleich an zweiter Stelle. Nur die Isländer arbeiten noch mehr. In der Statistik wird nur die Erwerbsarbeit berücksichtigt.

Dazu hat Republik-Autorin Olivia Kühni in der Montagsrubrik «Auf lange Sicht» einen Text geschrieben, in dem sie analysiert, wie viel wir tatsächlich arbeiten.

Debatte zum Briefing aus Bern

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