Briefing aus Bern

Richterwahl per Tombola, Berset stoppt Ärzte – und es gibt mehr Lohn für alle

Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (12).

Von Elia Blülle, 17.05.2018

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In zehn Tagen startet die Sommersession des Parlaments. Betrachtet man das Programm, könnte man meinen, die Schweiz sei immer noch ein Agrarstaat.

Im Ständerat steht eine Änderung des Jagdgesetzes zur Diskussion. Eine gute Nachricht für die Schafbäuerinnen: Der Schutz des Wolfs soll gelockert werden. Der Nationalrat wird in der zweiten Woche über die Hornkuh-Initiative debattieren. Das Anliegen fordert finanzielle Unterstützung für Bauern, die ihren Tieren die Hörner belassen. Am selben Tag steht die künftige Landwirtschaftspolitik auf dem Programm. Es wird laut werden in der grossen Kammer, denn die bundesrätliche Planung der Agrarpolitik (AP22+) und die damit vorgesehene Marktöffnung hat die Bauern erzürnt. Der Bauernverband sagte im November: «Seine Gesamtschau kann der Bundesrat schreddern.» Die mächtige Bauernlobby wird die Bühne der parlamentarischen Debatte für eine erneute Schelte an die Adresse des Bundesrates nutzen.

Weitere wichtige Programmpunkte im Ständerat sind die erneute Debatte zur Lohngleichheit zwischen Mann und Frau, die wichtige Steuervorlage 17 und die nächste Besprechung der Reform der Ergänzungsleistungen. Im Nationalrat steht die umstrittene Übernahme des EU-Waffenrechts und die Totalrevision des Datenschutzes an. Zudem wird der Nationalrat die Reform des Aktienrechts diskutieren, die einen indirekten Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungs-Initiative enthält und Frauenquoten für Verwaltungsräte vorsieht.

Am 28. Mai wird die Session starten. Wir halten Sie auf dem Laufenden. Hier kommt das Briefing aus Bern – mit zwei neuen Initiativen.

Initiative will Zufallswahl für Richterinnen

Das müssen Sie wissen: Das Bundesgericht ist die höchste juristische Instanz der Schweiz. Insgesamt beschäftigt es 38 Richterinnen und Richter, die vom Parlament gewählt werden. Dabei nimmt die Bundesversammlung Rücksicht auf die Parteizugehörigkeit der jeweiligen Richterinnen und geht bei der Verteilung der Posten auf die Grösse der Parteien ein. Deshalb stellt die SVP als wählerstärkste Partei auch die meisten Bundesrichter. Dieses Wahlprozedere stört den Unternehmer Adrian Gasser. Er hat eine Initiative lanciert, die das ändern will.

Das will die Justiz-Initiative: Bundesrichter sollen künftig nicht mehr durch das Parlament gewählt werden, sondern mit Losentscheid. Damit wollen die Initianten ermöglichen, dass auch Richterinnen unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit in die höchste Instanz berufen werden. Zum Losverfahren zugelassen werden soll, wer für das Bundesgericht die fachlichen und persönlichen Anforderungen erfüllt.

Diese Personen stecken dahinter: Die Idee stammt vom Immobilienunternehmer Adrian Gasser – einem der reichsten Schweizer. Das Geld für die Unterschriftensammlung sei bereits zusammen. Das Komitee hat bis im November 2019 Zeit, die 100’000 Unterschriften zu sammeln.


Bundesrat will kantonalen Ärztestopp

Das müssen Sie wissen: Fachärzte sind teuer. Vielerorts verdient ein Urologe oder eine Kardiologin mehr als 20’000 Franken pro Monat. Mit den steigenden Zulassungen von gut verdienenden Ärzten wachsen auch die Gesundheitskosten. Seit 2002 gibt es darum in der Schweiz einen Zulassungsstopp. Um eine Überversorgung von Fachärzten zu verhindern, legt der Bundesrat die Höchstzahl von Medizinerinnen in den jeweiligen Fachgebieten fest. Das medizinische Angebot soll nicht stärker wachsen als die tatsächliche Nachfrage. Nun sucht Alain Berset eine neue Lösung, weil 2019 der bisherige Zulassungsstopp auslaufen wird.

Das ist die Idee: Neu sollen die Kantone selber Kontingente aufstellen. Wachsen die Kosten in einem bestimmten Fachgebiet überdurchschnittlich, können die Kantone künftig die Zulassung von neuen Ärzten sofort stoppen. Damit bekommen die Kantone mehr Kompetenzen und können auf die regionale Bedürfnisse eingehen. Zudem will der Bundesrat höhere Hürden für die Ärztezulassung einführen. Mediziner, die über die Krankenkassen abrechnen möchten, müssen eine Prüfung ablegen. Ein bestandener Test soll belegen, dass sie mit dem schweizerischen Gesundheitssystem vertraut sind. Dadurch schafft der Bundesrat eine zusätzliche Hürde für ausländische Fachärzte, die in der Schweiz praktizieren möchten.

