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Mitgehangen, mitgefangen

Von Adrienne Fichter, 27.04.2018

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Am 10. Juni stimmen wir über die «Einschränkung des Schweizer Internets» ab. Denn der umstrittene Teil des Schweizer Glücksspielgesetzes dreht sich um die Netzsperren der Online-Geldspiele. Damit ist auch klar, wo die Abstimmungsschlacht ausgetragen wird: im Internet. Beide Lager setzen stark auf die Mobilisierung im Netz.

Die Crux: Das Glücksspiel-Komitee schützt die schweizerische Casino-Lobby. Jedoch nicht seine Anhängerinnen. Persönliche Daten werden unsichtbar an die ausländische Technologieindustrie weitergegeben. Für Marketingzwecke. Auch ohne Zustimmung. Mit einer «Einverständniserklärung», die keine ist.

Das Pro-Komitee setzt auf Patriotismus

Der Abstimmungskampf im Netz ist bereits angelaufen. Wir sehen dabei Kampagnen, wie sie in der Schweiz immer mehr zum Standard werden. Sie enthalten folgende Zutaten: eine Website, ein Argumentarium und die Möglichkeit, sich als Online-Unterstützer zu engagieren.

Das Pro-Komitee zum Glücksspielgesetz setzt zur Aktivierung auf Patriotismus. Seine Hauptargumente in Kürze: Bei ausländischen Casino-Anbietern sei niemand vor Betrug verschont. Bei Schweizer Glücksspiel-Anbietern laufe hingegen alles sicher ab. Zudem fliesse ein Teil des Erlöses in Sozialwerke und Kulturförderung. Kurz: Ausländische Anbieter könnten zwielichtig agieren, über die Schweizer Casinos habe man die Kontrolle.

Das Komitee sucht Botschafter, die diese Kunde im (sozialen) Netz weiterverbreiten. Unterstützerinnen werden auf geldspielgesetz-ja.ch dazu angehalten, sich mit einer Botschaft zur Schweizer Kulturförderung zu bekennen. Mit dem Hinterlassen ihres Namens, einer Mailadresse und einer Nachricht.

Steigen Sie aus dem Flugzeug aus

Dabei scheint das Glücksspielgesetz-Komitee plötzlich kein Problem mehr mit ausländischen Anbietern zu haben. Zwar listet die Kampagne vorbildlich alle involvierten Akteure akkurat in ihren Datenschutzbestimmungen auf. Jeder einzelne Player (in dessen Hände die persönlichen Daten gelangen) wird angezeigt.

Doch fürs Ausweichen ist es zu spät. Wer die Paragrafen durchliest, wird genau in diesem Moment bereits im Silicon Valley ausgewertet. Von Plattformen wie Google (und mit entsprechender Werbung belästigt). Die Zusammenarbeit mit dem Ausland lässt sich nicht wirklich «ablehnen». Es steht lediglich in Grossbuchstaben: «WENN SIE DEN BEDINGUNGEN DIESER DATENSCHUTZRICHTLINIEN NICHT ZUSTIMMEN, RUFEN SIE DIE WEBSITE BITTE NICHT AUF.»

Diese Aufforderung ist in etwa ähnlich sinnvoll, wie wenn ein Flight Attendant im startenden Flugzeug folgende Ansage machen würde: «Unsere Flugzeit beträgt fünf statt zwei Stunden. Sollten Sie damit nicht einverstanden sein, verlassen Sie bitte unseren Flieger.»

Mit anderen Worten: mitgehangen, mitgefangen. Das Gegenkomitee verhält sich nur ein bisschen fortschrittlicher. Sein Hinweis lautet: «Wenn Sie nicht wünschen, dass Facebook den Besuch unserer Seiten Ihrem Facebook-Nutzerkonto zuordnen kann, loggen Sie sich bitte aus Ihrem Facebook-Benutzerkonto aus.»

Immerhin wird der Datenabfluss zu Facebook dann gestoppt. Besser wäre es gewesen, er wäre gar nicht erst eingetreten (wenn man nicht davon weiss).

Datenschutz bei beiden Kampagnen: ungenügend

So oder so: Die Datenschutzerklärungen beider Komitees genügen den Schweizer Anforderungen des (veralteten) Datenschutzgesetzes nicht. Und schon gar nicht europäischen Standards (wo eine Auswahl für die Verarbeitung von «Marketing-Daten» ab dem 25. Mai verbindlich sein wird, ansonsten drohen Bussen in Millionenhöhe). Sie sind ausserdem versteckt platziert und werden nicht einmal als Option bei der Registrierung angeboten.

Und weil es dabei auch noch um Politik geht, ist die Sache noch heikler:

«Da es sich um eine politische Kampagne handelt, wäre eine explizite Zustimmung erforderlich, die allerdings nicht global für sämtliche Zwecke eingeholt werden kann», bestätigt Sprecherin Silvia Böhlen vom Eidgenössischen Datenschutz (EDÖB) auf Anfrage der Republik. Sprich: Eigentlich müssten circa sieben Zustimmungshäkchen bei der Glücksspielgesetz-Befürworterin oder -gegnerin eingeholt werden. Und zwar bevor man «verarbeitet» wird.

Fazit: Die einen propagieren digitalen Protektionismus, die anderen digitale Selbstbestimmung. Doch beim Abstimmungskampf scheinen diese hehren Ideale für beide Lager plötzlich wertlos zu sein.

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