Niggli

Über Lüge und Beischlaf

Dem Bundesrat scheint es bei seiner grossen Strafrechtsreform eher um die Medien und den Schein zu gehen als um die allzu gerne zitierten Opfer.

Von Marcel Alexander Niggli, 30.05.2018

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Nun also doch. Lange hatten wir sie gefürchtet, und nun ist sie da, die sogenannte Botschaft zur Harmonisierung der Strafrahmen. Und wie meist bei der Gesetzgebung in jüngerer Zeit: Das Resultat übertrifft unsere schlimmsten Befürchtungen. Wenn heute ein gesetzgeberisches Grossprojekt in Angriff genommen wird, ist es höchst wahrscheinlich, dass unser Recht nicht verbessert, sondern massiv verschlechtert wird. Wenn auch möglicherweise mit den allerbesten Absichten – wobei selbst dies fraglich bleibt.

Stutzig machen müsste schon die durchgängige Unehrlichkeit des Vorhabens, die bereits mit dem Titel beginnt: Was «Harmonisierung der Strafrahmen» genannt wird, ist in Wirklichkeit eine Totalrevision des Zweiten Buches (also der Gesamtheit der Straftatbestände) des Strafgesetzbuches. Und nicht nur das: Die Vorlage beschlägt das gesamte Strafrecht, also auch viele Delikte ausserhalb des Strafgesetzbuches.

Alles durch die Wurstmaschine gepresst

Bei 245 Straftatbeständen wird die Formulierung der französischen Fassung ins Geschlechtsneutrale geändert. Das scheint einerseits angesichts der Tatsache, dass Frauen nur rund 20 Prozent der Straftäter ausmachen, nicht gerade vordringlich und hat andererseits weder mit «Harmonisierung» noch mit Strafrahmen das Geringste zu tun. Inhaltlich werden insgesamt 190 Delikte geändert, alleine im Strafgesetzbuch sind es rund 80 – von den 223 bestehenden also mehr als ein Drittel. Auch hier geht es wiederum keineswegs nur um die Strafrahmen.

Auf der Website des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements wird die Vorlage zwar mit den Schlagwörtern «Strafrecht» und «Sanktionensystem» versehen. Das aber ist schlicht irreführend und grenzt an eine Lüge. Unter würdigen und anständigen Umständen hätte die Revision jedes einzelnen Deliktes erhebliche Diskussionen zur Folge. Hier aber wird alles durch eine grosse Wurstmaschine gepresst: Kernstrafrecht, Nebenstrafrecht, geschlechtsneutrale Formulierungen, Strafmasse, Revision von Sexual- und Gewaltdelikten, Gewerbsmässigkeit – was auch immer.

Das kann nur zur Schlamperei führen.

Ohne dass dies je in die Vernehmlassung gegangen wäre, wird beispielsweise bei der Vergewaltigung eine Verdoppelung des Mindeststrafmasses vorgeschlagen. Wozu aber dient ein Verfahren wie die Vernehmlassung, bei dem alle Interessierten sich zu einem Gesetzgebungsvorhaben äussern können, wenn der Vorschlag danach ohne jeden Bezug zu den Rückmeldungen in wesentlichen Punkten einseitig geändert wird? Genau das ist in diesem Fall geschehen.

Der einzige Sinn, den ich in einem solchen Vorgehen erkennen kann, ist Täuschung: Ein Theater wird aufgeführt, das ermöglicht, der Bevölkerung die Verantwortung zu übergeben, indem man ihr vorhalten kann, man habe sie ja gefragt, obwohl sie das Resultat gar nicht zu beeinflussen vermochte. Das ist eher Scheindemokratie und Schmierentheater.

Übertroffen wird das aber noch durch die Begründung, die dafür vorgebracht wird: Mit der Erhöhung der Mindeststrafe solle «der erhöhte Unrechtsgehalt, den eine Vergewaltigung aufweist, besser zum Ausdruck gebracht werden». Was aber «erhöht» meint, bleibt völlig offen. Erhöht im Vergleich zum Vorentwurf von 2010? Das scheint kaum möglich und müsste zumindest begründet werden. Erhöht im Vergleich zu den anderen Sexualdelikten? Ebenfalls nicht möglich, da dieser Unterschied bereits zuvor bestand. Weder Veränderungen noch Unterschiede sind erkennbar, die «erhöht» bezeichnen könnte. Ausser vielleicht das Strafbedürfnis des Bundesrates. Sofern aber dieses den Grund darstellt, sollte er das wenigstens offenlegen.

Es sollte um die Gesellschaft gehen, nicht um die Medien

Gesetzgebung sollte nicht auf die Befriedigung der Medien ausgerichtet sein, sondern auf die Kohärenz der Gesellschaft. Wenn der Bundesrat ausführt, Strafrecht sei nur glaubwürdig, «wenn es konsequent und rechtsgleich durchgesetzt werde», so hat das mit seiner Vorlage schlicht nichts zu tun. Er kann es damit auch nicht beeinflussen. Dazu nämlich müsste er nicht Strafen erhöhen, sondern mehr Polizisten einstellen, aber das kostet natürlich Geld. Es betrübt, dass dem Bundesrat der Unterschied zwischen Rechtssetzung und Rechtsanwendung nicht klar zu sein scheint.