So geht es weiter: Das Parlament stimmt als Nächstes über die Vorlage ab. Die Revision wird einen schweren Stand haben: Die bürgerlichen Parteien lehnen den Zulassungsstopp grundsätzlich ab, und auch die mächtige Krankenkassen-Lobby hat keine Freude am neuen Vorschlag. Die Idee des Bundesrats sei eine Scheinlösung und keine wirkliche Alternative zur bisherigen Zulassungssteuerung.


Immer weniger Asylsuchende wollen Rückkehrhilfe

Das müssen Sie wissen: Reist eine Asylsuchende freiwillig zurück in ihr Herkunftsland, zahlt ihr die Schweiz 1000 Franken. Mit dieser sogenannten Rückkehrhilfe motiviert der Bund abgewiesene Asylbewerber, das Land aus freien Stücken zu verlassen. Gemäss einem Bericht der «SonntagsZeitung» beanspruchen diese Möglichkeit aber immer weniger. Verliessen 2012 über 6000 Asylsuchende die Schweiz freiwillig, waren es im vergangenen Jahr nur noch 1700.

Das sind die Gründe: Das Staatssekretariat für Migration sagte gegenüber der «SonntagsZeitung», der Rückgang habe auch damit zu tun, dass mehr Gesuche bewilligt würden und die Zahl der Asylsuchenden tendenziell zurückgehe. Zudem sei es Asylsuchenden aus Ländern wie Syrien nicht möglich, ohne weiteres in ihr Herkunftsland zurückzukehren.

Das will der Bund dagegen tun: Bundesrätin Simonetta Sommaruga will künftig in Asylzentren mit einem neuen Modell arbeiten: Je länger jemand in der Schweiz bleibt, desto weniger Geld soll er bei einer freiwilligen Rückkehr erhalten. Der Bundesrat wird nächstens über diesen Vorschlag entscheiden.


Kesb-Gegner lancieren Initiative

Das müssen Sie wissen: Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (Kesb) kümmern sich um hilfsbedürftige Personen, die etwa aufgrund ihrer Minderjährigkeit oder einer Suchtkrankheit urteilsunfähig sind. Gewährleisten zum Beispiel Eltern die Sicherheit ihres Kindes nicht, kann die Behörde in Extremfällen das Sorgerecht entziehen. An den weitgehenden Kompetenzen der Schutzbehörden stört sich ein Komitee um den SVP-Nationalrat Pirmin Schwander. Es hat eine Initiative lanciert.

Das will die Kesb-Initiative: Ist eine Person nicht handlungs- oder urteilsfähig, sollen anstelle der Schutzbehörden künftig automatisch die Familienangehörigen Verantwortung übernehmen. So geht zum Beispiel bei Kindesgefährdung das Sorgerecht automatisch an die nahe Verwandtschaft über – auch wenn die Schutzbehörde das für keine gute Idee hält.

Das sagen die Gegner: Die Initiative bringe keine einzige Verbesserung, verschlechtere aber den Schutz von hilfsbedürftigen Kindern und Erwachsenen, teilte die Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz mit. Bereits heute würden in erster Linie Familienangehörige für ihre Nächsten sorgen. Die Initiative untergrabe gezielt das Vertrauen in die Behörden und blende aus, dass in manchen Fällen auch die nahe Familie nicht den nötigen Schutz bieten könne.

Mehr dazu: Was macht die Kesb? Wieso ist sie so umstritten? Der SRF-Dokumentarfilm aus dem Jahr 2016 von Béla Batthyany geht diesen Fragen nach.


Zahlen der Woche: Lohn und Invalidenrente

2016 lag der Medianlohn in der Schweiz bei 6500 Franken. Das heisst, die Hälfte der Schweizerinnen und Schweizer verdiente mehr als diesen Betrag, die andere Hälfte weniger. Im Vergleich zum Ergebnis von 2014 entspricht das einem Anstieg von 5 Prozent. Bei genauer Betrachtung zeigt die Erhebung des Bundesamtes für Statistik, dass 10 Prozent aller Arbeitnehmenden weniger als 4300 Franken und 10 Prozent der Arbeitenden mehr als 11’400 Franken pro Monat verdienten. Gestiegen sind die Löhne im Tief- und Hochlohnsegment. Am höchsten sind die Löhne in der Region Zürich, am wenigsten verdient man im Tessin und in der Ostschweiz. Ebenfalls bemerkenswert ist, dass der Lohnunterschied zwischen Mann und Frau weiterhin zurückgeht. Lag die Differenz 2012 noch bei 15 Prozent, ist sie 2016 auf 12 Prozent gesunken.

2017 hat die Invalidenversicherung 14’700 Neurenten gesprochen. Das sind 600 mehr als im Vorjahr. Die Zunahme liegt im Bereich der normalen Schwankungen. Ingesamt bezogen im Januar 217’200 Personen eine Invalidenrente – rund 1 Prozent weniger als ein Jahr zuvor. Die Abnahme erklärt sich das Bundesamt für Sozialversicherungen damit, dass immer mehr Invalide trotz ihres Gebrechens wieder beruflich integriert werden. Anspruch auf die Invalidenrente hat, wer aus psychischen oder körperlichen Gründen für längere Zeit nicht arbeitsfähig ist.

Debatte zum Briefing aus Bern

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