Auf lange Sicht

Die Eurokrise erwacht

Die Regierungsbildung der beiden italienischen Populistenparteien M5S und Lega Nord beunruhigt die Finanzmärkte.

Von Mark Dittli, 28.05.2018

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Erinnern Sie sich an die Eurokrise? Sie tobte vor allem in den Jahren 2011 und 2012, als die Finanzmärkte die Zahlungsfähigkeit der Euro-Peripheriestaaten Italien, Spanien, Portugal, Griechenland und Irland anzweifelten. Die Europäische Währungsunion drohte zu bersten.

Auf dem Höhepunkt der Krise, Ende Juli 2012, gelobte der Vorsitzende der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, die EZB werde alles Nötige tun («whatever it takes»), um das Überleben des Euro sicherzustellen. Was dann auch geschah: In den Folgejahren flutete die Zentralbank die Finanzmärkte mit Liquidität, kaufte im grossen Stil Staatsanleihen auf.

Das Wort «Eurokrise» verschwand aus den Schlagzeilen. Die Politiker redeten zwar über nötige Reformen der Währungsunion. Doch umgesetzt haben sie wenig davon – und wenn, dann nur langsam. Und das, obwohl sie von Expertinnen und Ökonomen wiederholt gewarnt wurden, dass die grundlegenden Konstruktionsfehler der Europäischen Währungsunion nicht behoben sind.

Das war ein Fehler.

Denn seit sich abzeichnet, dass in Italien zwei eurokritische Populistenparteien möglicherweise die nächste Regierung bilden, könnte die drittgrösste Volkswirtschaft des Währungsraums zum Epizentrum einer Zweitauflage der Eurokrise werden.

Woran erkennt man das?

Zum Beispiel an den Zinsen am Markt für Staatsanleihen. Diese Papiere, auch Bonds genannt, sind Schuldbriefe von Staaten, die für bestimmte Laufzeiten ausgegeben werden und mit einem fixierten Zins (Coupon) versehen sind.

Sind die Staatsanleihen einmal ausgegeben, werden sie am sogenannten Sekundärmarkt gehandelt. Dort kann ihr Kurs steigen oder fallen, je nachdem, wie die Marktteilnehmer die Solidität und Glaubwürdigkeit des betreffenden Staates gerade einstufen.

Und jetzt kommt das Wichtige: Aus dem aktuellen Marktkurs eines Bonds, seiner Restlaufzeit und seinem Coupon lässt sich die Rendite auf Verfall der betreffenden Anleihe berechnen. Das ist vereinfacht gesagt die Rendite, die ein Investor erhält, wenn er die Anleihe heute kauft und sie bis zum Rückzahlungsdatum hält. Das ist theoretisch auch der Zinssatz, den der Staat anbieten müsste, wenn er heute eine neue Anleihe ausgäbe.

Für das Verhältnis zwischen dem Marktkurs der Anleihe und ihrer Rendite gibt es eine einfache Regel: Sinkt der Preis, steigt die Rendite. Steigt der Preis, sinkt die Rendite.

Und nun zurück zum Thema Eurokrise.

Die folgende Grafik zeigt die Rendite auf Staatsanleihen mit zehn Jahren Laufzeit von Deutschland (rot), Spanien (grün) und Italien (blau) von 2007 bis heute:

Rendite zehnjähriger Staatsanleihen

in Prozent

Deutschland
Italien
Spanien
20072011201420180,5 %1,4 %2,4 %02468 %

Quelle: Credit Suisse

Die wichtigsten Stationen in der Grafik: Ganz links, im Jahr 2007, ist die Welt in Europa vordergründig noch in Ordnung. Das Renditeniveau ist in allen drei Staaten ungefähr gleich – gut 4 Prozent.

2008 beginnt die globale Finanzkrise. Die Rendite deutscher Staatsanleihen sinkt im Verlauf von zwei Jahren auf gegen 2 Prozent, während Italien und Spanien unverändert bleiben. Das ist recht normal, denn deutsche Bundesanleihen gelten im Euroraum als sicherste Anlage. Wenn immer an den Finanzmärkten eine Flucht in Sicherheit einsetzt, steigt die Nachfrage nach Bundesanleihen, ihr Kurs steigt, und ihre Rendite sinkt.

Ab 2011 dann: die Eurokrise. Angesteckt von den Wirren um Griechenland, brechen die Kurse von Staatsanleihen aus Italien und Spanien ein. Ihre Rendite steigt auf über 7 Prozent, während die Renditen deutscher Bundesanleihen deutlich unter 2 Prozent fallen. Der Renditeunterschied, der sogenannte Spread, steigt auf über 5 Prozent. Mehr dazu etwas später.