Die Aussage, Strafrecht verliere an Glaubwürdigkeit, «wenn die angedrohten Strafen [. . .] dem Wert des jeweils geschützten Rechtsgutes in der Gesellschaft» nicht entsprächen, ist nur sinnvoll, wenn dann auch Belege oder Argumente vorgetragen werden für die gesellschaftliche Einschätzung dieser Werte. Das aber geschieht natürlich nicht. Wie auch? Woher wollte der Bundesrat wissen, was die Bevölkerung von Gewerbsmässigkeit oder bei-schlafähnlichen Handlungen hält? Nichts anderes als die mediale Berichterstattung ist wohl gemeint.

Ohne Belege, Argumente und Überlegungen aber bleibt die Rede von den Rechtsgütern einfach nur Geschwurbel. Das belegt auch die Fortsetzung des Satzes: Wenn die angedrohten Strafen «schliesslich auch in keiner Relation mehr zu den tatsächlich verhängten Strafen» stünden, verliere das Strafrecht auch «präventive Wirkungskraft». Wenn das tatsächlich zuträfe (was es in keiner Weise tut), so belegte es einzig und alleine Misstrauen gegenüber der eigenen Justiz.

Dass die medial zwar überaus erfolgreiche, aber dennoch kreuzfalsche Behauptung, die Gerichte seien zu milde, für einen Gesetzgeber angemessen sei, lässt sich wohl kaum vertreten. Sie ist nur würdelos. Sein innerstes Bestreben müsste ja sein, die Achtung vor seiner Justiz in jeder nur möglichen Hinsicht zu stärken, und nicht wie ein Stammtisch-Krakeeler zu wiederholen, was er irgendwo gelesen hat.

Die Aussage ist nicht etwa populistisch. Sie so zu bezeichnen, wäre unfair – dem Populismus gegenüber, der sich immerhin am Volk orientiert. Sie ist schlicht verlogen.

Der Bundesrat nämlich meint die Medien, wenn er Öffentlichkeit sagt und wider besseres Wissen so tut, als hätten Art oder Höhe einer Strafe irgendeine präventive Wirkung. Dass das nicht zutrifft, zeigt ein Blick in jedes beliebige Kriminologie-Lehrbuch, weshalb es auch dem Bundesrat bekannt sein dürfte. Vor diesem Hintergrund sind die Bekenntnisse zum Strafrecht als Ultima Ratio (das heisst als letztem Mittel, das eingesetzt werden sollte) durch und durch unglaubwürdig. Und verbessert wird das auch nicht durch den Hinweis auf die «Sanktionsmöglichkeiten des Zivilrechts», die es natürlich gar nicht gibt.

Es geht gar nicht um die Opfer

Bestätigt wird der Eindruck der Verlogenheit schliesslich auch durch die vorgebliche Opferorientierung der Vorlage. Der Begriff des Opfers wird hier vor sich hergetragen ganz wie eine Monstranz, doch geht es – entgegen den Beteuerungen – überhaupt nicht um die Opfer. Denn kein einziges Opfer wird durch eine höhere Strafe «geschützt». Dazu brauchte es Polizisten. Aber die kosten.

Den meisten ist wohl auch nicht bekannt, dass dieselbe Bundesrätin, die hier von Opferschutz schwadroniert, parallel dazu dabei ist, gerade die Rechte dieser Opfer einzuschränken. Im Bereich der häuslichen Gewalt nämlich soll zukünftig nicht mehr das Opfer darüber entscheiden, ob ein Strafverfahren sistiert wird (Art. 55a StGB), sondern primär die Staatsanwaltschaft. Denn die weiss ja ganz bestimmt besser, was dem Opfer guttut, als dieses selbst. Ganz im Sinne Torquemadas und Robespierres.

Wie gut der Bundesrat die Interessen der Opfer kennt, wird überdeutlich in seinen Formulierungen: «Es ist nicht auszuschliessen, dass die Sanktionierung von Taten mit einer Geldstrafe bei Opfern den Eindruck aufkommen» lasse, Verletzungen liessen sich durch «blosse Geldzahlungen» erledigen, deshalb «könnten sich die Opfer nicht ernst genommen fühlen». Es ist natürlich auch nicht auszuschliessen, dass solches Geschwafel den Eindruck aufkommen lässt, der Bundesrat wisse nicht, wovon er rede, weshalb die Bevölkerung sich nicht ernst genommen fühlt. Nur scheint ihm das eben nicht so wichtig. Im Übrigen sei erwähnt, was ebenfalls wenig bekannt scheint: dass von einer dem Opfer durch den Staat zugesprochenen Entschädigung dieser Staat selbst nur einen Bruchteil bezahlt. Damit das Opfer auf keinen Fall den Eindruck bekomme, es erhalte als Ausgleich für seine Verletzung «blosse Geldzahlungen», leistet man die eben gerade nicht, sondern verweist es für den Löwenanteil der Entschädigung an den Täter. Ob das erfolgreich ist oder nicht, scheint den so um die Opfer bekümmerten Bundesrat nicht wirklich zu kümmern.

Die Vorlage schwitzt mit jeder Pore den Geruch von Unehrlichkeit und Täuschung aus, den auch das billige Parfüm der Schutzmetaphorik nicht zu überdecken vermag. Und damit ist erst die Basisnote umrissen.

In den Einzelheiten nimmt dieser modrige Dunst nicht ab, sondern sogar noch zu. Das soll in einem zweiten Teil verdeutlicht werden, der – der Tragweite eines solchen Grossprojekts angemessen – ausnahmsweise schon in einer Woche an dieser Stelle folgt.

Mehr also, liebe Leserin, lieber Leser, nächste Woche.

Illustration Alex Solman

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