Weiter in der oben abgebildeten Grafik: Nach Mitte 2012 folgt ein lang gezogener Niedergang in den Bondrenditen. Das ist die Entspannung an den Finanzmärkten nach dem «Whatever it takes»-Versprechen von EZB-Chef Draghi. Anleger waren also wieder bereit, höhere Kurse für italienische und spanische Anleihen zu bezahlen, weil sie das Risiko kleiner einschätzten.

Wir nähern uns dem letzten Segment, rechts in der Grafik. Ende 2016 steigt die Rendite italienischer Staatsanleihen kräftig an, von rund 1 auf über 2 Prozent. Das ist die Auswirkung des Verfassungsreferendums, das Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi am 4. Dezember 2016 verlor.

Seither herrscht politische Ungewissheit im Land, was dazu führte, dass sich die Rendite italienischer Staatsanleihen auf erhöhtem Niveau um 2 Prozent – erstmals auch markant über Spanien – einpendelte.

Die Daten

Lange Zeitreihen zu Bondkursen und -renditen sind kostspielig, da sie nur von wenigen Anbietern wie z. B. Bloomberg aufbereitet werden. Die Daten für die hier abgebildeten Grafiken wurden uns freundlicherweise von Credit Suisse zur Verfügung gestellt.

Und nun zur Gegenwart, am rechten Rand der Grafik: Im Verlauf der letzten zwei Wochen sind die italienischen Zehnjahresrenditen nochmals deutlich in die Höhe geschossen und liegen nun auf 2,4 Prozent. Das ist der Zeitraum, seit bekannt wurde, dass sich die Lega Nord von Matteo Salvini und die Fünfsternebewegung (M5S) unter Führung von Luigi Di Maio auf die Bildung einer Koalitionsregierung geeinigt haben.

Beide Parteiführer haben sich in der Vergangenheit kritisch zum Euro geäussert und Italiens Teilnahme an der Währungsunion infrage gestellt. Das politische Programm, das Lega und M5S vorgestellt haben, baut zudem auf erhöhte Staatsausgaben, was die ohnehin schon hohe Staatsverschuldung Italiens weiter steigen lassen wird.

Beides ist Gift am Bondmarkt. Entsprechend trennen sich Investoren von italienischen Staatsanleihen – mit dem Effekt, dass deren Kurs sinkt und sich die Rendite erhöht.

Etwas deutlicher wird die Bewegung, wenn man den Spread betrachtet, also die Differenz zwischen der Rendite deutscher und italienischer Staatsanleihen:

Renditedifferenz (Spread) zwischen Italien und Deutschland

Zehnjährige Staatsanleihen, in Prozent

20072011201420181,9 %0246 %

Quelle: Credit Suisse

Der Spread spiegelt den Risikoaufschlag zwischen zwei vergleichbaren Wertpapieren: beides Staatsanleihen, beide mit zehn Jahren Laufzeit, beide in Euro. Aber von zwei verschiedenen Staaten ausgegeben. Von Italien verlangen Investoren gegenwärtig jährlich 1,9 Prozent mehr Rendite als von Deutschland, um für ihr Risiko entschädigt zu werden. Das entspricht wieder dem Niveau von Dezember 2016, nach Renzis Referendumsniederlage.

Bleibt die Frage: Ist das der Beginn einer zweiten Eurokrise?

Die simple Antwort: Das wissen wir noch nicht. Es hängt stark von der Politik der nächsten italienischen Regierung ab. Ob sie für einen weiteren Anstieg der Schulden sorgt, ob sie einen Euroaustritt provoziert.

Rein auf die Rendite und den Spread italienischer Staatsanleihen bezogen, ist die Lage noch nicht dramatisch. Das aktuelle Niveau liegt noch weit weg von der «heissen» Zeit der Jahre 2011 und 2012.

Doch Kapital, so schrieb Karl Marx, ist scheu wie ein Reh. Und der Bondmarkt ist der feinfühligste Sektor der Finanzmärkte. Bereits sind erste Ansteckungseffekte in anderen Euro-Peripheriestaaten zu erkennen: Im Zug der Renditeausweitung in Italien sind auch die Renditen spanischer Staatsanleihen (grün in der oberen Grafik) leicht gestiegen.

Momentan signalisiert der Bondmarkt also: Die Sorge steigt. Und zwar in bedrohlich raschem Tempo.

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